Komponist Walter Arlen 2011 bei Interview
APA/Georg Hochmuth
APA/Georg Hochmuth
Kultur

Walter Arlen: Uraufführung zum 100er

Der aus Wien stammenden Komponist Walter Arlen feiert heute in Los Angeles seinen 100. Geburtstag. Am Abend wird der Stummfilm „Stadt ohne Juden“ mit einer neuen Filmmusik Arlens präsentiert.

Im Rahmen des Festivals „Wien wie noch nie“ zeigt das Filmarchiv am Freitag im Augarten und am Samstag im Metro-Kinokulturhaus die nach einer Crowdfunding-Aktion restaurierte Version von „Stadt ohne Juden“. Walter Arlen hat für den Film aus dem Jahr 1924 gemeinsam mit Michael-Alexander Brandstetter eine neue Filmmusik gestaltet – es ist der erste Soundtrack des gebürtigen Wieners.

Komponist Walter Arlen 2011
APA/Georg Hochmuth
Walter Arlen feiert seinen 100. Geburtstag

Musikalische Entdeckung im Kaufhaus

Geboren wurde Walter Arlen am 31. Juli 1920 als Walter Aptowitzer in Ottakring. Zur Musik kam er im großelterlichen Kaufhaus am Brunnenmarkt, dem „Warenhaus Dichter“: Dort hatte ein Verwandter, der später in den USA als Psychologe zum „Vater der Motivforschung“ gewordene Ernest Dichter, eine Grammofonanlage zur Musikbeschallung installiert – eine unerhörte Innovation in der damaligen Zeit. „Mir hat das so gefallen, dass ich die Lieder mitgesungen habe.“ Damals darunter: das populäre Wienerlied „Wenn die letzte Blaue geht“, das Arlen im Jahr 2000 als eine seiner letzten Kompositionen paraphrasierte.

Das Gesangstalent des Buben war jedenfalls damals so auffällig, dass er als Fünfjähriger dem später als Verfasser des Schubert-Werksverzeichnisses berühmt gewordenen Musikwissenschafter Otto Erich Deutsch vorgestellt wurde. Dieser konstatierte absolutes Gehör und empfahl Klavierstunden und Musikausbildung.

Doch weder diese Expertise noch Konzert- und Opernerlebnisse an der Seite seiner Eltern begründeten – von Klavierstunden abgesehen – eine solide musikalische Ausbildung. „Ich war für die Übernahme der Leitung im Warenhaus vorgesehen. Als ich mit 15 endlich den Mut hatte, meine Eltern nach Stunden in Harmonielehre und Komposition zu fragen, war die Antwort: Mach’ zuerst deine Matura“, erzählte Arlen 2011 in einem APA-Interview.

Das erste Jahrhundert des Walter Arlen

Hundert Jahre wird Walter Arlen am 31. 7. 2020. Hundert Jahre, die wieder aufleben, wenn Arlen – geistig wach und körperlich fit – im schönsten Wienerisch erzählt: wie er in Ottakring aufwuchs, wie sein Großvater, der jüdische Kaufhausbesitzer Leopold Dichter, sein musikalisches Talent entdeckte und förderte, wie seine Tante plötzlich die Josefstädterstraße schrubbte, seine Mutter ihre Arbeit verlor, der Vater abgeholt wurde und wie 1938 ein Visum in die USA sein Leben rettet.

Ausreise in die USA 1939

Mit dem „Anschluss“ wurde alles anders. Schon in der Nacht auf den 13. März 1938 drangen SA-Männer plündernd in die elterliche Wohnung ein, misshandelten den Buben und verhafteten den Vater. Für die Familie begann ein Martyrium aus Demütigungen, Verfolgung, Enteignung und Repressalien. Dank amerikanischer Verwandter gelang dem 18-Jährigen schließlich am 14. März 1939 die Ausreise in die USA.

Dort begann er unter neuem Namen, sich eine Existenz aufzubauen, „aber mit der Musik war zunächst einmal Schluss“. Die Unterstützung der Familie Pritzker sicherte das ökonomische Überleben: „Fanny Pritzker hat ihrem Pelzhändler gesagt: Give him a job. Und er hat geantwortet: Yes, Mrs. Pritzker.“

Dennoch wurde aus Walter Arlen letztlich kein Kürschner, und er landete am Ende doch bei der Musik: 1947 wurde er Assistent des Komponisten Roy Harris, 1952 begann seine Arbeit als Musikkritiker bei der „Los Angeles Times“, 1969 gründete er die Musikabteilung an der Loyola Marymount University in Los Angeles, deren Vorstand er bis 1998 war. „Ich habe nie viel verdient, aber immer viel gearbeitet“, lautet seine Lebensbilanz.

Vorlass in der Wien-Bibliothek

Selbst zu komponieren, das hat Walter Arlen erst in der Pension wieder aufgenommen. „Das war ein Blödsinn, dass ich so lange nichts geschrieben habe. Aber ich habe immer befürchtet, dass dann jemand sagen könnte: ‚Der schreibt so an Dreck – und mich kritisiert er‘“, resümierte der Jubilar jüngst im „Kurier“-Interview. Dennoch umfasst sein Oeuvre heute Kammermusik, Lieder, Songs und Stücke für Klavier.

Mit seiner Geburtsstadt Wien, die wiederzusehen bei der ersten Rückkehr 1965 auch aufgrund des nicht versiegten Antisemitismus und der geringen Restitutionsanstrengungen schmerzhaft war, hat Walter Arlen erst in den vergangenen Jahren seinen Frieden gemacht. 2011 überlies Arlen seinen Vorlass mit Kompositionen und Korrespondenz mit Zeitgenossen wie dem Komponisten Jan Sibelius und Charles Haubiel sowie die Fotosammlung seiner Familie der Wienbibliothek im Rathaus.

Walter Arlen ist seit 2008 Träger des Goldenen Ehrenzeichens für Verdienste um die Republik Österreich, seit 2011 Träger des Goldenen Verdienstzeichen des Landes Wien und wurde 2015 mit dem Goldenen Rathausmann der Stadt Wien ausgezeichnet.