NEOS-Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (l.) und Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) bei Pressekonferenz
APA/Herbert Pfarrhofer
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Politik

100 Tage Koalition: „Konstruktives Klima“

Zur Bilanz nach 100 Tagen SPÖ-NEOS-Koalition in der Wiener Stadtregierung haben sich beide Parteien für das „konstruktive Klima“ gelobt. Angekündigt wurde ein „Regierungsmonitor“. Kritik kommt von der Opposition.

„Konstruktiv, immer sachorientiert – das eint uns, wir können stolz auf die ersten 100 Tage sein“, bilanzierte Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (NEOS) am Dienstag. „Es gibt weder Streit noch Honeymoon, wir haben für keines von beiden Zeit.“ Ähnlich äußerte sich Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ): „Es waren fordernde 100 Tage, aber wir haben viel weitergebracht. Wir haben einiges abgearbeitet, aber wir haben noch einiges vor uns.“

Die bevorstehenden Projekte betreffen die Gastronomie und die Transparenz. Ludwig will in den nächsten Tagen geeignete Plätze im öffentlichen Raum suchen, um dort Gastronomen Platz anzubieten, die über keinen Schanigarten verfügen. Dazu will er Gespräche mit Wirtschaftskammer und Sozialpartnern führen. Zu- und Abgang sollen geregelt weden, ähnlich wie bei Veranstaltungen im vergangenen Sommer. Wiederkehr kündigte für Mitte März einen „Regierungsmonitor“ im Internet an: „Wir werden damit aktiv informieren und transparent darstellen, was gelungen ist und welche Projekte angestoßen worden sind.“

„Fortschrittskoalition“ mit Coronavirus-Schwerpunkt

Die Zusammenarbeit von SPÖ und NEOS ist im November als „Fortschrittskoalition“ gestartet. Auf die Frage nach bisherigen Leuchtturmprojekten nannte Ludwig etwa die Übernahme von Ein-Personen-Unternehmen in den WAFF („Weil wir erkannt haben, dass das Menschen sind, die durch Corona-Krise immer mehr betroffen sind“) oder die Offensive bei Photovoltaikanlagen. Anlagen in der Größenordnung von 100 Fußballfeldern sollen auf Amtsgebäuden, Sportstätten, Wohnhäusern und Dächern entstehen – mehr dazu in Stadt Wien startet Photovoltaik-Offensive.

Wiederkehr nannte die „Whistle Blower Plattform“. Wer anonym Hinweise auf Korruption bzw. Amtsmissbrauch melden möchte, kann das ab sofort über die Plattform im Internet tun – mehr dazu in Wien bekommt Whistleblower-Plattform.

Schwerpunkt der Regierungsarbeit ist aber weiter der Kampf gegen das Coronavirus. Ludwig zeigte sich stolz auf das gut organisierte öffentliche Gesundheitssystem: „Wir sind als Großstadt gut durch die Krise gekommen. Auch in den letzten 100 Tagen wurden Schritte gesetzt, etwa die Testkapazitäten ausgebaut, möglichst dezentral Möglichkeiten für Tests geschaffen. Pro Tag 75.000 Menschen zu testen, das iat auch international im Vergleich sehr viel.“

Neue Primärversorgungszentren

Ludwig kündigte auch 36 neue Primärversorgungszentren zur Entlastung der Spitals-Ambulanzen an. Im Arbeitsmarktbereich nannte er Hilfestellung für Ein-Personen-Unternehmen für Umschulung oder neue Projekte sowie 400 Euro pro Monat Unterstützung für Ausbildung inm Pflegebereich. Die Aktion 50 plus werde weiter ausgebaut.

Wiederkehr will Wien zur „kinder- und jugendfreundlichsten Stadt der Welt“ machen. Für Jugendliche ist in der Coronavirus-Pandemie zum Lernen Raum in Kaffeehäusern geschaffen worden, das wurde auf die Volkshochschulen ausgedehnt, wo auch Künstler Räume buchen können. Als erstes Bundesland starten in Wien Impfungen für Pädagoginnen und Pädagogen. Ein Rettungspaket für Kinder und Jugendliche bei psychosozialen Folgen der Krise ist bereits vorgestellt worden. Zudem will Wiederkehr Ausbildungsgeld in Kindergarten einführen: „Damit werden wir zusätzliches Personal finden.“

Politikberater Thomas Hofer über die Koalition

Politikberater Thomas Hofer spricht über die ersten 100 Tage der Wiener Koalition.

„Anfang ganz gut gelungen“

Aus Sicht des Politikexperten Thomas Hofer ist Rot-Pink in Wien der Anfang der gemeinsamen Regierungszeit gelungen: „Sie haben es jedenfalls geschafft, in den ersten 100 Tagen nicht auf ‚Teufel komm raus‘ zu streiten.“ Die junge Koalition habe keine gröberen Fehler gemacht und keinen Streit provoziert. So sei es gelungen, den Eindruck zu vermitteln, dass es nicht wie in der Koalition im Bund an allen Ecken und Enden krache. Allerdings, SPÖ und NEOS seien etwa bei Wirtschaftsthemen sehr weit auseinander. Solche Konfliktthemen habe man bisher geschickt vermieden, das bedeute aber nicht, dass sie nicht noch kommen werden, sagte Hofer im „Wien heute“-Gespräch.

ÖVP für „Comeback der Wirtschaft“

Die Wiener ÖVP hat am Dienstagvormittag 100 Ideen für Wien vorgestellt. Man sei überzeugt, dass einige Dinge in Wien besser gehandhabt werden könnten als dies Rot-Pink derzeit täten, hielten Landesparteichef und Finanzminister Gernot Blümel, die nicht amtsführende Stadträtin Bernadette Arnoldner und Klubobmann Markus Wölbitsch fest.

Blümel verwies auch auf die Maßnahmen des Bundes, von denen die Stadt stark profitieren würde. Er hob hier etwa Steuerstundungen, den Fixkostenzuschuss oder auch den Umsatzersatz hervor. Auch im Rahmen des Gemeindepakets würden 600 Mio. Euro nach Wien fließen, betonte Blümel. Wichtig sei nun, die Entlastung der Wirtschaft auch auf Landesebene zu forcieren.

Zu den von der Volkspartei hier urgierten Punkten gehört etwa die Aussetzung der Schanigartengebühren mindestens für 2021, die Abschaffung der Dienstgeberabgabe, die Streichung des Valorisierungsgesetzes oder die Einrichtung von Tourismuszonen, die eine Sonntagsöffnung ermöglichen würden. Defizite der SPÖ-NEOS-Koalition wurden auch bei Transparenz und Integration konstatiert.

FPÖ: „Schnitzelgutschein zu wenig“

DIe Wiener FPÖ sieht nach den ersten 100 Tagen der Stadtregierung ein „Armutszeugnis für die Sozialdemokratie“. „Ein Schnitzelgutschein alleine, das ist zu wenig“, so das Resümee von FPÖ-Obmann Dominik Nepp. Statt „Schnitzel to go“ müsse es vielmehr heißen „Ludwig to go“. Die NEOS hätten sich von der SPÖ einkaufen lassen, so Maximilian Krauss, FPÖ-Klubobmann im Rathaus.

Versäumnisse und Reformbedarf sieht die Wiener FPÖ vor allem im Wohnbau, bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und in der Bildungspolitik. Nepp forderte die Halbierung der Gebühren für Müll, Wasser und Kanal sowie der Betriebskosten im Gemeindebau. Die Umsetzung der Mindestsicherung Neu ist der FPÖ weiter ein Anliegen, im Coronavirus-Krisenmanagement drängt man weiterhin auf rasche Öffnungen. Und auch generell lautet die Marschrichtung für den FPÖ-Landeschef weiterhin: „Österreicher zuerst!“

Grüne sehen „Stand-by-Koalition“

Aus der Fortschrittskoalition sei eine „Stand-by-Koalition“ geworden, beklagten die Stadträte Judith Pühringer und Peter Kraus (beide Grüne). Vor allem im Verkehrs- und Umweltbereich gehe die Regierung „zurück statt nach vorne“, befanden sie.

„Entgegen den eigenen Verpflichtungen und der augenscheinlichen Notwendigkeit, gegen die Klimakrise vorzugehen, geht es mit Rot-Pink zurück in die 1970er Jahre“, konstatierte Kraus. Als Beispiele nannte er etwa die vorerst nicht umgesetzte Umgestaltung der Praterstraße oder die „Ausdünnung der Öffi-Intervalle“.

Positiv wurde bewertet, dass die Wiener Jugendunterstützung U25 nun den Vollbetrieb aufnehme. Sie wurde noch unter Rot-Grün beschlossen. Das Projekt sei einzigartig, wenn es darum gehe, 15-bis 25-Jährige in den Arbeitsmarkt zu integrieren, wurde betont. Auch der kürzlich beschlossene Stopp des Verkaufs von Kleingärten in Wien wurde begrüßt.

Angelobung am 24. November

Offiziell begonnen hat die SPÖ-NEOS-Koalition am 24. November 2020 mit der konstituierenden Sitzung des Gemeinderats/Landtags. Nach der Wahl am 11. Oktober hält die SPÖ 46 Mandate, die ÖVP nimmt 22 Plätze ein. Die Grünen haben 16 Abgeordnete im Landtag, NEOS besetzt acht Sitze, ebenso die FPÖ.

Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) hat in seiner Regierungserklärung eine positive Bilanz der Koalition mit den Grünen gezogen und die Zusammenarbeit mit NEOS als „Entscheidung für einen neuen Weg“ bezeichnet. Ludwig kündigte ein 600 Mio. Euro umfassendes Investitionsprogramm quer durch alle Bereiche an. 300 Projekte sollen dadurch bis 2023 umgesetzt werden – darunter auch Unterstützungsmaßnahmen für Lehrlinge und Arbeitslose über 50 Jahre.

Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (NEOS) sprach von einem „historischen Bündnis, das es in Österreich so noch nie gegeben hat“. Die Hand sei Richtung Opposition ausgestreckt. Er verstehe sich auch als Anwalt der Wiener Klassenzimmer. Zu oft würden Kinder zurückgelassen. „Ich möchte der Türöffner für Kinderträume werden.“