Die Angeklagte sitzt vor dem Richter
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Chronik

Beatmungsschlauch gezogen: Drei Jahre teilbedingt

Eine 55-jährige Frau ist am Dienstag am Wiener Landesgericht wegen Mordes zu drei Jahren teilbedingter Haft verurteilt worden. Sie soll 2018 im AKH die lebenserhaltenden Systeme ihres Lebensgefährten entfernt haben, darunter den Beatmungsschlauch.

Die Frau wurde unter Anwendung des außerordentlichen Milderungsrechts zu drei Jahren Haft – ein Jahr davon unbedingt – verurteilt. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Die Geschworenen stimmten für Mord. Die Eventualfragen zu Totschlag und Tötung auf Verlangen – so wie sich die 55-Jährige verantwortete – wurden von den Laienrichtern verneint.

Ersturteil im Vorjahr aufgehoben

Bereits im Vorjahr erhielt die 55-Jährige eine teilbedingte Haftstrafe wegen Mordes in der gleichen Höhe. Der Oberste Gerichtshof (OGH) ordnete im Vorjahr eine Neudurchführung des Verfahrens an, weil sich das Erstgericht nicht mit der Frage in Richtung Totschlag befasst habe.

Da die Staatsanwaltschaft im ersten Verfahren im vergangenen Jahr keine Berufung eingelegt hat, kann die Strafhöhe nun nicht mehr höher angesetzt werden, als die damals verhängten teilbedingten drei Jahre. „Die Frau wird keinen Tag im Gefängnis verbringen“, so der Ankläger. Die bisher unbescholtene Frau wäre grundsätzlich eine klassische Fußfessel-Kandidatin: wenn die zu verbüßende Strafzeit zwölf Monate nicht übersteigt, kann ein Antrag auf Genehmigung des elektronisch überwachten Hausarrests gestellt werden.

„Keine Generalvollmacht für Sterbehilfe“

Die Frau hatte sich mit Tötung auf Verlangen verantwortet. Sie erklärte, sie habe „den Anblick von Willi nicht mehr ertragen“ und ihn „nicht so leidend“ sterben sehen können. Der 70-Jährige war von einem schweren Herzleiden, einer Herzoperation, COPD und zwei Nierentransplantationen schwer gezeichnet. Er soll seiner Partnerin im Vorfeld das Versprechen abgenommen haben, ihn von seinem Leiden zu erlösen, sollte es mit ihm zu Ende gehen, argumentierte Verteidiger Gunther Gahleithner.

Staatsanwalt Martin Ortner führte aus, auch wenn der Mann im Sterben lag und nicht mehr ansprechbar war, habe die Handlung der Beschuldigten den Tod früher herbeigeführt. Eine Art Generalvollmacht für Sterbehilfe gebe es nicht. „Es ist unumstritten, dass die zwei sich umeinander gesorgt haben“, so der Ankläger. Aber es gebe in Österreich Sterbebegleitung, um einem Menschen ein ethisches Sterben in Würde zu ermöglichen. Man stelle sich vor, der Mann habe die Wahl, schmerzfrei auf die andere Seite zu schlafen oder man reißt ihm den Beatmungstubus aus dem Hals und den angenähten Katheter.

Patient laut Gutachter nicht bei Bewusstsein

Das war passiert, als die Frau von den Ärzten ins AKH gerufen wurde. Der Mann hatte da nur noch wenige Stunden zu leben, die Ärzte hatten auch beschlossen, im Falle eines Kreislaufstillstandes keine Reanimation mehr durchzuführen. Auf dem Weg ins AKH trank die Frau immer wieder Wodka, das sei die Überwindung der letzten Hemmschwelle gewesen, so die Frau. Laut Gutachter dürfte sie mittel- bis hochgradig alkoholisiert gewesen sein.

Auf der Intensivstation angekommen, wurde sie von den Ärzten über den dramatischen Zustand ihres Freundes aufgeklärt. Als der Pfleger gegen 17.00 Uhr aus dem Zimmer ging, war die Frau für zehn Minuten mit dem Patienten alleine. „’Das ist mein letzter Liebesdienst an dir, Willi‘, hab ich gesagt“, so die Frau. Als der akustische Alarm der Beatmungsmaschine ertönte, stürmte medizinisches Personal ins Zimmer. Die Frau hielt in einer Hand den Sterbenden, in der anderen den Dialysekatheter. Auch der Beatmungstubus, die Magensonde sowie EKG-Kabel waren bereits entfernt.

Wie der Sachverständige für Intensivmedizin, Rudolf Likar, ausführte, war der Patient zum Zeitpunkt, als die Schläuche gezogen wurden, längst nicht mehr bei Bewusstsein: „Der Sterbeprozess war im Gange.“ Der Mann wäre laut Likar auch ohne Zutun der 55-Jährigen gestorben. Man habe ihn im Krankenhaus nur mehr mit Schlaf- und Schmerzmitteln versorgt, um Angehörigen die Möglichkeit zu geben, sich von ihm zu Lebzeiten zu verabschieden. Das Rausreißen der lebenserhaltenden Geräte hätte dem Patienten vielmehr eine Schmerzreizung zugefügt.

Mord, Totschlag oder Tötung auf Verlangen

Freunde des 70-Jährigen sagten aus, sie hätten nichts von so einer Vereinbarung zur Sterbehilfe gewusst. Die Geschworenen mussten sich nun also mit der Frage auseinandersetzen, ob es sich in dem Fall um Mord, Totschlag oder – wie sich die 55-Jährige verantwortete – Tötung auf Verlangen gehandelt hat. Gerichtspsychiater Peter Hofmann sah allerdings keine Hinweise auf eine allgemein begreifliche Gemütsbewegung der Beschuldigten, was einen Totschlag rechtfertigen würde.