Viele Kinder und Jugendliche entwickeln durch Social-Media-Kanäle Essstörungen
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Social Media als Auslöser von Essstörungen

Vor allem junge Menschen erkranken in der Coronavirus-Krise verstärkt an Depressionen und Essstörungen. Laut einer Diätologin sind der „Clean-Eating-Trend“ sowie der Fitnesswahn in den Sozialen Netzwerken Gefahrenquellen für diese Erkrankungen.

Zu Jahresbeginn schlug bereits das Wiener AKH Alarm: Die Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie ist überfüllt, denn immer mehr Kinder und Jugendliche leiden an Essstörungen und Depressionen. Laut der Wiener Diätologin Isabel Bersenkowitsch sind auch Inhalte auf Social-Media-Plattformen wie Instagram ein ausschlaggebender Grund.

„Kinder und Jugendliche verbringen durch die Krise noch mehr Zeit im Internet und werden beeinflusst von diversen Influencerinnen und Influencern, die vermeintlich perfekte Körper zur Schau stellen und mit einer Menge an Ernährungstipps an ihre Follower treten“, erklärte Bersenkowitsch gegenüber „Wien heute“. Doch genau dieses „Nacheifern“ kann vor allem für Jugendliche zu einer Anorexie, also zu einer Essstörung, führen.

Plus-Size-Trainierin gegen „Bodyshaming“

Genauso heikel sei „Bodyshaming“ im Internet zu betrachten, betont die Fitnesstrainierin Elly Magpie. Gemeint damit sind Diskriminierung, Beleidigung, Mobbing oder Demütigung von Menschen aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes.

Die 34-Jährige ist ausgebildete Trainerin und hat im 11. Bezirk einen Fitness-Raum gemietet, in dem sie momentan Online-Trainings anbietet. Dem viel verbreiteten Schönheitsideal „groß und schlank“ gewinnt sie nichts mehr ab. „Also, ich möchte einfach zeigen, dass man eben an der Bewegung auch Spaß haben kann. Und auch dann, wenn man zum Beispiel nicht diesen Ideal-Körper hat, der dauernd verherrlicht wird. Das soll eigentlich die Message sein“, betonte Elly im „Wien heute“-Interview.

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Elly Magpie – Pluse-Size-Fitnesstrainerin
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Plus-Size-Fitnesstrainierin
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Elly Magpie ist ausgebildete Fitnesstrainierin und hält nichts von der Verherrlichung von sogenannten „Norm-Körpern“
Very Nice Studio

Das Ziel von sportlicher Betätigung sollte laut der Expertin kein Six-Pack sein. „Es geht mir ja wirklich nicht darum, in 30 Tagen zum Beach-Body zu kommen, sondern es geht mir darum, zu sagen:’Hey, in den nächsten drei Jahren entwickeln wir so ein gutes Körpergefühl und Selbstbewusstsein, dass du mit 80 auch noch immer aktiv bist.“

„Ist Ernährung zwanghaft, kann sie nicht gesund sein“

Von Diäten wie Intervallfasten oder dem Verzicht auf bestimmte Produkte halten sowohl Elly Magpie als auch die sogenannte „Anti-Diät-Diätologin“ Isabel Bersenkowitsch nicht viel. Bersenkowitsch sieht Ernährungstipps aus dem Internet problematisch, die vor allem im Onlinedienst Instagram verstärkt auftreten können.

„Es ist problematisch, dass viele der Influencerinnen keine Ausbildung in diesem Bereich haben und trotzdem Empfehlungen geben. Es gibt wahnsinnig viel zu wissen in Sachen Ernährung und und es ist ein sehr komplexes Thema“, kritisiert Bersenkowitsch. Der Gesundheitswahn der Influencer würde dann auf die Userinnen und User „überschwappen“ und gefährlich werden können. Und immerhin würden wir nicht die Realität gezeigt bekommen.

Isabel Bersenkovic – Ernährungsexpertin
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Isabel Bersenkowitsch ist eine Anti-Diät-Diätologin. Sie hat an der FH Campus Wien Diätologie studiert

Die Alarmglocken sollten bei Eltern oder auch bei einem selbst läuten, wenn der sogenannte „Gesunde Lebensstil“ einnehmend, stressig und orthorektisch, also zwanghaft geworden ist. Oder auch, wenn Kinder und Jugendliche beginnen, ganze Mahlzeiten auszulassen. Dann könne man nicht mehr von einem „gesunden Essverhalten“ sprechen. Ernährungstherapien seien nur dann notwendig, wenn bereits diagnostizierte Krankheiten vorliegen: „Mit der Ernährung intervenieren kann man zum Beispiel bei Rheuma, oder bei so etwas wie Gicht, Diabetes, Glutenunverträglichkeit und bei einer Laktoseintoleranz.“

Anti-Diät-Diätologin setzt auf „Intuitives Essen“

Gesunde Menschen hätten aus wissenschaftlicher Sicht einen Verzicht auf bestimmte Lebensmittel „nicht nötig“. Auf ihrer eigenen Instagram-Seite setzt sich die Diätologin verstärkt für Intuitives Essen ein: Sie appelliert an gesunde Menschen, eine bewusste und ausgewogene Ernährung zu wählen, die nichts verbietet und keine Regeln aufzeigt.

Fitness ohne Körperkult

Elly Magpie betreibt ein Fitnessstudio in Simmering. Sie möchte hier Lust auf Bewegung machen, für Körperkult wie in den sozialen Medien gibt es aber keinen Platz.

„Intuitives Essen ist die Gegenbewegung zur Diät-Industrie, wo der Mensch wieder lernt, die Aufmerksamkeit auf innere Signale und Bedürfnisse zu richten.“ Natürlich gäbe es auch Menschen, die mit Intuitivem Essen abnehmen, beispielsweise, weil emotionales Essen aufgelöst oder das rechtzeitige Spüren von Sättigung erreicht wird.

Für die beiden Frauen ist es an der Zeit für ein nachhaltiges Umdenken: Influencerinnen und Influencer müssten sich ihrer Verantwortung bewusst werden. Und Konsumentinnen und Konsumenten müssten einsehen, dass auf Social-Media-Profilen nicht die Realität abgebildet wird. Beide Expertinnen empfehlen ein „Ausmisten“ jener Profile, „die vor Perfektion strotzen“ und die einem ein unwohles Gefühl vermitteln.