Türken in Wien
APA/Helmut Fohringer
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Politik

Studien sehen Parallelgesellschaften bestätigt

70 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher glauben, dass Parallelgesellschaften im Land existieren. 70 Prozent der Wiener nehmen soziale Brennpunkte in der Stadt wahr. Beide Studien sieht Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) als Unterstützung für die Einführung eines Frühwarnsystem.

Für die Studie zu Parallelgesellschaften ließ der Österreichische Integrationsfonds (ÖIF) 1.000 Österreicherinnen und Österreicher befragen. Die Umfrage fand von 9. bis 11. Juli statt, also nach den Gewaltausbrüchen bei Demonstrationen in Favoriten. Dabei waren türkische Nationalisten und kurdische Demonstranten aneinandergeraten. 70 Prozent glauben, dass Parallelgesellschaften existieren. Etwa drei Viertel der Befragten denken, dass es sich bei diesen Vorfällen um einen importierten Konflikt handelt. Wiederum 70 Prozent sehen dadurch negative Folgen für das Zusammenleben, so das Resümee des Sozialwissenschaftlers Rudolf Bretschneider.

Drogen, Alkohol, Asyl als soziale Brennpunkte

Bretschneider präsentierte eine zweite Umfrage, die ebenfalls vom ÖIF in Auftrag gegeben wurde. Diese Studie wurde noch vor den Gewalttätigkeiten in Favoriten abgeschlossen, befragt wurden 1.000 Wienerinnen und Wiener. Laut dieser meinten dabei 70 Prozent der Teilnehmer, dass sie in der Bundeshauptstadt soziale Brennpunkte wahrnehmen. Das Bewusstsein sei in den Flächenbezirken am größten, aber auch innerhalb des Gürtels zu finden, so Bretschneider. Zunächst hätten die Befragten aber einmal an Drogen- oder Alkoholprobleme gedacht, dann erst an Asylwerber und Menschen mit Migrationshintergrund, erläuterte Bretschneider.

Ebenfalls 70 Prozent sehen eine Zunahme von Problemen, und das vor allem in Schulen und Kindergärten. Für 42 Prozent der Befragten habe sich das persönliche Sicherheitsgefühl verschlechtert, so Bretschneider: „Das ist etwas, was durchaus verhaltensrelevant werden kann.“ Der Wissenschaftler betonte, dass die Studie lange vor den Vorfällen in Favoriten und auch vor Beginn der Coronavirus-Krise durchgeführt wurde.

Parallelgesellschaft als Nährboden für Gewalt

Raab nahm die Umfrage und die Studie als statistisches Unterfutter für ihre Forderung, ein Frühwarnsystem für Parallelgesellschaften zu etablieren. Denn diese seien „Nährboden“ dafür, dass es letztlich zu „Gewalteskalationen“ wie in Favoriten komme. Auch behinderten Parallelstrukturen die Integrationsbemühungen.

Dass Menschen mit Migrationshintergrund in Favoriten „aufeinander losgegangen sind“, müsse aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet werden. Einer dieser sei der Sicherheitsaspekt, für den der Innenminister zuständig sei, der andere sei die gesamtgesellschaftliche Perspektive, diese müsse ebenfalls beleuchtet werden. Dabei sei wichtig, dort hinzusehen, wo Migrationskonflikte entstünden. Die Gewalteskalation sei bloß die „Spitze des Eisbergs“, Parallelstrukturen deren „Nährboden“.

Viele Faktoren miteinander verknüpfen

Bei ihrem „Frühwarnsystem“ will Raab Faktoren wie den Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund in einem Stadtteil, die Frage, welche Vereine dort tätig sind, oder sozioökonomische Faktoren wie Arbeitsmarktbeteiligung und das Bildungsniveau berücksichtigen. Es gehe aber auch um Fragen, wie unterschiedliche Gruppen über Soziale Netzwerke Kontakt herstellen, so Raab.

Raab informierte sich dazu auch international. So habe sie vor Kurzem mit dem Bürgermeister der französischen Stadt Dijon gesprochen, wo es über Tage zu Zusammenstößen zwischen Tschetschenen und anderen Migrantengruppen gekommen war. Auch will Raab Vereine einladen, die augenscheinlich in derartige Konflikte oder beim Entstehen von Parallelgesellschaften involviert sind: „Wo entstehen sie, und wie kann man da dagegen arbeiten.“ Darüber hinaus gehe es aber auch um die „emotionale Ebene“, also wie Menschen Integration wahrnehmen. Denn schließlich sei deren Empfinden darüber ein Faktor, „ob Integration gelingt oder nicht“.