Florian Krammer im Labor
Mount Sinai Healthy System/Claudia Paul – www.claudiapaul.com
Mount Sinai Healthy System/Claudia Paul – www.claudiapaul.com
Wissenschaft

Virologe: CoV-Impfung könnte für Jahre schützen

Seit Kurzem wird auch in Österreich gegen das Coronavirus geimpft. Der renommierte Impfstoffforscher Florian Krammer geht davon aus, dass die Impfung für einige Jahre schützt. Und: Das Privatleben werde sich schneller normalisieren als das öffentliche.

Virologe Krammer ist im Laufe der Coronavirus-Krise zu einem der weltweit führenden Experten zur Bekämpfung von SARS-CoV-2 avanciert. Der aus Österreich stammende Forscher und ehemalige Student an der Universität für Bodenkultur in Wien ist Professor für Impfstoffforschung an der Icahn School of Medicine at Mount Sinai, einer privaten Medizinuniversität in New York City.

wien.ORF.at: Seit Kurzem wird der Pfizer/Biontech-Impfstoff auch in Europa geimpft, wie sicher ist der Impfstoff?

Florian Krammer: Es sind jetzt in den letzten paar Wochen schon fast zwei Millionen Menschen geimpft worden, und es gibt bisher wenig Probleme. Da hat man eigentlich gesehen wie auch schon in den klinischen Studien davor, dass der Impfstoff recht sicher ist.

wien.ORF.at: Es gibt Menschen, die haben Bedenken, weil die Langzeitfolgen bisher nicht erforscht und auch nicht bekannt sind. Wie schätzen Sie die Situation ein?

Krammer: Es treten bei Impfungen gelegentlich seltene, schwere Komplikationen auf. Diese passieren aber normalerweise Tage bis Monate nach einer Impfung, also nicht fünf Jahre später. Phase-3-Studien, wo das normalerweise evaluiert wird, dauern im Normalfall zwei bis drei Jahre, also auch nicht sehr lange. Über Langzeitfolgen würde ich mir keine Sorgen machen. Kurzzeitdaten für Monate haben wir ja schon. Was man jetzt schon gesehen hat, ist, dass es einige allergische Reaktionen auf die Impfung in Großbritannien, aber auch in den USA gab. Das waren grundsätzlich Leute, die schon wussten, dass sie schwere Reaktionen, schwere allergische Reaktionen haben können. Und da muss man eben aufpassen. Denen geht es wieder gut, die sind behandelt worden. Aber das ist anscheinend eine reale Nebenwirkung, die man bei dieser Impfung sieht.

Florian Krammer im Labor
Mount Sinai Healthy System/Claudia Paul – www.claudiapaul.com
Impfstoffexperte Krammer: „Über Langzeitfolgen würde ich mir keine Sorgen machen“

wien.ORF.at: Wie lange wurden in der Vergangenheit andere Impfstoffe getestet, um Daten für Langzeitfolgen zu erhalten?

Krammer: Phase-3-Studien dauern zwei bis drei Jahre und nicht länger. Und wenn es wirklich seltene, schwere Nebenwirkungen gibt, sind die meistens so selten, dass man die in einer Phase-3 nicht finden kann. Das schaut man dann meistens nochmals in Phase-4-Studien an, also in Post-Marketing-Studien, nachdem der Impfstoff schon zugelassen wurde.

wien.ORF.at: Der Coronavirus-Impfstoff wurde in Rekordzeit entwickelt. Warum war das möglich – und ist der Impfstoff dadurch weniger verlässlich?

Krammer: Der Impfstoff ist deswegen nicht unsicherer. Es gibt mehrere Gründe, warum das jetzt sehr schnell gegangen ist. Die Technologie ist besser. Der Grund, warum wir die RNA-Impfstoffe und die Vektorimpfstoffe zuerst sehen, ist, dass man hier nur die Sequenz ändern musste. Da ist die Technologie jetzt schon um einiges besser, um einiges schneller. Ein anderer Grund, warum das so schnell gegangen ist, war, dass man alle Ressourcen hatte: Funding war kein Problem, es gab kein finanzielles Risiko für die Firmen. Wenn Geld gebraucht wurde, war das Geld da – und das beschleunigt Dinge schon sehr.

wien.ORF.at: Sollen sich auch Menschen impfen lassen, die bereits eine Coronavirus-Infektion überstanden haben?

Krammer: Wir wissen mittlerweile, dass wenn man schon mit Covid-19 infiziert war, dass ein gewisser Schutz besteht, und deswegen würde ich sagen, muss man sich nicht als Erster impfen lassen. In den USA hat man darüber nach der Zulassung diskutiert. Es wurde dann aber beschlossen, dass man alle impfen wird, weil es zu viel Arbeit bzw. zu viel Aufwand wäre, wirklich sicherzustellen, ob jemand jetzt schon Corona hatte oder nicht.

wien.ORF.at: Was sagen die neuesten Daten, wie lange sind Menschen immun, wenn sie die Krankheit schon hatten?

Krammer: Man kann das jetzt nur für einige Monate sagen, aber es gibt mittlerweile zwei Studien, die zeigen, dass, wenn man Antikörper gegen das Virus hat, das Risiko, dass man sich wieder infiziert, sehr, sehr gering ist. Das Risiko ist aber nie null, das heißt, es gibt auch Reinfektionen, die sind sehr selten, aber die kommen vor. Es gibt schon gute Studien über Immunität, die zeigen, dass die Antikörperantwort am Anfang etwas runtergeht und dann sich zwischen fünf und sieben Monaten zu stabilisieren beginnt. Und es kann schon sein, dass diese Antikörper dann für Jahre stabil bleiben. So etwas Ähnliches würde ich mir auch von der Impfung erwarten.

wien.ORF.at: Der Pfizer/Biontech-Impfstoff, der nun in der EU zugelassen ist, muss zweimal geimpft werden. In welchem Abstand sollte die Impfung erfolgen und wann genau wirkt sie?

Krammer: Beim Pfizer/Biontech-Impfstoff ist der Abstand drei Wochen, wenn es vier Wochen sind, ist es wahrscheinlich auch kein Problem. Von den klinischen Studien weiß man mittlerweile, dass man schon nach der ersten Impfung geschützt ist, etwa zehn Tage danach. Aber die Antikörperantwort ist noch recht niedrig, und durch die zweite Impfung wird sie dann relativ stark in die Höhe getrieben. Ich würde auf jeden Fall beide Impfungen empfehlen.

wien.ORF.at: Wie lange hält die Impfung dann an?

Krammer: Das wissen wir noch nicht genau. Aber von der Antikörperantwort, die man jetzt sieht, und den Daten, die es bis jetzt gibt, also über vier Monate, nehme ich einmal an, dass der Schutz durch die Impfung schon für einige Jahre hält.

wien.ORF.at: Derzeit kann noch nicht genau gesagt werden, wovor der Impfstoff schützt. Wann wird es hierzu mehr Informationen geben?

Krammer: Es gibt dazu wahnsinnig viele Daten im Tiermodell. Dort hat man bei all diesen Impfstoffen gesehen, dass die Impfstoffe die Lunge sehr gut schützen, also die Impfstoffe schützen vor Erkrankungen. Man hat aber auch gesehen, dass es teilweise zu Virusvermehrung in den oberen Atemwegen kommt. Im Tiermodell hat man gesehen, dass das meistens kürzer war als bei ungeimpften Tieren und dass weniger Virus da war als bei ungeimpften Tieren. Das wird bei Menschen nicht anders sein. Das heißt jetzt, dass es wahrscheinlich Leute gibt, die, wenn sie geimpft sind, auch vor einer Infektion geschützt sind. Und dann wird es wieder andere Leute geben, die, wenn sie geimpft sind, möglicherweise auch Leute anstecken können. Ich glaube aber nicht, dass man auf genauere Daten sehr lange warten wird müssen, ich gehe von ein paar Monaten aus. Vom Moderna-Impfstoff gab es im US-Zulassungspaket ja schon Daten, die auch auf einen Schutz vor asymptomatischen Infektionen hinwiesen, wenn auch geringer als gegen Erkrankungen. Beim Pfizer-Impfstoff wird das wahrscheinlich nicht anders sein.

wien.ORF.at: Wie transparent sind die Zulassungsverfahren für die Coronavirus-Impfstoffe aus Ihrer Sicht? Haben Forscherinnen und Forscher Einblick in die Unterlagen?

Krammer: Es ist extrem transparent, das habe ich zumindest bei der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA beobachtet. Die Unterlagen, die von den Impfstoffherstellern an die FDA weitergegeben wurden, kann man sich herunterladen, sie sind öffentlich einsehbar. Die Analyse, die dann die Behörde selbst gemacht hat, ist auch öffentlich zugänglich, und die Gespräche, die es eben über den Impfstoff gab und über die Zulassung, das sind im Prinzip Ganztagesmeetings, sind auf YouTube verfügbar. Ich habe das bei der Europäischen Union nicht so genau verfolgt. Die Datensätze, die für die Zulassung in den USA oder anderen Ländern verwendet wurden, sind aber überall die gleichen.

wien.ORF.at: Wann können auch Kinder geimpft werden, sollten Kinder geimpft werden?

Krammer: Die Corona-Impfung für Kinder ist momentan nicht möglich. Der Pfizer/Biontech-Impfstoff ist nicht für unter 16-Jährige zugelassen. Der Moderna-Impfstoff wurde in den USA auch nicht unter 18 Jahren zugelassen. Im Moment laufen Studien, die schauen, wie verträglich die Impfstoffe für Kinder sind. Man weiß ja, bei diesen RNA-Impfstoffen, aber auch bei den viralen Vektorimpfstoffen, kann es zu unangenehmen Nebenwirkungen kommen wie Schmerzen an der Einstichstelle, leicht erhöhter Temperatur, Kopfweh, Müdigkeit. Und zwar bei relativ vielen Leuten, die geimpft werden. Das ist unangenehm, aber nicht gefährlich, das ist eine Reaktion des Immunsystems. Man weiß, dass Kinder da stärker reagieren. Man muss sich jetzt anschauen, wie stark ist diese Reaktion, und kann man das Kindern zumuten, oder wir müssen warten, bis ein anderer Impfstoff kommt.

wien.ORF.at: Und wenn es einen adäquaten Impfstoff gibt, sollten dann Kinder auch geimpft werden?

Krammer: Natürlich sind Kinder auch ansteckend. Das Problem ist, dass Kinder oft asymptomatisch sind, das heißt, dass man gar nicht mitkriegt, dass sie infiziert sind. In vielen Ländern werden Kinder auch sehr selten getestet. Wenn man Impfstoffe hat, die in Kindern verträglich sind, sollte man auch Kinder impfen.

wien.ORF.at: Müssen Menschen, die bereits gegen das Coronavirus geimpft sind, weiterhin Maske tragen und Abstand halten?

Krammer: Wie man sich in der Öffentlichkeit verhält, und welche Regeln man einzuhalten hat, hängt im Prinzip nicht davon ab, ob man geimpft ist oder nicht, sondern vermutlich davon, wieviel Viruslast in der Bevölkerung vorhanden ist. Ich kann mir schwer vorstellen, dass, wenn wir geimpft sind und dann in ein öffentliches Verkehrsmittel einsteigen, dass da jemand den Impfpass verlangt und dann entscheidet, ob man Maske tragen muss oder nicht. Ich glaube aber, dass sich im privaten Bereich sehr vieles ändern wird. Wenn ich weiß, meine Eltern sind geimpft, meine Großeltern sind geimpft, dann kann ich relativ frei mit denen umgehen. Ich glaube, dass sich das Leben in der Familie und im Freundeskreis schneller normalisieren wird als das öffentliche Leben.