Gastgarten in Wien
ORF.at/Peter Pfeiffer
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Politik

Beisl & Co. vor „brutalen Veränderungen“

Die Regierung hat gestern Erleichterungen für die Gastronomie angekündigt. Mit Stichtag 15. Mai dürfen Lokale wieder öffnen. Viele Detailfragen sind derzeit noch offen. Ein Experte erwartet „brutale Veränderungen“.

„Ich glaube schon, dass die Gastronomie brutale Veränderungen vor sich hat“, sagte WU-Professor Dieter Scharitzer am Mittwoch. Ob das Leben dadurch besser werde oder schlechter, das sei wieder eine andere Frage, die sich jetzt noch nicht beantworten lasse.

Details zum Thema Öffnung der Gastronomie kündigte die Regierung erst für Dienstag kommender Woche an. Fix war schon jetzt, dass es eine Sperrstunde 23.00 Uhr geben wird. Peter Dobcak, Obmann der Gastronomie in der Wiener Wirtschaftskammer, hofft darauf, dass es sonst möglichst wenige Einschränkungen geben wird. Er sprach in seiner Reaktion von einem Kampf zwischen Gesundheit und Rechenstift.

Kellner in Wiener Gastgarten
ORF.at/Dominique Hammer
Personal in Gastrobetrieben muss einen Mund-Nasenschutz tragen

„Gehe ich essen, nur weil offen ist?“

Ob die Lokalöffnung ein Erfolg wird, ist aber nicht nur eine wirtschaftliche Frage, sondern hängt auch an Einstellungen und Erwartungen der Österreicher und Österreicherinnen. „Ich glaube, dass da neben dem Realpolitischen wahnsinnig viel im Kopf abgeht“, sagte Scharitzer, Assistenzprofessor am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien und Geschäftsführer des Marktforschungsinstituts TQS Research & Consulting.

Die Frage sei: „Gehe ich essen, nur weil die Gaststätten offen sind?“ Und: Wie werden die Österreicher auf Kellner mit Masken oder „Zeitslots“ für das Abendessen reagieren? Scharitzer geht aber davon aus, dass Menschen ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit haben.

„Wir sind sehr formbar“

„Wir sind sehr formbar“, so Scharitzer. Menschen akzeptieren die Realität. Wenn Restaurants zwei Zeitfenster für das Essen anbieten, dann werde es nicht lange dauern, bis die Menschen das lieber akzeptieren, als gar nicht mehr essen zu gehen. Es sei ja inzwischen auch üblich geworden, Tische zu reservieren, früher habe das niemand gewollt.

„Wenn jemand sagt, es kommt eine ‚neue Normalität‘, dann finde ich das sprachlich aber sehr unglücklich“, sagte Scharitzer. Da stecke zu viel Vergleich mit der Zeit vor der Pandemie drin. Die Krise habe das Potenzial, den Lauf der Dinge zu ändern, wirklich „disruptiv“ zu wirken.

Kreative Lösungen gefragt

„Ich glaube, dass jeder Gastronom für sich begriffen hat, das Jahr ist eh nicht mehr zu retten“, so Scharitzer. Daher sei die Zeit für neue Strategien und tiefgreifende Veränderungen gekommen. „Jetzt nichts zu tun ist das Tödlichste, damit ist ein Betrieb wirtschaftlich nicht zu halten.“ Ideen seien gesucht, etwa dem Kunden für das gemütliche Zusammensitzen nach dem kurzen Zeitslot im Lokal eine gute Flasche Wein für daheim mitzuverkaufen. Oder den Erlebniswert des großzügigen Platzangebots zu vermarkten.

Scharitzer setzt dabei auf die Kreativität vor allem der kleinen Betriebe, auch wenn sie auf den ersten Blick wirtschaftlich schwach scheinen mögen. Denn über „die Gastronomie“ sollte man nicht sprechen. Zu unterschiedlich seien die einzelnen Segmente. Viel größere Probleme gebe es bei manch großen, denen das bisherige Geschäftsmodell weggebrochen ist – etwa auf Touristen konzentrierte Hotelketten. „Wer weiß schon, ob wir heuer noch einen amerikanischen Touristen in Österreich sehen.“

Auch Bars und Abendlokale stünden vor sehr großen Herausforderungen. Im Inlandskonsum sieht Scharitzer aber gute Perspektiven. Denn wenn auch vielleicht in veränderter Form, „das Erlebnis Gastronomie wird sicher wieder nachgefragt. Es ist ja nicht jeder glücklich damit, zu Hause zu kochen und Brot zu backen.“

10.000 Euro Direkthilfe für alle Betriebe gefordert

Dobcak von der Wiener Wirtschaftskammer hofft jedenfalls, dass die Ansteckungszahlen niedrig bleiben. Dann könnten die Gastronomiebetriebe wie angekündigt mit wenigen Einschränkungen Mitte Mai wieder aufsperren. Alles andere habe keinen Sinn. Regeln wie im Einzelhandel – etwa 20 Quadratmeter Platz pro Gast – wären für zwei Drittel der Wiener Gastronomiebetriebe ein Verlustgeschäft.

Zuletzt gab es Kritik an der schleppenden Unterstützung für die Unternehmen. Dobcak plädierte für großzügigere Direkthilfen in Form von etwa 10.000 Euro pro Gastrobetrieb, unabhängig davon, in welchem Zustand der Betrieb ist. Dobcak gab zu bedenken, dass viele Gastronomen zwar keine Gewinne machen würden, sich aber über Wasser halten könnten. Würden sie in Konkurs gehen, würden sie dem Staat zur Last fallen.

Mund-Nasen-Schutz für Personal fix

Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) appellierte am Dienstag an die Eigenverantwortung der Menschen. Es werde trotzdem auch künftig Regeln geben, die einzuhalten seien: „So viel Freiheit wie möglich, so viel Einschränkung wie notwendig“, nannte Kurz das Motto in der nun beginnenden nächsten Phase.

In Restaurants und Lokalen werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Mund-Nasenschutz tragen müssen. Regeln zu Gruppengrößen und Abstandsmaßnahmen in der Gastronomie wurden nicht genannt. Die will die Regierung am Dienstag präsentieren. Kurz betonte allerdings, dass die Situation in Restaurants jedenfalls eine andere sei als in Geschäftslokalen, die durch Regale verbaut sind. Außerdem würden Menschen dort nicht sitzen, sondern im Normalfall unterwegs sein.