„Rat auf Draht“-Büro
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Soziales

Hilferufe bei „Rat auf Draht“ stark gestiegen

Die Zahl Hilfe suchender Kinder und Jugendlicher bei „Rat auf Draht“ ist zuletzt stark gestiegen. Es gibt um ein Drittel mehr Anrufe, Beratungen im Chat stiegen sogar um 82 Prozent. Besorgniserregend dabei ist, dass psychische Themen die „klassischen“ Probleme verdrängen.

„Wir beobachten eine besorgniserregende Entwicklung. Fragen zur psychischen und physischen Gesundheit sind im Themen-Ranking sehr weit oben, während klassische Teenager-Sorgen wie die erste Liebe, Streit mit Freunden oder Taschengeld zusehends in den Hintergrund rücken“, sagte Birgit Satke, Leiterin von „Rat auf Draht“. Die Kinder und Jugendlichen würden „Ängste in allen Facetten“ plagen. So sorgen sich viele, dass sie sich selbst oder Mitglieder der Familie mit dem Coronavirus anstecken könnten. Auch Zukunftsängste hinsichtlich der Schule, der Jobaussichten oder der beruflichen Situation der Eltern stellen Probleme dar.

„Werden ständig von ihren Eltern angeschrien“

Die psychische Gewalt innerhalb der Familie stieg laut Satke besonders drastisch an. Im April des Vorjahres gab es 31 Beratungen, heuer waren es 149. „Die Kinder und Jugendlichen werden beispielsweise ständig von ihren Eltern angeschrien und bekommen gesagt, dass aus ihnen niemals etwas werde, wenn sie ihre Hausaufgaben nicht erledigen“, schilderte Satke eine typische Situation. Viele wüssten nicht, dass psychische Gewalt unter Strafe stehe.

Ebenfalls einen starken Anstieg gab es bei Schlafproblemen (240 Prozent), Anfragen zu psychischen Erkrankungen wie Panikattacken oder Depressionen (146 Prozent), Suizidgedanken und Autoaggression wie etwa Ritzen (jeweils 54 Prozent) sowie physischer Gewalt in der Familie (88 Prozent).

SOS-Kinderdorf will mehr kassenfinanzierte Therapieplätze

„Familien drohen in der Corona-Krise zu zerbrechen“, warnte Katrin Grabner, Kinderrechtsexpertin bei SOS-Kinderdorf. Das werde mitunter dadurch verstärkt, dass auf manche Säule des Gesundheitssystems zuletzt vergessen wurde. „Viele Behandlungen psychischer Erkrankungen waren ausgesetzt. Dabei werden belastete Jugendliche zu kranken Erwachsenen“, mahnte die Kinderrechtsexpertin.

Kostenlos und anonym

Der Kinder- und Jugendnotruf „Rat auf Draht“ist unter der Nummer 147 rund um die Uhr sieben Tage die Woche erreichbar, die Beratung erfolgt anonym und kostenlos. Auch Online- und Chat-Beratung wird angeboten.

„Kinder, Jugendliche und ihre Familien zu entlasten, muss nun oberste Priorität haben“, forderte Grabner. Eine Ausweitung des Angebots von Therapieformen per Telefon oder Videochat, die vor allem von Jugendlichen gut angenommen werden, würde sich anbieten. Dazu müssten diese Therapieformen aber auch zu abrechenbaren Kassenleistungen werden, so die Kinderrechtsexpertin.

Generell mangele es an rund 70.000 kassenfinanzierten Therapieplätzen für Kinder und Jugendliche in Österreich. Manches Bundesland müsse ohne Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie mit Kassenvertrag auskommen. „Diesem Engpass muss man dringend entgegenwirken“, forderte Grabner.

Zum überwiegenden Teil auf Spenden angewiesen

Zudem könnten nun mit der Öffnung der Schulen, die für viele Kinder und Jugendliche ein wichtiges Unterstützungssystem darstellt, viele Probleme der vergangenen Wochen erst an die Oberfläche dringen. „Lehrer dürfen mit dieser Aufgabe nicht allein gelassen werden. Es braucht einen Ausbau der Schulpsychologie und Sozialarbeit“, sagte Grabner.

Das zuletzt ausgeweitete Chat-Beratungsprogramm von „Rat auf Draht“ wird bis Ende dieses Schuljahres aufrechterhalten, aber zusehends zeitlich eingeschränkt. Ab 18.00 Uhr werden jedoch auch in den Ferien weiterhin Experten von „Rat auf Draht“ per Online-Chat zur Verfügung stehen – mehr dazu in Schulpsychologen verstärken „Rat auf Draht“.

„Wir haben das Personal sowohl am Telefon als auch in der Chat-Beratung aufgestockt, sonst hätten wir das Programm nicht aufrechterhalten können“, so Satke, die darauf aufmerksam machte, dass „Rat auf Draht“ zum überwiegenden Teil auf Spenden angewiesen sei. Lediglich ein Drittel der Kosten werde von der öffentlichen Hand getragen.