Chronik

50 Stiche auf Ex-Freundin: Zehn Jahre Haft

Wegen versuchten Mordes an seiner Ex-Freundin ist ein 17-Jähriger am Montag am Wiener Landesgericht für Strafsachen zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Zusätzlich wurde er in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.

Der Angeklagte hatte am 27. Februar 2020 der 16 Jahre alten Schülerin in Floridsdorf 50 Messerstiche versetzt, wovon 18 in den Kopfbereich und 15 ins Gesicht gingen. Das Überleben des Mädchens, das noch selbst den Notruf verständigt hatte, grenzte an ein Wunder. Beim Eintreffen im Spital wurde ihr Zustand von den Ärzten als „lebensbedrohlich, nicht aussichtsreich“ beschrieben.

Das Mädchen musste bis Anfang Mai im Spital behandelt werden und befand sich bis Ende September auf Reha. Die 16-Jährige leidet laut eigenen Angaben unter eingeschränktem Sehvermögen, Beschwerden beim Gehen und befindet sich in ergo-, physio- und psychotherapeutische Behandlungen.

17-Jähriger soll Opfer „wöchentlich“ geschlagen haben

Sie hatte den rund ein halbes Jahr älteren Burschen nach einer Klassenfahrt kennengelernt und sich in ihn verliebt. Zunächst verlief die Beziehung harmonisch, nach zwei Monaten verbot er ihr allerdings bauchfreie Kleidung und kurze Röcke, kontrollierte ihr Handy und untersagte ihr Kontakte zu Vertretern des männlichen Geschlechts. Wenn sie sich ihm widersetzte, „wurde er sauer“, schilderte das Mädchen dem Schwurgericht.

Hilfe für Betroffene

  • Frauennotruf Wien: 01 71 71 9
  • Frauenhäuser Wien: 05 77 22
  • Frauenhelpline gegen Gewalt: 0800 222 555

Im Herbst 2018 begann er sie zu schlagen, „wöchentlich“, wie die 16-Jährige betonte. Im August 2019 schrie er sie an und zerrte sie an den Haaren zurück in die Wohnung, weil sie mit einem in seinen Augen zu freizügigen Kleid ins Freie gegangen war. Daraufhin beendete sie die Beziehung.

Monatelang gab es keinen Kontakt, bis er ihr im November zum Geburtstag gratulierte und sich für sein gewalttätiges Verhalten entschuldigte: „Eine Woche später habe ich ihm verziehen.“ Bis Anfang Februar kam es zu keinen Gewalttätigkeiten, ehe er sie in einem Park bewusstlos schlug. Sie habe sich danach nicht zu sagen getraut, dass es Aus war, verriet die Jugendliche im Zeugenstand: „Ich habe versucht, es indirekt zu sagen, aber ich weiß nicht, ob er es verstanden hat.“

Persönlichkeitsstörung bei 17-jährigen festgestellt

Die psychiatrische Sachverständige Gabriele Wörgötter machte beim Angeklagten eine schwere Persönlichkeitsentwicklungsstörung aus. Nach außen hin wirke der 17-Jährige unauffällig, aber hinter dieser Fassade verberge sich jemand, der weder zu Emotionen noch Gefühlsregungen fähig sei – auch nicht sich selbst gegenüber. Sie habe den Burschen zwei Mal untersucht, legte Wörgötter dar. Dabei habe er zur Tat nicht Stellung nehmen wollen: „Er will nicht darüber nachdenken. Er will es möglichst rasch vergessen.“

Der Angeklagte habe seine Freundin als „Objekt, das er besitzt und sich nicht wegnehmen lässt“ gesehen. Kausal dafür dürften laut Wörgötter dysfunktionale Familienverhältnisse gewesen sein. Dem Burschen wäre „eine überstarke Orientierung an familiären Strukturen und Religion“ eigen. Für die psychiatrische Sachverständige war „dieses Störungsbild tatwirksam. Er habe das Opfer als Gegenstand erlebt, den man vernichten muss, wenn er nicht mehr verfügbar ist“.

Angeklagter bekennt sich schuldig

Der Angeklagte hatte sich schuldig bekannt, war darüber hinaus aber zu keinen weiteren Angaben bereit. Er machte von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch.Im Fall eines Schuldspruchs empfahl die Expertin zur Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher, da die Persönlichkeitsentwicklungsstörung des Jugendlichen ohne entsprechende Behandlung eine Gefahr darstelle, die nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis schlagend werden könnte.

Erst in seinem Schlusswort gab der 17-Jährige eine kurze Stellungnahme ab. „Die Tat tut mir wirklich sehr leid. Ich wünsche ihr (der Ex-Freundin, Anm.) gute Besserung, auch viel Gesundheit, dass es ihr bald besser geht, dass ihr Leben weiter geht“, sagte der 17-Jährige nach dem Beweisverfahren.

Urteil nicht rechtskräftig

Bei der Strafbemessung wurden das Geständnis, die bisherige Unbescholtenheit, die schwere Persönlichkeitsstörung und der Umstand, dass das Opfer überlebt hatte, mildernd gewertet. Erschwerend waren die für das Opfer qualvolle Tatbegehung sowie „das außergewöhnliche Ausmaß an Gewalt“, wie der Vorsitzende Richter Andreas Hautz in der Urteilsbegründung bemerkte. Die 16-Jährige, die sich als Privatbeteiligte dem Verfahren angeschlossen hatte, bekam 166.500 Euro an finanzieller Wiedergutmachung zugesprochen.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Verteidiger Mayer akzeptierte die Entscheidung, die Staatsanwältin gab vorerst keine Erklärung ab. Nach dem Jugendgerichtsgesetz wäre dem Schwurgericht ein Strafrahmen von bis zu 15 Jahren zur Verfügung gestanden.