Viennale in Wien
Robert Newald
Robert Newald
Kultur

58. Viennale trotzt CoV-Pandemie

Am 22. Oktober soll die Eröffnung der 58. Viennale mit Susanna Nicchiarellis Biopic „Miss Marx“ gefeiert werden. Dienstagabend enthüllte Festivalchefin Eva Sangiorgi das Programm des Filmfestivals, das coronabedingt um drei Tage und zahlreiche Filme gekürzt wurde.

Waren im Vorjahr rund 300 Werke zu sehen, ist diese Zahl heuer deutlich niedriger. Dennoch finden sich alleine im regulären Programm 86 Spiel- und Dokumentarfilme sowie 27 Kurzfilme. Hinzu kommen zwei Monografien, die Christoph Schlingensief und Isabel Pagliai gewidmet sind. Auf dem Programm stehen auch Kinematografien für Zelimir Zilnik, das Austrokino der 70er und eine Auswahl des heuer geplanten Diagonale-Programms sowie die traditionelle Retrospektive gemeinsam mit dem Filmmuseum, die heuer dem „Recycled Cinema“ gewidmet ist.

Eine Präsenzausgabe des heurigen Festivals sei für sie von zentraler Bedeutung gewesen, unterstrich Sangiorgi, sei doch das Zusammenleben in gemeinsamen Räumen auch in Viruszeiten wichtig: „Wir öffnen neue Türen, anstatt sie zu schließen.“

Vom Berlinale- bis zum Venedig-Gewinner

Zu sehen sein wird etwa der Gewinner des heurigen Goldenen Bären bei der Berlinale, Mohammad Rasoulofs „Sheytan Vojud Nadarad“ („Doch das Böse gibt es nicht“). Der iranische Regisseur erzählt dabei in vier voneinander unabhängigen Episoden von einer Gesellschaft, in der Todesstrafe zum Alltag gehört, und vom tiefen menschlichen Leid, das diese verursacht.

Mit Chloe Zhaos „Nomadland“ ist andererseits auch der Preisträger des Goldenen Löwen von Venedig zu erleben, bei dem Frances McDormand eine Frau spielt, die sich aus der Not heraus zu einem Nomadenleben entschließt. Mit Nöten anderer Art ist die Protagonistin von Eliza Hittmans „Never Rarely Sometimes Always“ konfrontiert, muss sie doch zwei Tage in New York wegen einer Abtreibung verbringen.

Eva Sangiorgi
APA/Herbert Pfarrhofer
Viennale-Leiterin Eva Sangiorgi will „neue Türen öffnen“

Für die Freunde des Direct Cinemas erkundet der 90-jährige Altmeister Frederick Wiseman unter dem Titel „City Hall“ in viereinhalb Stunden die Stadtverwaltung seiner Heimatstadt Boston, während Kelly Reichardt mit ihrem Westerndrama „First Cow“ eine andere Epoche der US-Geschichte beleuchtet. Mit ihrer Familienaufstellung eines kleinkriminellen Clans unter dem Titel „Kajillionaire“ ist Miranda July vertreten, während das dialoglose, in Schwarz-Weiß gehaltene Schweineporträt „Gunda“ des russischen Filmessayisten Wiktor Kossakovsky so ziemlich das Gegenteil dazu darstellt.

Neuer Francois Ozon zu sehen

Zwei Burschen im sommerlichen Frankreich des Jahres 1985 lässt Starregisseur Francois Ozon in „Ete 85“ in bester Retromanier aufeinandertreffen und sich verlieben, wobei nur einer der beiden die Begegnung überleben wird. In Mona Fastvolds historischem Film „The World to Come“ sind es indes zwei Frauen, die sich im 19. Jahrhundert ineinander verlieben, obwohl es für diese Art der Beziehung schlicht noch kein mögliches Rollenbild gibt.

Tickets ab Samstag

Der Ticketvorverkauf für die Viennale startet am 17. Oktober um 10.00 Uhr.

Dogma-Ikone Thomas Vinterberg ist mit der Midelife-Crisis-Alkoholspiegel-Farce „Druk“ („Another Round“) mit von der Partie, während Josephine Decker in „Shirley“ mit der herausragenden Elisabeth Moss das Psychobild der Autorin Shirley Jackson zeichnet. Auch wieder mit im Reigen ist der philippinische Stammgast Lav Diaz, der mit dem für seine Verhältnisse beinahe schon kurzfilmartigen zweieinhalbstündigen Essay „Lahi, hayop“ der Frage nachgeht, was den Menschen zum Menschen macht.

Bosnienkriegsdrama und vergangene Strizzikultur

Stark vertreten ist heuer auch das heimische Filmschaffen – auch abseits der eigenen Schiene „Kollektion Diagonale’20“, bei der man den Kollegen aus Graz ein Forum für die im Frühjahr abgesagte Ausgabe samt einiger Wettbewerbsfilme bietet. Gerade frisch beim Zürich Film Festival gekürt ist etwa Evi Romens Regiedebüt „Hochwald“ zu erleben.

Gleiches gilt für Tizza Covis und Rainer Frimmels neue Dokumentararbeit, die sich unter dem Titel „Aufzeichnungen aus der Unterwelt“ der vergangenen Wiener Strizzikultur widmet. Gerade noch in Venedig im Wettbewerb, stellt Regisseurin Jasmila Zbanic ihre österreichische Koproduktion, das Bosnienkriegsdrama „Quo vadis, Aida?“, nun auch in Wien vor, während Hubert Sauper seine Kuba-Hommage „Epicentro“ nach dem Triumph in Sundance nun auch nach Wien bringt.

Und dann gibt es noch die beiden Filme, die gleichsam die Klammer für das Festivalprogramm darstellen. Susanna Nichiarellis ungewöhnliches Biopic „Miss Marx“ steht bereits seit Längerem als Eröffnungsfilm fest. Nun ist auch klar, welches Werk den Filmreigen am 1. November beenden wird: Michael Dweck und Gregory Kershaw begleiten in „The Truffle Hunters“ die alten Weisen auf der Suche nach dem Alba-Trüffel im Piemont. Beide Werke werden jeweils parallel in allen beteiligten Kinos der heurigen Viennale gezeigt.

Festival mit Maskenpflicht und Abstand

Die Viennale setzt dabei wie alle großen Kulturinstitutionen auf ein eigenes Coronavirus-Sicherheitskonzept, das von Abstand zwischen gebuchten Sitzen über fixe Sitzplatzzuweisung und Maskenpflicht bis hin zum Dauertesten der Teams mit Kundenkontakt reicht.

Um die reduzierte Sitzplatzkapazität zumindest teilweise auszugleichen, kooperiert man heuer mit fünf weiteren Wiener Kinos. Und auch wenn die Mehrheit der Künstlerinnen und Künstler heuer nicht persönlich nach Wien wird anreisen können, versucht man, diese fehlende Präsenz mit digitalen Mitteln zu kompensieren.

Kaup-Hasler: „Wollen, dass Kinos dieser Stadt überleben“

Alles Gute wünschte Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ), die sich nach der Wien-Wahl von Sonntag zwar noch Gratulationen als verfrüht verbat, zugleich aber in Aussicht stellte, dass das nicht ihre letzte Viennale-Pressekonferenz gewesen sein dürfte: „Ich habe alle guten Zeichen, dass wir weitere fünf Jahre miteinander arbeiten werden.“

Michael Loebenstein, Filmmuseum Direktor
APA/Herbert Pfarrhofer
Stets Partner der Viennale ist das Filmmuseum (im Bild: Direktor Michael Loebenstein)

Das Kino als Fenster zur Welt sei gerade in Zeiten extremer Isolation von immenser Bedeutung: „Ich vermisse den Blick hinaus in andere Narrative.“ Insofern zeige sich in Wien, dass die Kultur mit aller Vorsicht auch in Coronazeiten stattfinden könne: „Wir wollen, dass die Kultur überlebt und dass die Kinos dieser Stadt überleben“, so Kaup-Hasler.

Diesen Optimismus nahm auch Michael Loebenstein, als Filmmuseum-Direktor auch Kooperationspartner der Viennale, auf: „Es ist etwas ganz Spezielles für uns, dass diese Viennale stattfinden kann. (…) Das ist alles andere als normal. Normal ist es nämlich tatsächlich nicht, dass man solche Freiheiten hat, Kultur gestalten zu können.“