Eröffnung der „Schandwache“ zur Bewachung der Graffiti am Lueger-Denkmal (künstlerisch-performative Aktion in Kooperation mit politischen Organisationen) am Montag, 05. Oktober 2020, in Wien.
APA/Herbert Pfarrhofer
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Chronik

„Schandwache“ bei Lueger-Denkmal gestört

Rechtsextreme Aktivisten haben am Montag eine „Schandwache“ von Künstlerinnen und Künstlern beim Lueger-Denkmal gestört. Die Wache sollte eigentlich die Stadt daran hindern, die im Sommer angebrachten Graffiti zu entfernen.

An zwei Stellen hatten die Künstlerinnen und Künstler rund um Eduard Freudmann die Graffitti abgenommen, in Beton gegossen und golden bemalt wieder angebracht. Der von den Behörden errichtete Bauzaun wurde teilweise entfernt und ein Banner der „Schandwache“ angebracht. Prominente Unterstützung erhielt die Gruppe von der Schriftstellerin Marlene Streeruwitz.

Eröffnung mit Marlene Streeruwitz anl. „Schandwache“ zur Bewachung der Graffiti am Lueger-Denkmal (künstlerisch-performative Aktion in Kooperation mit politischen Organisationen) am Montag, 05. Oktober 2020, in Wien.
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Schriftstellerin Marlene Streeruwitz „für Weggestaltung“

„Ich bin für eine Weggestaltung. Das ist ein Operettendenkmal. Das ist die Erinnerung an ein Wien, das es nie gegeben hat“, so Streeruwitz bei ihrer kurzen Rede, in der sie an jenes Wien erinnerte, wie es der Schriftsteller Theodor Kramer schilderte. „Ich finde, dass eigentlich Theodor Kramer hier sein sollte.“

Mit Hammer und Meißel Buchstaben entfernt

Wie nun ein Video auf Twitter zeigt, wurde die „Schandwache“ von rechtsextremen Aktivisten gestört. Diese sind dabei zu sehen, wie sie die in Beton gegossenen Buchstaben vom Denkmal mit Hammer und Meißel entfernen. „Wir sind auch eine Kunstaktion. Wir sind der Wiener Re-Aktionismus“, so der Anführer der Gruppe gegenüber der APA. Man befreie das Denkmal „von der Schande der Schändung“.

Die Wiener Polizei bestätigte einen Einsatz beim Denkmal. „Die Kollegen sichern das Denkmal ab. Auch in der Nacht“, sagte Polizeisprecher Marco Jammer gegenüber wien.ORF.at. Zu einer möglichen Identitätsfeststellung der Beteiligten könne man derzeit aber noch nichts sagen. Auch ob strafrechtlich Relevantes vorliege, müsse noch geprüft werden.

Akademie-Rektor unterstützt Aktion

Rückendeckung bekam die „Schandwache“ der Künstlerinnen und Künstler von Akademie-Rektor Johan Hartle. Er stelle sich „ausdrücklich“ hinter die Initiative, die Studierende mit angestoßen hätten. Es gehe darum, den öffentlichen Raum zu demokratisieren, das „nur klein kommentierte Denkmal“ werde als „glorreicher Traditionsbestand“ gewürdigt.

Täglich von 9.00 bis 18.00 Uhr sollen unterschiedliche Organisationen wie die Jüdische HochschülerInnenschaft, die Sozialistische Jugend, die Muslimische Jugend Österreich, der KZ-Verband und Sodom Vienna vor dem Denkmal Wache halten. Die Künstlergruppe, der auch Mischa Guttmann, Gin Müller, Simon Nagy und Anna Witt angehören, fordert von Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) und Vizebürgermeisterin Birgit Hebein (Grüne) „ein klares Bekenntnis zur Umgestaltung des Lueger-Denkmals und zur Umbenennung des Lueger-Platzes“, wie sie am Vormittag bei einem Pressetermin erklärten.

Die Graffiti müssten bleiben, bis eine grundlegende Umgestaltung des Denkmals realisiert worden ist. „Ihre Entfernung wäre ein weiterer Akt des Antisemitismus“, so die Gruppe, die während des Auftakts der Mahnwache sogleich von einem erbosten Bürger lautstark kritisiert wurde. „Wir sollten Denkmäler als Orte der Auseinandersetzung mit Geschichte etablieren“, so Guttmann. „Dass Luegers Antisemitismus in seinem Denkmal unter den Teppich gekehrt wird, ist ein Skandal – und gleichzeitig so typisch österreichisch.“

Immer wieder Wirbel um Denkmal

Die Statue am Dr.-Karl-Lueger-Platz nahe der Ringstraße wurde dort 1926 aufgestellt und erinnert an den 1910 verstorbenen einstigen Bürgermeister der Stadt Wien, der als einer der Mitbegründer des politischen Antisemitismus gilt. Seit Juni wurde die Anlage wiederholt mit Parolen wie „Schande“ beschmiert. Die Diskussion über das vom Bildhauer Josef Müllner geschaffene Heldenwerk ist dabei schon deutlich älter. Schon 2009 hatte die Universität für angewandte Kunst einen Ideenwettbewerb zur Umgestaltung des Monuments ausgeschrieben. Im Jahr 2016 wurde eine Zusatztafel errichtet.

Lueger war von 1897 bis 1910 Wiener Bürgermeister. Er gilt einerseits als wichtiger Kommunalpolitiker, andererseits aber auch als Begründer des populistischen Antisemitismus. Er machte den Antisemitismus in Österreich salonfähig. Adolf Hitler würdigte Lueger in seinem Buch „Mein Kampf“ als den „gewaltigsten deutschen Bürgermeister aller Zeiten“.

Treffpunkt für Rechtsextreme

Bereits 2012 sprachen sich die Wiener Grünen dafür aus, das Denkmal um 3,5 Grad nach rechts zu kippen. Das sah ein Entwurf des Künstlers Klemens Wihlidal vor, der allerdings bis heute nicht umgesetzt wurde. Die Forderung nach einer Umgestaltung des Denkmals findet sich aber auch im aktuellen Wahlprogramm der Grünen, berichtete der „Standard“.

Das Lueger-Denkmal gilt laut dem Bericht auch weiterhin als Treffpunkt für Rechtsextreme. Im September 2019 hielten die rechtsextremen Identitären eine Kundgebung vor dem Denkmal ab. Erst im März dieses Jahres kam es dort wieder zu einer kleineren Ansammlung der Identitären und der extrem rechten Gruppe Okzident des ehemaligen PEGIDA-Österreich-Gründers Georg Nagel.