Demo vor dem Schubhaftzentrum: Mitschülerinnen und Mitschüler wollen Abschiebung von 12-jähriger Klassenkollegin verhindern
ORF/Budgen
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Chronik

Debatte über Abschiebung von Schülerinnen

Ein bevorstehender Abschiebeflug hat in Österreich für Aufregung gesorgt. Unter den Betroffenen sind drei in Wien bzw. Niederösterreich lebende Schülerinnen, die demnächst nach Georgien bzw. Armenien überstellt werden. Schulkollegen machen dagegen mobil.

Unterstützung kam von NEOS, Verständnis zeigte Sozialminister Rudolf Anschober (Grüne). Besonders viel debattiert wurde der Fall einer zwölfjährigen Schülerin, die Montagbend mit ihren Eltern von der Fremdenpolizei in ein Abschiebezentrum gebracht wurde.

Die Gymnasiastin, die im ersten Wiener Gemeindebezirk die Schule besuchte, fand die Unterstützung von Lehrern und Mitschülern, die mit ihrer guten Integration und der Hochphase der Pandemie gegen die Abschiebung argumentierten und (wie im Fall einer weiteren – armenischstämmigen – Schülerin im zehnten Wiener Gemeindebezirk) eine Petition starteten. Diese wurde bis Mittwochmittag bereist mehr als 12.000-mal unterstützt.

Asylanwalt: „Eigentlich Zerstörung ihrer Zukunft“

Am Mittwochnachmittag fand auch eine Demo vor dem Schubhaftzentrum von Klassenkolleginnen und Klassenkollegen statt. Der Elternvertreter der Klasse, Johann Philipp, sagte gegenüber Ö1: „Für das Mädchen bricht eine Welt zusammen, genauso wie für ihre Mitschülerinnen und Mitschüler. Das versteht niemand, das ist eine absolut integrierte Familie.“

Debatte über Abschiebung von Schülerinnen

Ein bevorstehender Abschiebeflug hat in Österreich für Aufregung gesorgt. Unter den Betroffenen sind drei in Wien bzw. Niederösterreich lebende Schülerinnen, die demnächst nach Georgien bzw. Armenien überstellt werden. Schulkollegen machen dagegen mobil.

Der Asylanwalt Wilfried Embacher hat den Fall nun übernommen und verschafft sich gerade einen Überblick. „Inhaltlich ist die Problematik die wie in vielen anderen Fällen, dass die Situation der Kinder, obwohl es gesetzlich vorgesehen ist, nicht ausreichend berücksichtigt wird und die Kinder eigentlich immer dem rechtlichen Schicksal der Eltern folgen, obwohl das Kindeswohl vorrangig zu behandeln wäre“, sagte Embacher.

Denn die Schülerin sei nie in Georgien in die Schule gegangen, sie schreibe die Sprache nicht und könne sie auch nicht lesen. „Das ist ein völlig unvorstellbarerer Eingriff in ihre Interessen und eigentlich eine Zerstörung ihrer Zukunft“, so der Anwalt.

Demo vor dem Schubhaftzentrum: Mitschülerinnen und Mitschüler wollen Abschiebung von 12-jähriger Klassenkollegin verhindern
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Demo vor dem Schubhaftzentrum

Ministerium: Mehrere höchstgerichtliche Entscheide

Im Innenministerium verwies man darauf, dass mehrere höchstgerichtliche Entscheide vorliegen, die eine Außerlandesbringung vorsehen. „Erst wenn eine solche rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt und die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise nicht in Anspruch genommen wurde, kommt es im Sinne einer glaubhaften Rückführungspolitik zu einer zwangsweise Außerlandesbringung“, heißt es aus dem Ministerium.

Bei der georgischen Schülerin scheint der Fall nach Informationen der APA zumindest rechtlich eindeutig. Denn die Familie befindet sich bereits seit vier Jahren unrechtmäßig im Land. Das Bundesverwaltungsgericht hat festgehalten, dass die lange Aufenthaltsdauer nicht zuletzt wegen beharrlicher Nichteinhaltung der behördlichen Vorgaben gegeben sei.

Die Mutter war erstmals 2006 ins Land gereist und hatte hier auch ihre erste Tochter bekommen. Zwischenzeitlich hatte sie Österreich verlassen müssen und war zwei Jahre später wieder eingereist. Alle Instanzen beurteilten die diversen Asylanträge negativ. Die Familie habe sich aber bisher geweigert auszureisen, aus informierten Kreisen heißt es, sie soll sich schon sechsmal der Abschiebung entzogen haben, berichtete das Ö1-Mittagsjournal.

Anschober für „menschliche Lösungen“

Dennoch gibt es politische Empörung. Die SPÖ-Abgeordneten Reinhold Einwallner, Nurten Yilmaz, Eva-Maria Holzleitner, Sonja Hammerschmid und Katharina Kucharowits fragten sich in einer Aussendung, ob Kinderrechte nichts mehr zählten. Ebenso äußerte sich NEOS-Mandatarin Stephanie Krisper. Wiener Vize-Bürgermeister Christoph Wiederkehr (NEOS) wandte sich an Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) mit der Bitte, eine humanitäre Lösung zu finden.

Harsche Kritik kam am Mittwochnachmittag auch von der Wiener Stadtregierung. Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) nannte die Vorgangsweise am Rande der ersten rot-pinken Regierungsklausur „nicht nachvollziehbar“: „Man kann eine solche Vorgangsweise nur verurteilen.“ Vizebürgermeister und Integrationsstadtrat Christoph Wiederkehr (NEOS) formulierte noch schärfer: „Man sieht, dass die ÖVP keinen Kickl braucht, um unmenschliche Politik zu machen.“ Er halte das für höchst problematisch und appellierte an Innenminister Karl Nehammer (ÖVP), eine humanitäre Lösung zu finden.

Im Gespräch mit dem Ressortchef ist auch Sozialminister Rudolf Anschober (Grüne). Das Innenministerium habe zumindest zugesichert, die Fälle zu prüfen, berichtete er nach dem Ministerrat. Es wäre gut nach menschlichen Lösungen zu suchen. Denn es könne ja nicht sein, dass bestens integrierte Schüler in einer Situation, wo sie nicht einmal das Herkunftsland kennen, aus den Klassen geholt werden.

Mahrer für Rückführung

ÖVP-Sicherheitssprecher Karl Mahrer verteidigte in einer Pressekonferenz die Abschiebungen mit Verweis auf die geltende Rechtslage. In Österreich geborenen Kindern den Zugang zur Staatsbürgerschaft zu erleichtern, wie das am Dienstag auch SOS Mitmensch gefordert hatte, lehnt der ÖVP-Politiker ab. Veränderungen im Staatsbürgerschaftsrecht seien „aktuell nicht am Tisch“. Jetzt müsse man einmal die bestehenden Asylverfahren abarbeiten und abgelehnte Asylwerber „in einer geordneten Form zurückführen“.

Abschiebeflüge sind in der Coronavirus-Pandemie übrigens nie ausgesetzt, aber reduziert worden. So waren etwa im Dezember mehrere im Verfahren gescheiterte Flüchtlinge nach Afghanistan gebracht worden. Sollte es nicht noch eine Änderung in letzter Sekunde geben, werden die Schülerinnen und ihre Familien um 3.00 Uhr Früh aus der sogenannten Familienunterkunft des Innenministeriums in Simmering abgeholt. Mit einer Frühmaschine geht es für sie dann von Wien in ihre Herkunftsländer Armenien und Georgien.