Bundespräsident Alexander van der Bellen
Screenshot/twitter.com
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Politik

Pogrome: „Gedenken in Reue und Scham“

Zum Gedenken der Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung in der Nacht auf den 10. November 1938 hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen eine Botschaft an Israel gerichtet: „Wir Österreicher gedenken dieser Verbrechen heute in Reue und Scham.“

Van der Bellen nahm am Nachmittag gemeinsam mit seinem deutschen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier auf Einladung von Israels Staatsoberhaupt Reuven Rivlin virtuell an einer Gedenkveranstaltung der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Jad Vaschem teil. Seine Rede wurde in einer voraufgezeichneten Videoerklärung in Englisch eingespielt. Er unterstrich darin Österreichs Mitverantwortung für die Schoah und die Bedeutung der Erinnerung.

Antisemitismus habe nicht mit dem Nationalsozialismus begonnen, er sei bereits vor der Nazi-Ideologie in Österreich präsent gewesen. Die Diskriminierung habe sich zur Herabwürdigung, zur Entrechtung und letztlich zum Massenmord entwickelt. Das Pogrom am 9. November 1938 sei der erste grausame Höhepunkt der wachsenden nationalsozialistischen Gewalt gegen Juden gewesen, so Van der Bellen.

„Viele Österreicher unter den Tätern“

Die rassistische Gewalt der Nazis habe eine neue, schreckliche Intensität erreicht und gezeigt, wie stark die jüdischen Österreicher ihrer grundlegenden Rechte und Freiheiten beraubt wurden. „Alleine in Wien wurden 42 Synagogen niedergebrannt oder zerstört. Tausende Geschäfte und Wohnungen wurden geplündert. Mehr als 6.500 jüdische Österreicher wurden verhaftet, 4.000 von ihnen wurden ins Konzentrationslager Dachau geschickt.“

„Wir Österreicher gedenken dieser Verbrechen heute in Reue und Scham. Wir, die wir nach der Schoah geboren wurden, bekennen uns: Österreich teilt Verantwortung für die Schoah. Viele Österreicher waren unter den Tätern. Die Anerkennung unserer Verantwortung bedeutet vor allem, dass wir entschieden und mutig jeder Form von Rassismus, Diskriminierung und Antisemitismus entgegentreten, wo immer wir dem begegnen.“

Über Zusammenarbeit „besonders erfreut“

Das sei eine Sache von großer Bedeutung für ihn, betonte der Bundespräsident. „Es ist unsere Pflicht, unser Wunsch und unser Absicht, die jüdischen Gemeinden nicht nur zu schützen, sondern auch zu sichern, dass jüdisches Leben wieder gedeihen kann – sei es in Europa, in Israel oder irgendwo sonst.“ Österreich habe eine starke und lebendige jüdische Gemeinde, die wieder einen wichtigen Teil des Lebens bilde. „Ich hoffe aufrichtig, dass Österreich ein Heim, ein Platz des Friedens und der Sicherheit, für sie sein wird – heute und für immer.“

Über die Zusammenarbeit von Österreich und Israel auf vielen verschiedenen Gebieten gemeinsamen Interesses sei er „besonders erfreut“, denn das sei angesichts der Geschichte keine Selbstverständlichkeit, so der Bundespräsident. Durch das gegenseitige Verstehen und Wiederentdecken würden die beiden Länder auch neue Möglichkeiten zur Zusammenarbeit finden. Die „ungeschriebene Geschichte“ von Österreich und Israel stehe erst am Anfang.

Abschließend unterstrich der Bundespräsident auf Hebräisch: „Niskor we lo nischkach leolam“ – Erinnern und niemals vergessen.

Gedenken im Bundeskanzleramt

Auch die Regierung gedachte gemeinsam mit dem Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde, Oskar Deutsch, der Ereignisse mit einer Onlineveranstaltung im Bundeskanzleramt. Vertreten war die Regierung durch Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP), Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und Ministerin Karoline Edtstadler (ÖVP). Die Pogromnacht „markierte eine folgenschwere Wende: Aus den Worten wurden Taten, die sich gegen die jüdischen Mitmenschen richteten“, sagte Kurz. Aus diesen Taten wurde dann „das größte Menschenverbrechen“. Das Gift des Antisemitismus sei noch immer nicht verschwunden. „Wir müssen darauf achten, nicht stetig neuen Antisemitismus zu importieren durch Menschen, die zu uns kommen“, warnte Kurz.

Menschen sitzen auf Stühlen, im Hintergund Kogler am Rednerpult
APA/Herbert Neubauer
Gedenken im Bundeskanzleramt (Kurz, Edtstadler, Deutsch; v. l. n. r.), Kogler am Rednerpult

Dafür sei in Österreich kein Platz. Nur wer die Würde jedes einzelnen Menschen achte, habe in unserer Gesellschaft Platz. „Gegenüber der Intoleranz darf es keine falsch verstandene Toleranz geben“, so der Kanzler.

Zeitpunkt des Anschlags „wahrscheinlich kein Zufall“

Die Redner widmeten sich in ihren Ansprachen auch dem jüngsten Terroranschlag in Wien mit vier Toten und mehr als zwanzig Verletzten, der sich just vor der einzigen nach der Pogromnacht übrig gebliebenen Synagoge abspielte. Das sei nach Meinung von Kanzler Kurz „wahrscheinlich kein Zufall“.

Die Pogromnacht müsse uns „immer eine Mahnung bleiben“, sagte Edtstadler. „Wir müssen auch acht Jahrzehnte nach dem Ende des dunkelsten Kapitels unseres Landes wachsam bleiben.“ Vizekanzler Kogler zeigte auf, welche Folgen die „zügellose Gewalt“ jener Nacht hatte: Von sechs großen Synagogen und an die hundert Vereinen und Gebetshäusern sei eine einzige Synagoge übrig geblieben.

Absicherung des österreichisch-jüdischen Kulturerbes

Jene Nacht vor 82 Jahren habe gezeigt, dass „dort, wo Hass ist, auch Lebensgefahr ist“, sagte Deutsch. „Wer Jude war, schwebte plötzlich in Lebensgefahr, weil er Jude war.“ Auch der jüngste Terroranschlag in Wien zeige, dass Hass Menschenleben in Gefahr bringe. Die jüdische Gemeinde bringe 20 Prozent ihres Budgets für die Sicherheit auf.

Mit dem präsentierten „Gesetz zur Absicherung des österreichisch-jüdischen Kulturerbes“, das diese Woche im Ministerrat beschlossen wird, wird die Gemeinde mit vier Mio. Euro jährlich unterstützt. Kurz sagte, es sei „ein ehrliches Anliegen, Judentum als zentralen Bestandteil der österreichischen und europäischen Identität zu unterstützen“. Das Gesetz sei ein „historisches Projekt“. Deutsch bedankte sich bei Kurz für dessen ehrliches Einsetzen für die jüdische Gemeinde und verglich ihn in diesem Punkt mit Altkanzler Franz Vranitzky.

Begleitet wurde die Veranstaltung von Texten über die Pogromnacht unter anderen von der Autorin Ruth Klüger, die von Dramaturg Hermann Beil vorgetragen wurden.

Wolfgang Sobotka, Karoline Edtstadler, Oskar Deutsch, Werner Kogler, alle mit weißen Rosen in der Hand
APA/Hans Punz
Sobotka, Edtstadler, Deutsch und Kogler (v. l. n. r.) mit weißen Rosen in der Synagoge

Stilles Gedenken vor Stadttempel

Ein stilles Gedenken gab es vor dem jüdischen Stadttempel in der Wiener Innenstadt. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP), Kogler, Edtstadler und Deutsch legten vier Sträuße mit weißen Rosen nieder. Das Gedenken dauerte nur wenige Minuten. Im Anschluss sahen sich die Politiker die Synagoge, die als einzige in der Pogromnacht nicht zerstört wurde, an.

Nachdem sich Van der Bellen am Wochenende bei einem Sturz in seinem zweiten Amtssitz Mürzsteg am Becken verletzte, übernahm Sobotka – gemeinsam mit Deutsch – auch die Kranzniederlegung beim Mahnmal für die österreichischen Schoah-Opfer auf dem Judenplatz.

Kranzniederlegung vor Mahnmal am Judenplatz, Soldaten bewachen das Mahnmal
APA/Helmut Fohringer
Sobotka legte beim Mahnmal für die jüdischen Opfer der Schoah auf dem Judenplatz einen Kranz nieder

Rendi-Wagner: Dauerhafter Auftrag

Auch weitere Politiker gedachten am Montag der Opfer der Novemberpogrome vor 82 Jahren. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner unterstrich in einer Aussendung, dass das Gedenken an die Novemberpogrome für die Sozialdemokratie ein „dauerhafter Auftrag ist, Antisemitismus, Hass und Hetze mit allen Mitteln zu bekämpfen. ‚Niemals wieder!‘ heißt für uns, dass wir wachsam sein und konsequent gegen antisemitische und rassistische Tendenzen vorgehen müssen“, sagte Rendi-Wagner.

SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch betonte, dass „die jährliche Zunahme antisemitisch, rassistisch und rechtsextrem motivierter Gewalt besorgniserregend ist. Das muss Anlass für die Bundesregierung sein, die Arbeit am Aktionsplan gegen Rechtsextremismus endlich voranzutreiben“. Deutsch unterstrich seine volle Unterstützung für das Mauthausenkomitee Österreich, das letzte Woche den von der Regierung angekündigten Nationalen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus eingefordert hatte.

Hofer: „Schwärzester Tag in jüngerer Geschichte“

FPÖ-Obmann Norbert Hofer bezeichnete die Pogromnacht als „schwärzesten Tag in Österreichs jüngerer Geschichte“. Und weiter: „Der heutige Tag steht im Zeichen von Gedenken und Erinnerung an die damaligen Vorgänge und (ist) ein Auftrag an alle Menschen in diesem Land, dafür Sorge zu tragen, dass Antisemitismus in unserem Land keinen Platz haben darf“, sagte der Dritte Nationalratspräsident.

Hofer erinnerte daran, dass erst vor wenigen Wochen Graz Schauplatz einer antisemitischen Attacke war. Der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde in Graz wurde attackiert, die Synagoge beschmiert und mit Steinen beworfen.