Im Falle einer Regierung würden die Sitze der Mandate im Gemeinderat zwischen den Koalitionspartnern weit auseinandergehen: Die SPÖ hat 48 Mandate im Gemeinderat erreicht, mit deutlich weniger, nämlich mit acht Mandaten, zieht NEOS in den Gemeinderat. Im „Wien heute“-Interview mit Paul Tesarek betonte Ludwig, dass „unabhängig von der Größe der Parteien eine Koalition auf Augenhöhe möglich ist“.
Eines müsse aber natürlich klar sein, dass das Regierungsprogramm in unterschiedlicher Art und Weise geprägt sei: Ludwig stellt klar, dass „nicht alle Anliegen von der jeweiligen Partei zu 100 Prozent durchgesetzt werden können“. Das müsse er „sowohl seinen eigenen Unterstützern als auch denen der NEOS erklären“. Der Frage, ob eine Koalition mit den Grünen sein Plan B ist, weicht Ludwig aus: „Wir sind überzeugt, dass die Verhandlungen mit NEOS zu einem positiven Ergebnis kommen.“
Ludwig verkündet Koalitionsverhandlungen mit NEOS
Die nächste Stadtregierung dürfte rot-pink werden, die SPÖ startet ihre Koalitionsverhandlungen mit NEOS. Damit ist vorerst das Ende der rot-grünen Ära eingeläutet.
Erste Teams nehmen am Mittwoch Gespräche auf
Gleich bei ihrer ersten Verhandlungsrunde am Dienstagabend haben sich SPÖ und NEOS auf erste Modalitäten zum weiteren Gesprächsverlauf geeinigt. Acht Untergruppen werden die diversen Themenbereiche inhaltlich abarbeiten. Die ersten Teams sollen sich bereits Mittwochfrüh treffen.
Die acht Untergruppen heißen wie folgt: „Leistbare Stadt“, „Lebenswerte Klimamusterstadt“, „Moderne Stadt – Smart City“, „Stadt des Wissens – Bildung“, „Stadt der Arbeit – Arbeit und Wirtschaft“, „Sozialer Zusammenhalt“, „Respektvolles Miteinander“ und „Transparente Stadt“. Diese Teams sollen jeweils Fortschritte in ihrem Bereich erzielen.
Darüber hinaus gibt es – wie bei Koalitionsverhandlungen üblich – ein rotes und pinkes Kernteam, dem wohl auch die Parteichefs Michael Ludwig (SPÖ) bzw. Christoph Wiederkehr (NEOS) angehören. Dort werden normalerweise Zwischenergebnisse rückgemeldet bzw. etwaige Knackpunkte quasi auf Chefebene besprochen. Über die genaue personelle Zusammensetzung der Haupt- bzw. Untergruppen war vorerst nichts zu erfahren.

Deutliches Abstimmungsergebnis in SPÖ-Gremien
„Die Zeit ist reif, etwas Neues zu versuchen“, hatte SPÖ-Wien-Chef und Bürgermeister Ludwig in einer Pressekonferenz angekündigt, der eine Tür zu einer „Fortschrittskoalition“ öffnen will. Es habe sich sehr schnell in den Sondierungsgesprächen gezeigt, „mit welcher Partei es eher möglich sein wird, Übereinstimmungen zu finden“. Die Entscheidung sei innerhalb der SPÖ mit einer großen Mehrheit gefallen. Im Parteivorstand gab es zwei Gegenstimmen, im Präsidium war die Entscheidung einstimmig.
Ludwig betonte, dass es sowohl bei NEOS als auch bei den Grünen inhaltlich „viele Gemeinsamkeiten“ gebe, aber bei der Umsetzung dieser hätten sich in den Sondierungsgesprächen „Unterschiede bei der Betonung der Inhalte“ herausgestellt. „Ich werfe der (rot-grünen, Anm.) Koalition keine Steine nach. Vieles ist gelungen“, betonte der Bürgermeister.
NEOS hat „nicht viel Regierungserfahrung“
Die Entscheidung für NEOS sei natürlich immer auch mit einem Risiko behaftet. NEOS habe „noch nicht viel Regierungserfahrung, wenn man von der Beteiligung in Salzburg absieht. Aber ich bin überzeugt – auch aufgrund vieler Gespräche, die es auch im Zuge des Wahlkampfes gegeben hat –, dass der Klubvorsitzende Christoph Wiederkehr sich sehr ernsthaft beteiligen möchte an einer Regierung“, so Ludwig.
Zunächst soll laut Ludwig einmal das Prozedere für den weiteren Gesprächsverlauf mit NEOS geklärt werden, danach sollen in Arbeitsgruppen die unterschiedlichen Themen durchgenommen werden. Erst am Ende stünden die Ressortzuteilung und die personelle Besetzung. Es gebe jedenfalls in der SPÖ die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen.

NEOS feiert „historischen Tag“
Erfreut hat sich NEOS-Wien-Chef Christoph Wiederkehr über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen gezeigt. Er ist zuversichtlich, dass die Gespräche zu einem positiven Abschluss kommen werden. „Wir sind zwei unterschiedliche Parteien mit Unterschieden in mehreren Politikfeldern. Und wir werden uns in unterschiedlichen Bereichen annähern und gemeinsame Visionen für die Stadt entwickeln. Das wird sicherlich die Herausforderung und Aufgabe sein in Koalitionsverhandlungen“, sagte Wiederkehr.
Aber: „Wir haben in der Sondierung schon gesehen, dass wir in vielen Bereichen auch gute Kompromisse, die für diese Stadt gut sind, schließen können. Und darum bin ich sehr zuversichtlich, dass auch die Verhandlungen gut verlaufen werden.“
Freude über „Handschlagqualität“
Für NEOS sei der Dienstag ein „historischer Tag“, so Wiederkehr – und das nicht nur wegen Ludwigs Ankündigung über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen. Heute vor acht Jahren fand das NEOS-Gründungskonvent statt. NEOS hätte seitdem bewiesen, dass sie sowohl im Bund als auch in Landtagen „eine sehr wichtige Kontrollaufgabe“ übernommen hätten. Und: „Wir haben auch schon beweisen können mit der Regierungsbeteiligung in Salzburg, dass wir auch in einer Regierung viel voranbringen.“

Wiederkehr freut sich mit Blick auf die Entscheidung der SPÖ, dass „der Wille da ist, mit uns etwas Neues zu wagen“ – dem potenziellen Koalitionspartner streute er vorweg schon einmal Rosen: „Ich habe Michael Ludwig im Wahlkampf als jemanden kennengelernt mit Handschlagqualität, als jemanden, auf den man sich verlassen kann.“ Dabei erinnerte er an das von NEOS initiierte Fairnessabkommen im Wahlkampf, das Sanktionen für den Fall vorsah, wenn die Wahlkampfkostenobergrenze nicht eingehalten wird.
Plädoyer für „Reformkoalition“
Das von Ludwig ausgegebene Ziel, dass bis Mitte November die Regierung feststehen soll, hält Wiederkehr für machbar. Wien brauche „eine echte Reformkoalition“, die nicht nur die Coronavirus-Krise gut manage, sondern auch daran denke, was es 2025 und darüber hinaus brauche.
Für die Verhandlungen gab Wiederkehr einen Ausblick: Es brauche einen „großen Wurf“ im Bildungsbereich. „Ich möchte in einer Stadt leben, wo gute Kindergärten und Schulen die Startrampe sind auch für ein geglücktes Leben. Weil die Bildung der essenziellste Faktor ist für ein geglücktes Leben, aber auch für vieles andere.“
Weiters gelte es, Arbeitsplätze zu erhalten und neue zu schaffen. Zudem müssten die Wiener Politik und Verwaltung transparenter werden. Einen wichtigen Stellenwert in den Verhandlungen mit der SPÖ werden auch die Bereiche Klimaschutz, Stadtentwicklung und Verkehr haben.

Erweiterung des Stadtsenats nicht geplant
Ludwig sagte, er plane nicht, den Stadtsenat zu vergrößern. Bleibt es dabei, behält die SPÖ sechs Stadträte, NEOS erhält ein Ressort. Bei den Grünen wären es zwei gewesen. Das sei aber nicht ausschlaggebend für die Entscheidung gewesen, versicherte der Wiener SPÖ-Chef – der allerdings nicht vergaß zu erwähnen, dass die Sozialdemokraten bei der Wahl sechsmal so stark gewesen seien als die Pinken.
Wichtiger seien vielmehr inhaltliche Schnittmengen gewesen: In gesellschaftspolitischen Fragen seien Rot und Pink sehr schnell auf einen gemeinsamen Nenner gekommen, in wirtschaftspolitischen Fragen werde man sich einigen können.
Ludwig will mit Team weiterarbeiten
NEOS hatte sich im Wahlkampf sehr auf das Bildungsthema fokussiert. Und hier dürfte es tatsächlich Bereitschaft seitens des Bürgermeisters geben, das Bildungsressort abzutreten: „Das wird Verhandlungssache sein. Aber man muss dem Koalitionspartner zugestehen, dass er in einem Bereich Verantwortung übernehmen kann, der ihm wichtig ist.“ Kommt es so, muss der derzeitige Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky um seinen Job bangen.
Wobei Ludwig betonte: „Mein Ziel wäre es, mit diesem Team weiterzuarbeiten.“ Czernohorszky könnte also mit anderen Aufgaben betraut werden. Klar ist, dass die Aufnahme der Verhandlungen noch keine Koalition ergibt. Auf die Frage eines Journalisten, ob die Gespräche scheitern könnten, sagte Ludwig: „Was kann man schon im Leben ausschließen? Falls die Gespräche nicht halten, was in den Sondierungen besprochen wurde, hat die SPÖ andere Möglichkeiten.“