Zwei der Angeklagten im Prozess gegen fünf mutma§liche tschetschenische Sittenwächter
APA/HERBERT-PFARRHOFER
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Chronik

Haftstrafe für „Sittenwächter“

Als „Sittenwächter“ sollen fünf Tschetschenen in Wien agiert haben. Einer ist nun zu einer teilbedingten Haftstrafe verurteilt worden. Das Verfahren gegen die anderen vier Angeklagten wurde vertagt.

Die fünf Angeklagten im Alter zwischen 19 und 40 Jahren sollen in Chatkanälen des Messengerdienstes Telegram als Administratoren agiert haben. Sie wollten unter ihren Landsleuten ein der Scharia konformes Verhalten durchsetzen. Der 38-jährige Verurteilte bekannte sich als Einziger zur Gänze schuldig. Er hatte unter Namen wie „King of the Night“, „Kanzler“, „Celentano“ und „Santa Clause“ die Chats verwaltet.

Da er bereits von Sommer bis Ende 2020 in Untersuchungshaft saß, muss er nicht mehr ins Gefängnis. Die Entscheidung ist allerdings noch nicht rechtskräftig, die Staatsanwaltschaft gab keine Erklärung ab. Der Familienvater ist gerichtlich unbescholten, das war wie das umfassende Geständnis ein Milderungsgrund. Gegen die anderen Beschuldigten wird an zwei weiteren Prozesstagen verhandelt. Ein Termin steht noch nicht fest, die Verhandlung wurde auf unbestimmte Zeit vertagt.

Über „gute Sitten“ gewacht und Frauen bedroht

Drei Angeklagte weisen bereits einschlägige Vorstrafen auf. Laut Staatsanwaltschaft agierte die Gruppierung seit Anfang 2020 im Großraum Wien, indem sie mit Morddrohungen, Nötigung oder mit der Androhung, die gesellschaftliche Stellung zu vernichten, gegen „sittenwidriges Verhalten“ vorgingen. Dazu wurden etwa Social-Media-Profile tschetschenischstämmiger junger Frauen auf ein solches Verhalten durchforstet und überwacht. Am Ende hatte die Gruppe Hunderte Mitglieder, die Beobachtungen durchführten und Verfehlungen meldeten.

Zwei der Angeklagten im Prozess gegen fünf mutma§liche tschetschenische Sittenwächter
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Prozess gegen „Sittenwächter“

Eine solche „Verfehlung“ war es, wenn Tschetscheninnen Kontakt zu nicht tschetschenischen Männern hatten. Fotos dienten als „Beweis“, die Frauen wurden gemeldet. Die Angeklagten ermittelten dann laut Staatsanwaltschaft die Adressen von Schulen, Wohnungen und Arbeitsplätzen der Frauen und observierten sie. Zeigten sie sich nach einer Belehrung nicht einsichtig, wurden sie bedroht, indem etwa die Familien der Frauen kontaktiert wurden.

Drohungen, Handyabnahmen, Schläge

Laut Staatsanwaltschaft reichte es schon, wenn eine junge tschetschenische Frau ein Urlaubsfoto über Soziale Netzwerke verbreitete, sich in der Öffentlichkeit zu freizügig zeigte oder Gerüchte kursierten, sie sei in einer Beziehung mit einem nicht tschetschenischstämmigen Mann. Es kam vor, dass die Betroffenen unter Gewaltandrohung ihre Liebesbeziehung beenden mussten, es wurden ihnen Mobiltelefone gewaltsam abgenommen, oder die Opfer wurden abgepasst und geschlagen.

So wurde in Favoriten ein Jugendlicher von nicht ausgeforschten Tätern zusammengeschlagen, weil eine eine Beziehung zu einer Tschetschenin unterhielt. Nachdem man dem Burschen die Nase gebrochen hatte, wurde seiner Freundin mitgeteilt, dieser werde im Fall einer Anzeigeerstattung getötet.

Haftstrafe für „Sittenwächter“

Zwei Angeklagte wollen Chat unterwandert haben

Am Ende bekannte sich nur der bereits verurteilte Mann schuldig, alle anderen dementierten die Vorwürfen. Er sei Mitglied der Gruppe gewesen, sei sich aber der Tragweite nicht bewusst gewesen, sagte einer der Angeklagten. Zwei Beschuldigte behaupteten, sie hätten sich in die Gruppe geschleust, weil sie selbst zuvor Opfer der „Sittenwächter“ gewesen seien. Der eine hatte öffentlich eine Shisha geraucht, der andere ist tätowiert. Fotos von ihnen, die sie auf Instagram gepostet hatten, wurden in der „Sittenwächter“-Gruppe thematisiert.

Deshalb seien sie vom Obmann eines tschetschenischen Kulturvereins beauftragt worden, sich dieser Chatgruppe anzunehmen. Der 19- und der 40-Jährige sollten die Mitglieder animieren, die Verfehlungen nicht im Chat zu thematisieren, sondern das den Älteren im Kulturverein zu berichten, um das Problem ohne Gewalt zu lösen. „Das ist in Österreich ja grundsätzlich nicht verboten“, sagte der 19-Jährige. „Also, in Wahrheit haben Sie gegen diese Kanäle gearbeitet“, fragte die Richterin. „Ja“, meinte der 19-Jährige. Sein Anwalt kündigte an, den Obmann des Vereins als Zeuge zu beantragen.

Aus „Spaß“ als „Heinrich Himmler“ ausgegeben

Als Kopf der Gruppierung agiert ein Mann mit dem Chatnamen „Heinrich Himmler“. Der 20-jährige Fünftangeklagte steht im Verdacht, dieser Mann zu sein. Der Tschetschene wurde im August 2020 wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt und schwerer Körperverletzung im Zuge der Ausschreitungen in Favoriten festgenommen. Der Mann sitzt derzeit in Strafhaft, nachdem er wegen der Bildung einer kriminellen Organisation und terroristischer Vereinigung bereits vor Gericht saß.

Er bestreitet, der Leiter der „Sittenwächter“ zu sein. Er habe im Chat und bei einem Treffen nur aus Spaß gesagt, er sei „Heinrich Himmler“. „Das ist nicht als Geständnis zu werten“, sagte der 20-Jährige. Er habe den Chat als „Unterhaltungsgruppe“ gesehen. „Ich bin jung, ich brauche Unterhaltung, ich bin viel im Internet“, so der Beschuldigte. „Wir sind in Österreich und in einem freien Land. Mich hat es nichts anzugehen, was wer macht.“