Viele Kerzen bei Ruprechtsstiege
APA/Helmut Fohringer
APA/Helmut Fohringer
Politik

Anschlag: Nicht alle bekommen staatliche Hilfe

Nach dem Anschlag in Wien hat Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) den Opfern bzw. Hinterbliebenen Hilfe sowie Entschädigungen nach dem Verbrechensopfergesetz angekündigt. Offenbar greift die Rechtslage aber zu kurz, um allen zu helfen.

Das zeigt das Beispiel eines Wiener Ehepaars. Es war am Abend des 2. November in der Innenstadt unterwegs, als es in einer Gasse in unmittelbarer Nähe Schüsse wahrnahm. Die beiden flüchteten in dieselbe Richtung, wurden vom Attentäter bemerkt und ins Visier genommen. Ein Projektil traf den Ehemann, der einen Streifschuss erlitt, aber glücklicherweise mit dem Leben davonkam.

Seine Frau blieb unverletzt – wenn auch nur physisch. Das Erlebte hinterließ ebenso wie bei ihrem Mann tiefe Kerben, so dass beide psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen wollen, um das erlittene Trauma bewältigen zu können.

Frau bekommt keine Unterstützung

Während die Therapiekosten für den Mann im Rahmen des Verbrechensopfergesetzes abgedeckt werden, wurde dies im Fall der Frau auf Anfrage seitens des Sozialministeriumservice (SMS) verneint. Darauf hin wandte sich das Ehepaar an die Verbrechensopferhilfe Weißer Ring.

„Die Auskunft, die die beiden Betroffenen erhalten haben, entspricht sowohl der Auskunft, die wir selbst vom Sozialministeriumservice erhalten haben, als auch der geltenden Judikatur“, hieß es seitens des Weißen Rings am Donnerstag. Das Beispiel des Ehepaars mache deutlich, dass sämtliche Personen, die sich im Nahebereich des Terroranschlags befanden, vollen Zugang zu den Leistungen aus dem Verbrechensopfergesetz – Kostenübernahme für Psychotherapie, Pauschalentschädigung für Schmerzengeld und Verdienst- und Unterhaltsentgang – erhalten müssen.

Kein Einzelfall

Die Ehefrau, die im Unterschied zu ihrem Mann keinen Kostenersatz zugesichert bekommen hat, ist kein Einzelfall. „Mittlerweile sind uns bereits weitere, ähnlich gelagerte Fälle bekannt. So betrifft die Frage die zahlreichen Menschen, die vor in ihrer unmittelbaren Nähe abgefeuerten Schüssen geflüchtet sind und sich beispielsweise in diversen Kellern in Sicherheit gebracht haben“, teilte Brigitte Pongratz vom Weißen Ring mit.

Kerzenmeer vor Lokaleingang
APA/Helmut Fohringer
Menschen, die sich etwa in Keller flüchteten, bekommen keine Hilfe

So musste beispielsweise ein Kellner stundenlang mit seinem angeschossenen Kollegen und Gästen in einem Lokal ausharren. Das Verbrechensopfergesetz greift in seinem Fall ebenfalls nicht. Pongratz bekräftigte daher die Forderung, grundsätzlich alle Menschen, die sich während eines terroristischen Anschlags in unmittelbarer Nähe des Tatgeschehens befinden, hinsichtlich ihrer Opferrechte mit direkten Opfern von Gewalt gleichzustellen.

Gesetzesänderung laut Weißer Ring nicht nötig

Dabei vertritt der Weiße Ring die Ansicht, dass es die jetzige Rechtslage schon zuließe, das Verbrechensopfergesetz im Fall von Terroropfern anders zu interpretieren und gar keine Gesetzesänderung nötig wäre, um diesen umfassend staatliche Hilfe zukommen zu lassen. Darüber hinaus verlangt der Weiße Ring, dass ab sofort nicht nur in Fällen häuslicher Gewalt die Daten von Betroffenen seitens der Polizeibehörden an Gewaltschutzzentren und Interventionsstellen weitergegeben werden.

Der Weiße Ring fordert, dass die Daten von Opfern situativer Gewalt an den Weissen Ring weitergegeben werden. Damit sollen Opfer ohne Umwege und ohne sich selbst auf die Suche machen zu müssen, von jener Opferschutz-Einrichtung erreicht werden können, die auch über die Expertise für die weitere Betreuung verfügt, heißt es.

U-Haft für zehn mögliche Mittäter verlängert

Unterdessen verlängerte das Wiener Landesgericht für Strafsachen im Fall der zehn festgenommenen möglichen Mitwisser bzw. Mittäter die U-Haft. Die bisherigen Haftgründe blieben aufrecht, teilte Gerichtssprecherin Christina Salzborn am Donnerstagnachmittag mit.

Acht Beschuldigte meldeten gegen die Fortsetzung der U-Haft Beschwerde an. Ob ihre weitere Inhaftierung angemessen und verhältnismäßig ist, muss nun das Wiener Oberlandesgericht (OLG) entscheiden.

Verdächtiger beteuert in Brief Unschuld

Einer der Mittäterschaft Beschuldigten beteuerte in einem dreiseitigen handschriftlichen Brief, der der APA übermittelt wurde, seine Schuldlosigkeit. Er habe mit der radikalen islamistischen Szene und dem Anschlag nichts zu tun: „Ich gehöre weder zu einer terroristischen Organisation noch befürworte ich Anschläge, in denen unschuldige Menschen ihr Leben verlieren.“

Mit dem Attentäter sei er weder befreundet noch gehöre er zu dessen engerem Kreis: „Es war lediglich ne äußere Bekanntschaft.“ Er habe den Mann kaum gesehen, versichert der 21-Jährige in dem Schreiben: „Ich sah den Terroristen dieses Jahr geschätzte maximal drei Mal und ich wusste nichts von seinem Gedankengut noch machte er vor mir Anspielungen. Hätte ich von seinen Plänen gewusst, hätte ich ihn fürwahr aufgehalten.“ Er selbst habe sich „nie etwas zuschulden kommen lassen“, betont der 21-Jährige, der tatsächlich bisher gerichtlich unbescholten ist.

Moschee erhebt Einspruch gegen Zwangsschließung

Die Tewhid-Moschee in Meidling, in der der Attentäter gebetet und sich radikalisiert haben soll, erhob unterdessen laut einem Zeitungsbericht Einspruch gegen ihre Zwangsschließung. Die Moschee ist seit 2016 als Folge des Islamgesetzes bei der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) registriert. Auf Drängen der Regierung entzog der Oberste Rat der IGGÖ der Moschee die Rechtspersönlichkeit als Konsequenz aus dem islamistischen Anschlag.

Laut „Standard“ (Mittwoch-Ausgabe) ging am Mittwoch eine Beschwerde der Betreiber der Tewhid-Moschee gegen die Entscheidung des Obersten Rats der IGGÖ ein. Begründet wird die Beschwerde damit, dass die Schließung der Moschee nicht ausreichend begründet sei. Das IGGÖ-Schiedsgericht muss sich nun innerhalb von zwei Wochen zusammenfinden – binnen acht Wochen muss es eine Entscheidung fällen.