Ernst Gehmacher
Brandenstein
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Chronik

Ernst Gehmacher gestorben

Der „Vollblut-Sozialforscher“ Ernst Gehmacher ist tot. Der ehemalige wissenschaftliche Leiter des Markt- und Meinungsforschungsinstituts IFES starb am vergangenen Freitag im Alter von 94 Jahren.

Ein Sozialforscher, der stets bestrebt war, mit seinen Untersuchungen die Gesellschaft positiv zu verändern und gerechter zu machen: So bezeichnete IFES Gehmacher, der auch Geschäftsführer des Instituts war. Gehmacher war ein wissenschaftlicher Begleiter des gesellschaftlichen Wandels der 1970er und 1980er Jahre in Österreich, der Forschungsarbeiten zu Themen wie Arbeit, Alterung, Armut, Fristenlösung oder Drogen und Sexualaufklärung vorlegte. Dabei hatte sich Gehmacher nicht nur für den gesellschaftlichen Wandel interessiert, sondern sich selbst stets durchaus als wandlungsfähig erwiesen.

Der Sozialforscher Ernst Gehmacher (L.) im Jahr 2006 bei einer Klubklausur des orange-blauen Parlamentsklubs mit dem damaligen Vizekanzler Hubert Gorbach und dem damaligen Klubobmann Herbert Scheibner in Bad Aussee.
APA/ANDREAS ZEPPELZAUER
Ernst Gehmacher im Jahr 2006

"Als Visionär trat er für Ökokultur anstelle von Konsumkultur ein und forderte eine Wertverschiebung weg vom Finanzkapital hin zum Sozialkapital“, sagte Wiens Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler zum Tod Gehmachers. Als Glückforscher habe er sich zuletzt mit der Frage nach einem glücklichen Leben auseinandergesetzt. Seine Formel zum Glück sei gewesen: Gesundheit, gelingende Beziehungen, Freundschaften zusammen mit einem erfüllten Alltag.

Angebot zum IFES-Aufbau im Jahr 1965

Am 6. August 1926 in Salzburg geboren, studierte er nach Ende des Zweiten Weltkriegs an der damaligen Hochschule für Bodenkultur in Wien Landwirtschaft. Zum Abschluss seines Studiums war er bereits Guts-Adjunkt auf einem Gutshof südlich von Wien. Als die „Maschinenzeit“ und mit ihr soziale Spannungen mit dem Kampf um Arbeitsplatz und Lohn der Landarbeiter aufkam, wie sich Gehmacher einst gegenüber der „Presse“ erinnerte, begann er für die „Arbeiter-Zeitung“ Artikel zu schreiben. Von 1957 bis 1962 war er Redakteur des Blatts und studierte parallel Soziologie.

An der Universität assistierte er dem Soziologen Leopold Rosenmayr, ehe ihm Karl Blecha 1965 anbot, das Markt- und Meinungsforschungsinstitut IFES aufzubauen, dem er bis 1995 verbunden blieb. Ab 1968 war er dessen wissenschaftlicher Leiter und ab 1976 Geschäftsführer.

Kein Ruhestand in der Pension

Sein Pensionsantritt 1996 bedeutete für Gehmacher keinen Ruhestand. Er gründete das Büro für die Organisation angewandter Sozialforschung (BOAS), übernahm von 1997 bis 1999 die Geschäftsleitung des Österreichischen Instituts für Berufsbildungsforschung (ÖIBF) und war 1999/2000 wissenschaftlicher Leiter der Paul Lazarsfeldgesellschaft (PLG). 2001 wurde er Beauftragter des Bildungsministeriums im OECD-Projekt „Measuring Social Capital“, wo er sich dafür engagierte, „das Sozialkapital des ‚Herzens‘ und das Humankapital des ‚Hirns‘ gleichwertig zum Finanzkapital der ‚Börse‘ hinzustellen“.

Jahrzehntelang war Gehmacher Lehrbeauftragter an der Universität Wien und der Technischen Universität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte lagen in den Bereichen Sozialkapital, Modellierung sozialer Systeme, Policy Research, Methodologie der Umfrageforschung, Bildungsforschung und Medienforschung. Sozialwissenschaftlich betreute er Projekte wie die Errichtung der Donauinsel oder des Donaukraftwerks Freudenau, die EU-Volksabstimmung, die Kampagne gegen das Ausländervolksbegehren („Lichtermeer“) oder die Gründung der Sir-Karl-Popper-Schule in Wien.

Viele Bücher wie „Wege zum Glück“

Zu den zahlreichen Büchern und Publikationen Gehmachers zählen thematisch so unterschiedliche Veröffentlichungen wie die Beschreibung seiner Wanderung auf den Spuren Joseph Kyselaks „Zu Fuss durch Österreich“ (1982), „Aufbau der Soziologie in Österreich“ (1988), „Zukunft: Die Falle geht nur nach vorne auf/Jahrtausendwende – gesellschaftliche Trends“ (1991), „Gewinner, Verlierer, Zögerer – Fragen zu einem künftigen Europa“ (1993) oder „Das Ende des Nationalismus.

Neue Fremdenfeindlichkeit und neonationalistische Aufbrüche in Ost- und Westeuropa“ (1996). Als Coautor widmete er sich zuletzt „Sozialkapital – Glück und Liebe messen und machen“ (2016) sowie „Wege zum Glück“ (2018). Vor knapp einem Jahr, am 31. Jänner 2020, wurde Gehmacher schließlich für sein jahrzehntelanges Engagement das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien verliehen.