Der Mikrobiologe Michael wagner von der Universität Wien
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Coronavirus

Wagner: „Wir kommen jetzt in dritte Welle“

Die Zahlen bei den CoV-Neuinfektionen gehen weiter nach oben: In Wien wurden am Freitag 814 Neuinfektionen gemeldet. Der Mikrobiologe Michael Wagner von der Universität Wien warnt vor weiteren Öffnungsschritten, denn „wir kommen jetzt in die dritte Welle hinein“.

„Das ist praktisch eine Pandemie in der Pandemie. Das sieht man jetzt eigentlich schon seit vielen Wochen, dieses Wachstum der britischen Variante. Das war eine Weile überdeckt durch die Kontrolle der alten Varianten. Jetzt setzt sich die britische Variante durch und die ist ansteckender und die wächst jetzt doch deutlich an“, sagte Wagner im „Wien heute“-Interview.

Die Frage sei, wie man dieser „dritten Welle“ nun begegnen und wie stark man sie kontrolliert, sagte Wagner. „Da haben wir schon einen Spielraum, aber man muss das sehr ernst nehmen“. Öffnungsschritte seien da das falsche Signal, auch im Freien. „Wir müssen und jetzt einfach gemeinsam durchhalten und uns an all die Schutzmaßnahmen halten und uns zurücknehmen, damit wir durchkommen, bis alle geimpft sind“, so Wagner, der damit rechnet, dass bis zum Sommer ein Großteil der Über-16-Jährigen geimpft sein wird.

Molekularbiologe Wagner zu steigenden Zahlen

„Der Anstieg der Corona-Zahlen ist dramatisch, wir sind in der dritten Welle“, sagt Molekularbiologe Michael Wagner im Interview bei Elisabeth Vogel.

„Schulen als letztes schließen“

Komme es jetzt zu weiteren Öffnungsschritten, selbst wenn man sie an eine Testpflicht kopple, bestehe „die große Wahrscheinlichkeit, dass dieser Anstieg nochmal nach Oben geht, und dass man dann die Kontrolle vollkommen verliert“. Es gehe nun vielmehr darum, „das was geöffnet wurde, die Schulen der Handel“, jetzt abzusichern und „sich bewusst zu sein, dass wir das wieder verlieren können, wenn wir nicht zusammenhalten“.

Im Fall des Falles, sollte man die „Schulen als letztes schließen. Es gibt Länder wie Portugal, die dann diese Welle erst durch das Schulschließen brechen konnten. Ausschließen kann man das nicht. Uns muss allen bewusst sein, wir müssen uns jetzt wirklich zusammenreißen. Und jeder muss tun was er kann, damit wir die Öffnungsschritte Schulen und Handel absichern kann“, sagte Wagner.

Treffen im Freien

An den ersten wärmeren Tagen in Wien haben sich viele Menschen auf den Plätzen der Stadt getroffen, oft ohne sich an die Schutzmaßnahmen zu halten.

Mehr als 800 Neuinfektionen in Wien

Aufgrund technischer Probleme eines Labors seien rund 200 Befunde der letzten Tage sowie 17 weitere Nachmeldungen in den aktuellen Zahlen enthalten, hieß es am Freitagvormittag aus dem medizinischen Krisenstab der Stadt Wien. Der Vergleich zum Freitag vor einer Woche: Da gab es 461 Neuinfektionen in Wien, die ebenfalls einige Nachmeldungen enthielten.

Die Zahl der mit dem Virus in Zusammenhang stehenden Todesfälle beträgt 1.715 – zwei mehr als am Donnerstag. Aktuell laborieren 5.246 Menschen in Wien an der Krankheit. 88.105 Personen sind wieder genesen. Am Donnerstag wurden in Wien 54.608 CoV-Tests registriert, insgesamt macht das 3.421.978 Testungen.

429 positive Selbsttests an Schulen

Auch aus den Schulen gibt es eine Wochenbilanz: Von den rund 1,4 Mio. Antigen-Schnelltests, die diese Woche an Österreichs Schulen durchgeführt wurden, fielen 1.247 positiv aus – die meisten davon mit 429 in Wien.

„Kipppunkt bei 700 bis 800 Betten“

Laut aktuellen Prognosen beeinflussen die Mutationen das Infektionsgeschehen sehr stark. In Wiener Spitälern werden derzeit aufgelassene Covid-19-Stationen wieder hochgefahren. Experten warnen sogar vor einer Überlastung. Stephan Kettner, Vorstand der Anästhesie und Intensivmedizin der Klinik Hietzing, sagte Donnerstagabend: „Es wird für die Intensivmediziner jetzt noch Mal anstrengend.“

Der Gesundheitsmanager und Regierungsberater Herwig Ostermann warnte im Ö1-Morgenjournal am Freitag, dass die Lage mit der zunehmenden Ausbreitung der Mutationen sehr dynamisch und schnell gefährlich werden könne. „Der Kipppunkt liegt irgendwo in der Größenordnung von 700 bis 800 Betten“, so Ostermann.

Zwei Drittel der Intensivbetten belegt

Zwei Drittel der Intensivbetten in Wien, die CoV-Patienten gewidmet sind, sind belegt. Derzeit werden etwas weniger als 100 Menschen wegen Covid-19 in Wien intensivmedizinisch behandelt, sagte der Sprecher des Gesundheitsverbunds, Markus Pederiva, am Freitag.

Insgesamt stehen acht Krankenhäusern der Stadt 550 Covid-Betten bereit: 400 auf Normalstationen, 150 auf Intensivstationen. Derzeit sind rund 350 Betten belegt. „Wir sind gut im Versorgungsplan“, sagte Pederiva. Am absoluten Höhepunkt im November 2020 waren über 600 Patienten gleichzeitig im Spital. Sollten Kapazitäten in Spitälern des Gesundheitsverbundes erschöpft sein, könnte man auch auf jene von fünf Privat- und Ordensspitäler aufstocken.

Schwer Erkrankte schneller auf Intensivstation

Der Versorgungsplan wurde basierend auf den Erfahrungen der Pandemie im Frühjahr 2020 sowie auf den Trend der Neuinfektionen erstellt. Täglich würde die Auslastung in den Wiener Spitälern mittels Monitoring beobachtet. Damit stehe fest, „wann man wieviele Betten für Covid-Patienten braucht“, so Pederiva.

Was allerdings seit dem Auftreten der vor allem verbreiteten britischen Mutation B.1.1.7. den Intensivmedizinern auffällt, ist, dass schwer erkrankte Patienten schneller auf der Intensivstation landen, wenn sich der Zustand verschlechtere, berichtete der Sprecher des Gesundheitsverbundes.

Hacker erwägt Verlängerung der Quarantänezeit

Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) regte nun auch an, über eine Verlängerung der Quarantänezeit nachzudenken. Im Interview mit oe24.at gab er zu bedenken, dass die Varianten viel ansteckender seien und die Ansteckungsfähigkeit länger als die derzeit geltenden zehn Tage dauere. „Es könnte sein, dass wir auf 14 Tage ausdehnen müssen.“ Wie auf APA-Anfrage im Hacker-Büro betont wurde, warte man derzeit auf einen Erlass des Gesundheitsministeriums mit einer möglichen Neuregelung der geltende Quarantänebestimmungen.

Wieder mehr Intensivbetten belegt

„Wir stehen dort, wo wir Anfang Oktober bereits waren“, sagt Gesundheitsminister Anschober angesichts der Coronavirus-Zahlen. In Wiener Spitälern werden aufgelassene Covid-19-Stationen jetzt wieder hochgefahren.

„Gerade vor diesem Hintergrund ist es natürlich ein Spiel mit dem Feuer, wenn man den Leuten den Eindruck gibt, als könnten wir jetzt über weitreichende Öffnungen reden, wenn es uns einmal darum geht, dass wir in den Intensivstationen überhaupt mit den Kapazitäten im Gesundheitssystem jetzt sicher bis noch nach Ostern kommen müssen“, sagte Komplexitätsforscher Peter Klimek vom Complexity Science Hub Vienna am Donnerstagabend gegenüber „Wien heute“.