Kultursommer 2020 in Wien, exklusive Open-Air-Konzerte in den Häusern zum Leben
KWP/Hofmarcher
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Kultur

Kaup-Hasler: Kulturöffnung – warum nicht?

Die Kulturszene muss gerade wieder eine Verlängerung des Lockdowns hinnehmen. Wiens Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) hat in der ORF-Sendung „Kulturmontag“ dennoch ein Plädoyer für einen Neuanfang gehalten.

Drei bis vier Jahre soll es laut Experten dauern, bis das Kulturleben einen Vor-Pandemie-ähnlichen Betrieb leisten wird können. Kaup-Hasler äußerte sich optimistisch, auch diese Zeit noch – zumindest finanziell – überbrücken zu können. Sie nannte eine Summe von rund 160 Milliarden Euro jährlich, die der EU durch nicht geleistete Steuern großer Konzerne und durch Steuerflucht entgingen: „Da ist sehr viel Geld abzuholen.“ Sie glaube, „da können wir uns sehr vieles leisten und ich glaube, wir müssten uns dort etwas leisten, wo man in der Vergangenheit verabsäumt hat, etwas zu investieren, zum Beispiel bei Kultur und Bildung“.

Dem stimmte auch der Hamburger Kultursenator Carsten Brosda zu. Es sei am Ende eine gesellschaftliche und eine politische Entscheidung darüber, wie das Geld ausgegeben werde. Es sei jetzt an der Zeit, sich Überlegungen für die Zukunft zu machen, nicht zu verzagen. Es brauche Geduld und Durchhaltevermögen, aber auch Konzentration auf zukünftige Aufgaben, betonte Kaup-Hasler. Die Stadt Wien habe Nachdenkprozesse mit Arbeitsstipendien unterstützt. Kulturelle Arbeit sei eben auch Arbeit, aber eine, die sehr oft versteckt stattfinde. Recherche oder Nachdenkprozesse auch wertzuschätzen, „das, finde ich, ist ganz entscheidend und ganz wichtig“.

„Wir brauchen Kultur, um das zu überwinden“

Kaup-Hasler verwies auf den Wiener Kultursommer im Vorjahr. Jeder sei jetzt gut beraten, sich Öffnungsschritte zu überlegen, es spreche ja nichts dagegen. Die Stadträtin verwies auf Präventionskonzepte, FFP2-Masken, Teststraßen in der ganzen Stadt: „Wir können mit getestetem Publikum unter Einhaltung von bestimmten Sicherheitsvorkehrungen wirklich anfangen, an Öffnungen zu denken.“

Eine Chance, dem Coronavirus zu entkommen, gebe es nicht, im Gegenteil: „Wir werden mit diesem Coronavirus leben müssen. Die Wahrheit ist, dass wir mit dem Coronavirus leben müssen, bis der letzte Mensch in Österreich geimpft worden ist, und das sind auch Kinder und dafür gibt es noch keinen Impfstoff – bis dahin müssen wir mit dem Virus leben.“

Es werde notwendig, mit der Angst leben zu lernen, Ängste abzubauen und aus einem – ja auch bewusst aufrecht erhaltenen – Ausnahmezustand herauszukommen. Jetzt seien demokratische Prozesse nötig, „wir brauchen einander mehr denn je“. Kinder und Jugendliche hätten große Defizite, große Ängste, psychologische Kräfte gehen uns aus, Krankheiten nehmen zu: „Wir brauchen Kultur, um das zu überwinden“, sagte Kaup-Hasler.

Gespräch über die Zukunft der Kulturindustrie

Live im Studio diskutiert Peter Schneeberger mit der Wiener Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler und dem Hamburger Kultursenator Carsten Brosda über die Zukunft der Kulturindustrie.

Kultur als sinnliche Erfahrung zugänglich machen

Auf die Veränderungen der Kulturszene mit der CoV-Pandemie angesprochen, sagte der Hamburger Kultursenator Brosda, es verändere sich gerade eine große Menge, nur sei vieles eben jetzt nicht sichtbar. Er zitierte eine Umfrage unter Musikern, wonach jeder dritte bereits in einem anderen Beruf tätig sei und nicht wisse, ob er als Musiker wiederkomme. Es sei ein Fehler zu glauben, man könne nach der Pandemie einfach dort weitermachen, wo man vor der Pandemie stehen geblieben sei.

Kaup-Hasler plädierte für eine Öffnung der Kultur: „Anders auf Öffentlichkeit schauen, uns mehr bemühen, jenseits der musealen Tempel, der Theatertempel hinauszugehen in andere Teile der Stadt, das ist eine ganz klare Aufgabe.“ Der Anspruch, dass Kultur für alle da sei, dürfe kein Lippenbekenntnis sein, sondern müsse sinnlich erfahrbar werden. Das sei nur durch „großartige Erlebnisse“ möglich, so Kaup-Hasler: „Wenn etwa Martin Grubinger in einem Park einen Workshop mit Jugendlichen macht und sich daraus ein Konzert entwickelt, das ist eine sinnliche Erfahrung.“

Wieder nannte sie den Kultursommer 2020 als Beispiel, wo es keine einzige Corona-Erkrankung gegeben habe, aber es geschafft wurde, sichere Bühnen verteilt über die ganze Stadt kostenlos anzubieten. „Dieses Berührtwerden, diese Leidenschaft, mit der wir unserer Überzeugung Ausdruck verleihen, dass Kunst und Kultur Menschenrecht ist, dass sie uns verbindet, dass sie die notwendigen sozialen Räume schafft, die wir mehr denn je brauchen, um auch die gegenwärtigen Herausforderungen zu bewältigen, dass wir die bewältigen als Gemeinschaft, all das ist notwendig, das vermissen wir ganz besonders.“

Weg mit der Angstspirale, an Ermöglichungen arbeiten

Kaup-Hasler appellierte, aus der Angstspirale auszubrechen. Die Menschen hätten so viele Freiheiten verloren, jetzt müsse dringend daran gearbeitet werden, diese zurückzugewinnen: „Ich bin mittlerweile absolut bereit, jeglichen Test zu machen, um sofort wieder in ein Theater gehen zu können. Ich brauche das, aber ich glaube, viele Menschen brauchen das.“

Sie verwies auf das große Angebot in Wien an Teststraßen, Schnupfenboxen, Apothekentests, Tests zuhause und anderes mehr: „All diese Maßnahmen sind dringend notwendig und sind ein gutes Investment, damit wir Kultur schnell wieder erleben können.“ Sie frage sich, warum es nicht möglich sein sollte, eine Veranstaltung zu erleben, wenn alle mit einem aktuellen Test, mit Maske und Abstand im Publikum sitzen: „Also, wir leben mit dem Virus, wir leben auch mit anderen Gefahren. Wir müssen ganz dringend aus der Angstspirale aussteigen und wieder an Ermöglichungen arbeiten.“