Medizinisches Personal bei der Zugangskontrolle für Patienten des Kaiser-Franz-Josef-Spitals
APA/Georg Hochmuth
APA/Georg Hochmuth
Gesundheit

Besuchsverbot in Spitälern als „Dilemma“

Der Spitalsbetrieb wird schrittweise hochgefahren, die Besuchsverbote bleiben aber aufrecht. Für Patienten und Angehörige ist das „ein Dilemma“, sagt Psychologe Cornel Binder-Krieglstein. Hochgefahren wird derzeit der Betrieb in den Ordensspitälern.

Die Vernunft stehe gegen die Emotion, so Binder-Krieglstein am Montag weiter. Ausnahmen sind in den Verordnungen der Bundesländer möglich. In Wien beinhaltet die Verordnung über das vorübergehende Betretungsverbot für Besucher von Krankenanstalten, Wohn- und Pflegeheimen sowie Pflegestationen Ausnahmen, die einer Person pro Patientin oder pro Heimbewohner möglich gemacht werden. Dabei geht es um die Begleitung von Kindern, von Patienten nach Operationen, bei Notfällen oder Aufenthalten von mehr als sieben Tagen.

„Unter allen Schutzmaßnahmen“

Bei infektiösen Covid-19-Patienten ist es noch strenger geregelt. Der Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) ermöglicht es etwa derzeit bei Covid-19-Kranken ohne Aussicht auf Heilung, sich persönlich von dem sterbenden Menschen zu verabschieden. Das sei nach einer Lockerung der Bestimmungen „unter allen Schutzmaßnahmen“ und „mit voller Schutzausrüstung“ möglich, hieß es auf Anfrage aus dem KAV.

„Ich weiß, dass Ausnahmen gemacht werden“, bestätigte die Wiener Pflege- und Patientenanwältin Sigrid Pilz. Auch bei Palliativpatienten und in der Sterbebegleitung kann der Besuch einer Person gestattet werden. Eine Verabschiedung sollte schon persönlich, „mit warmen Händen“ und einer Umarmung möglich sein, betonte Pilz.

„Noch schlimmere“ Situation in Pflegeheimen

Ausnahmeregelungen gibt es zudem für die Begleitung zur Geburt und den Besuch von Müttern mit Neugeborenen. Hier besteht wie immer auch die Möglichkeit von ambulanten Geburten. Bei werdenden Müttern, die jedoch wegen der aktuellen Situation kurzfristig auf eine Hausgeburt umschwenken wollen, reagieren „Hebammen zu Recht zurückhaltend“, befand Pilz.

Die Patientenanwältin hob die „noch schlimmere“ Situation in Pflegeheimen hervor. Bei Pilz „melden sich Angehörige, die damit gar nicht zurechtkommen“, wie sie erzählte. „Selbstverständlich muss alles unternommen werden, dass die BewohnerInnen und das Personal vor einer Ansteckung mit Covid-19 geschützt werden. Doch muss der Nutzen einer Maßnahme den evtl. Schaden überwiegen“, sagte sie am Freitag in einem Brief an die Heimträger Wien, der der APA vorliegt.

Ausnahmezustand „noch Monate“

„Es ist beruhigend, dass die Wiener Pflegeeinrichtungen bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu Hotspots der Ansteckung geworden sind“, hob Pilz in dem Schreiben hervor. Es sei allerdings absehbar, dass der Ausnahmezustand „noch Monate andauern wird. Daher sind die Heimträger aktuell besonders gefordert, für diese Problematik auf bestimmte Zielgruppen abgestufte Lösungen zu entwickeln und in den Wohn- und Pflegeheimen zu implementieren“, forderte die Wiener Pflege- und Patientenanwältin.

Abschiednehmen „unheimlich wichtig“

Es sei „unheimlich wichtig“, dass es im Sterbeprozess zumindest die Möglichkeit einer Verabschiedung gibt, sagte der klinische- und Gesundheitspsychologe Binder-Krieglstein. Viele bräuchten das Verabschieden, jemanden gehen lassen, nichts Offenes zurücklassen. Das könne auch eine Art der Umsetzung des „letzten Willens“ sein. Die Dilemmasituation bestehe aus „Ratio versus Emotion, aber auch wie wir es gerade gesamtheitlich in der Gesellschaft erleben“, so Binder-Krieglstein in Bezug auf persönliche Bedürfnisse und das Gemeinwohl.

„Ich will auf alle Fälle vermeiden, dass ich eine Krankheit einschleppe“, sagte Binder-Krieglstein aus Sicht der Angehörigen. Dem stehe das Bedürfnis nach Nähe gegenüber. Dieses komme beim Menschen „gleich nach Nahrungsmitteln in der Bedürfnispyramide“. Es gehe um ein „emotional sehr hohes Gut“, umso größer sei die Konfliktsituation.

Psychologe fordert „Kompensationsmaßnahmen“

Binder-Krieglstein forderte für Alters- und Pflegeheime „Kompensationsmaßnahmen“, die in dem Verhältnis stärker werden müssten, je länger die Situation andauert. Videotelefonie sei etwa für diese Generation ein noch stärkeres Erlebnis als für Jüngere. Aber auch andere Sozialkontakte sollten geboten werden. „Die außerordentlichen Zivildiener sind sehr motiviert, sich alten Menschen zuzuwenden“, lobte Binder-Krieglstein als ein Beispiel.

Eine andere Möglichkeit sei auch, eine Bezugsperson in der Pflege, die der oder die Betroffene schon länger kennt, für einen halben Tag aus ihrem Aufgabenbereich herauszunehmen und sich nur dem Bedürfnis dieser Person widmen zu lassen. Für diese Bedürfnisse sollten – falls vorhanden – eigene Räumlichkeiten oder ein Garten genützt werden. Auch Betreuung durch Krisenintervention, die Telefonseelsorge oder ähnliche Hotlines sind laut Binder-Krieglstein in weiterer Folge wichtig.

Wiener Ordensspitäler nähern sich Normalbetrieb

Die sieben Wiener Ordensspitäler fahren unterdessen kontrolliert ihre Leistungen wieder hoch, um auch für Nicht-Akutpatienten zur Verfügung zu stehen. Parallel dazu bleiben sie weiterhin für ein mögliches erhöhtes Aufkommen von Menschen mit Covid-19 gerüstet, hieß es am Montag in einer Aussendung. Die Sicherheitsmaßnahmen bleiben ebenfalls aufrecht.