Menschen in Verhandlungssaal
APA/Herbert Neubauer
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Chronik

Stadterweiterungsfonds: Spitzenbeamte vor Gericht

Am Wiener Landesgericht hat am Donnerstag der Prozess in der Causa Stadterweiterungsfonds begonnen. Angeklagt sind auch drei Sektionschefs des Innenministeriums. Ihnen wird Untreue vorgeworfen. Es geht um einen Schaden von 1,1 Millionen Euro.

Bei den Angeklagten handelt es sich um die ehemaligen Entscheidungsträger des im Innenministerium angesiedelten Wiener Stadterweiterungsfonds. Neben den drei Sektionschefs muss sich auch der frühere Leiter des Beirats vor Gericht wegen Untreue verantworten. Die Angeklagten sollen das Fondsvermögen laut Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) widmungswidrig für Spendentätigkeiten verwendet haben.

Dabei sollen Institutionen oder Personen profitiert haben, zu denen die Angeklagten einen beruflichen oder persönlichen Bezug hatten oder die ihnen sympathisch waren, wie Oberstaatsanwalt Stephan Schmidmayer eingangs darlegte. Unter den Institutionen waren demnach etwa die Erzdiözese Wien, die Israelitische Kultusgemeinde, das St. Anna Kinderspital und der Jubiläumsfonds der Gendarmerie.

„Fondszweck brachial ausgelegt“

„Sie haben den Fondszweck brachial und ohne jegliche Logik so ausgelegt, wie sie wollten“, sagte Schmidmayer. Die Angeklagten hätten sich zwar nicht persönlich bereichert, doch die Mittel des Fonds seien „öffentliches Vermögen, nicht das des Innenministeriums“, so der Oberstaatsanwalt. 2009 trug die damalige Innenministerin Maria Fekter (ÖVP) an den Stadterweiterungsfonds den Wunsch heran, dieser möge eine Liegenschaft in Eberau im Burgenland zum Bau eines Asylerstaufnahmezentrums finanzieren.

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Anwälte und Angeklagte am Donnerstag kurz vor Prozessbeginn

Der Kuratoriumsvorsitzende habe den Wunsch „mit geringer Begeisterung entgegengenommen“, berichtete der langjährige Leiter des Stadterweiterungsfonds dem Schöffensenat (Vorsitz: Claudia Moravec-Loidolt). Um Fekters Wunsch umsetzen zu können, wurde eigens eine Satzungsänderung vorgenommen. Der Fonds konnte fortan auch Mittel „zum Wohle der Gesellschaft und des sozialen Friedens“ vergeben.

Fonds für Ringsraßenbau errichtet

Der Wiener Stadterweiterungsfonds war 1854 von Kaiser Franz Joseph zur Errichtung der Wiener Ringstraße ins Leben gerufen worden. Nach Abschluss der Bautätigkeiten wurde er zur Sanierung von Gebäuden – etwa der Fassade der Hofburg – herangezogen. Für die Verteidigerriege um Peter Lewisch hatte sich der Fondszweck mit 1921 erledigt.

„Die Ringstraße war gebaut, der Fonds war obsolet“, sagte Lewisch. Man habe ihn aber nicht aufgelöst, sondern „dahindümpeln lassen“. Er sei „als unselbstständiges Verwaltungsvermögen“ bzw. „ungeliebtes Stiefkind“ im Schoß des Innenministeriums verblieben. Die Angeklagten – einer der Sektionschefs befindet sich mittlerweile im Ruhestand, die beiden anderen sind noch im Dienst – hätten ihre Tätigkeit für den Stadterweiterungsfonds als „ehrenamtliches Nebeng’schafterl“ betrieben.

Beschuldigte bekennen sich „nicht schuldig“

Die Beschuldigten bekannten sich zum Vorwurf, ihnen anvertrautes Vermögen widmungswidrig verwendet zu haben, „nicht schuldig“. Sie hätten vielmehr „in vollkommenem Einklang mit der Satzung agiert“ und mit Billigung des jeweiligen Ressortchefs „geradezu vorbildlich gehandelt“, bescheinigten ihnen ihre Rechtsvertreter. Bis zum 2. Juli sind in dem Verfahren noch fünf Verhandlungstage ausgeschrieben, die teilweise prominenten Zeugen – neben Ex-Ministerin Fekter ist auch Kardinal Christoph Schönborn geladen – sind für kommende Woche geladen.

Die Angeklagten behaupten, die Ende 2006 verstorbene frühere Innenministerin Liese Prokop (ÖVP) habe im Herbst 2005 den Stadterweiterungsfonds als „Anachronismus“ bezeichnet und dessen Auflösung insofern betrieben, indem sie die Realisierung seiner Vermögenswerte – vor allem eine Liegenschaft Am Heumarkt – verlangte. Mit den Erlösen habe Prokop in breiter Streuung „Gutes tun“ wollen. Diesen Wunsch habe man umgesetzt.

Schriftstück als Beleg fehlt

Allerdings gibt es kein Schriftstück, das Prokops Ansinnen belegt. Wie überhaupt die Mittelverwendung des Wiener Stadterweiterungsfonds, der erst 2017 aufgelöst wurde, kaum dokumentiert ist. „Es war ein Freibrief, um nach allen Richtungen zu spenden“, hielt die vorsitzende Richterin fest. Die Spenden seien „nach Vorschlägen von Kuratoriumsmitgliedern“ vergeben wurden, wobei jeweils „ein gemeinschaftliches Brainstorming“ stattgefunden habe, gab der langjährige Leiter darauf in seiner Beschuldigteneinvernahme zu Protokoll.

Eine in eine Notlage geratene „besonders wertvolle Mitarbeiterin des Innenministeriums“ erhielt demnach 15.000 Euro. Vollwaisen, deren Eltern binnen weniger Wochen verstorben waren, wurden zur Bestreitung der Begräbniskosten unterstützt. Auf den richterlichen Hinweis, dass in der ursprünglichen Satzung der Fonds nach dem Zweiten Weltkrieg primär der Regulierung und Verschönerung der Inneren Stadt dienen hätte sollen, meinte dessen langjähriger Leiter, es habe auch „eigene Projekte“ gegeben, wobei man dabei stets die Rückendeckung des Ministerkabinetts gehabt hätte.

Erzdiözese Wien erhielt am meisten

Mit Abstand am meisten – nämlich 250.000 Euro – bekam die Erzdiözese Wien zum Bau einer Kirche in Wien-Aspern. „Schönborn hat mir das Projekt vorgeschlagen“, verriet der angeklagte Ex-Leiter des Stadterweiterungsfonds dem Gericht. Auf die Höhe der Spende angesprochen, entgegnete er: „Eine Kirche zu bauen kostet sehr viel Geld.“

Auch zu diesem Vorgang gebe es keine schriftliche Dokumentation, bemängelte die Richterin. Und überhaupt sei die geplante Stadterweiterungskirche ja nie gebaut worden, weswegen die Mittelverwendung von Interesse sei. Man habe „nicht die Ressourcen, das zu prüfen“, erwiderte der Angeklagte.

„Beste Absichten gehabt“

Er sei „tief enttäuscht, dass es in diese Richtung geht“ und er sich nun vor Gericht verantworten muss, sagte einer der drei Sektionschef. „Wir haben beste Absichten gehabt. Ich bin nie auf den Gedanken gekommen, dass wir Unrechtes tun“, sagte der nun pensionierte Spitzenbeamte am Donnerstag. Es sei der Wunsch der damaligen Innenministerin Prokop gewesen, das Fondsvermögen aufzulösen und „mildtätigen Zwecken“ zuzuführen, so der Angeklagte.

Der vierköpfige Beirat habe darauf hin erörtert, wie man das umsetzen könne, und 2006 die Satzung entsprechend geändert: „Dass wir für die Satzung keinen Schönheitspreis gewinnen, ist mir heute auch klar.“ Nach dem plötzlichen Ableben Prokops habe man jedenfalls darauf geachtet, dass die Projekte, die unterstützt wurden, einen Bezug zu Wien hatten und damit dem Willen des Fondserrichters – Kaiser Franz Joseph – entsprochen. Der ursprüngliche Fondszweck sei mit Vollendung der Ringstraße „komplett erfüllt“ gewesen.

„Ein Ministerwunsch ist ein Auftrag“

Die Richterin wollte darauf hin wissen, inwieweit ein finanzielles Unter-die Arme-Greifen zugunsten rumänischer Straßenkinder Wien betreffe. Der Angeklagte entgegnete darauf sinngemäß, diese wären in ihrer Heimat geblieben und nicht zum Betteln nach Wien gekommen. Die Unterstellung, er habe vor den Augen der Öffentlichkeit über Jahre hinweg Unrechtes getan, gehe ins Leere, bekräftigte der Beamte. Er und die weiteren Mitglieder des Beirats hätten in ihrem jeweiligen Wirkungskreis „gesucht, wo es Spendenmöglichkeiten gibt“.

Dass Fekter 2009 Fondsvermögen zur Errichtung eines Asylerstaufnahmezentrums in Eberau heranziehen wollte, habe ihn „nicht glücklich“ gemacht, räumte der Sektionschef im Ruhestand ein: „Aber ein Ministerwunsch ist ein Auftrag.“ Die Verhandlung wird am Freitag mit ergänzenden Fragen an den pensionierten Spitzenbeamten fortgesetzt. Anschließend werden die zwei aktiv im Dienst stehenden mitangeklagten Spitzenbeamten des Innenressorts vernommen. Im Fall von Schuldsprüchen stehen Freiheitsstrafen von bis zu zehn Jahren und der Amtsverlust sowie das Verwirken sämtlicher Ruhegenussansprüche im Raum.