Medizinisches Personal in der Intensivstation
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Coronavirus

Spitäler „über Grenze“ mit CoV-Patienten

Laut dem Intensivmedizier Thomas Staudinger sind in „Ostösterreich die Krankenhäuser eigentlich schon über die Grenze hinaus mit Coronakranken belastet“. Das Personal auf den Intensivstationen kommt heute und morgen virtuell zu einem Kongress in Wien zusammen.

In Wien ist die Lage auf den Intensivstationen kritisch. Laut Prognosen könnten in zwei Wochen bis zu 260 Betten mit Intensivbetreuung notwendig sein. Ein wichtiger Faktor dabei ist das Personal, wie der Intensivmediziner Thomas Staudinger von der MedUni Wien vor dem Kongress betonte, denn es gebe nur eine gewisse Menge an qualifizierten Personal: „Das ist eine hochkomplexe Form der medizinischen Behandlung, ein eigenes Fach, ein Zusatzfach bei anderen ärztlichen Grundfächern im ärztlichen Bereich, auch plegerisch ist es sehr speziell.“ Personal einfach umzuschlichten, ist also ausgeschlossen.

Univ.-Prof. Dr. Thomas Staudinger, Facharzt für Innere Medizin und Intensivmedizin, Ärztl. Leiter Intensivstation 13.i2, Medizinische Universität Wien
Uta Müller-Carstanjen/FINE FACTS
Thomas Staudinger, MedUni Wien

Viele halten dem Druck und dem Stress aber nicht stand. In Deutschland wechselten bereits viele Beschäftigte auf Intensivstationen ihre Jobs. Die psychischen Belastungen auf das Personal seien nach mehr als einem Jahr Pandemie auch in Österreich spürbar, betonte Staudinger: eine höhere Rate an Burnouts, viel Stress, demotivierende Arbeit, auch Angst, die Patienten nicht adäquat versorgen zu können, Angst selbst angesteckt zu werden: „Aber es nutzt nichts, es bleibt uns nichts übrig, als uns der Realität zu stellen und das Bestmögliche daraus zu machen.“

„Super-Gau“ für Personal

Das schlimmste für Intensivpersonal ist es laut Staudinger, wenn es so viele Patienten gibt, dass sie nicht mehr versorgt werden können – „das ist auch für das Personal der Super-Gau“. Deshalb sei das Thema Corona gerade jetzt auch aktueller denn je zuvor, „weil einfach in Ostösterreich die Krankenhäuser eigentlich schon über die Grenze hinaus mit Coronakranken belastet sind. Im intensivmedizinischen Bereich haben wir fast nichts anderes mehr zu tun als Coronainfizierte zu behandeln“, so Staudinger. In erster Linie gehe es darum, Ressourcen zu schaffen, um Patienten überhaupt versorgen zu können.

In seinem Team habe es bisher noch keine Aussteiger gegeben, das Team sei hochmotiviert. Entscheidende Faktoren dafür sind laut Staudingers Ansicht eine entsprechend transparente Kommunikation, eine gute Teamstruktur, ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, aber auch eine entsprechende Personalausstattung. „Eine Überforderung, also dass man das Gefühl hat, man kann nicht mehr leisten, was gefordert wird, das würde das alles zum Kippen bringen“, sagte Staudinger.

Zeitgewinn in Intensivmedizin am wichtigsten

Der zweitägige Kongress unter dem Titel „Wiener Intensivmedizinische Tage“ ist eine jährliche Veranstaltung mit üblicherweise 1.000 bis 1.500 Teilnehmern aus ganz Österreich. Dabei wird der aktuelle Stand der Forschung diskutiert und von Expertinnen und Experten aus Österreich und Deutschland erklärt. Ein wichtiger Punkt sei auch der Austausch von Erfahrungen, betonte Staudinger: „Rein medizinisch gibt es einiges, was wir dazugelernt haben an neuen Medikamenten. Wir haben aber auch gelernt, dass viele Dinge, die in der Theorie funktionieren, nicht so in der Praxis funktionieren.“

Die Basis einer optimalen Versorgung von CoV-Kranken sei immer eine gut unterstützte Intensivtherapie, „diesen infizierten Patienten einfach die Zeit zu verschaffen, um über die Krise zu kommen“. Es gehe in erster Linie zum Zeitgewinn, um zusätzlichen Schaden zu vermeiden, und darum Organfunktionen zu ersetzen. Der Körper könne mit einer gewissen therapeutischen Unterstützung eine Coronainfektion überstehen, aber im wesentlichen gehe es um die Zeit.

Welche Möglichkeiten dafür noch kommen werden, das werde man sehen. Vieles sei im Ausprobieren. Staudinger ist optimistisch, dass Lösungen gefunden würden – „aber diese Wunderpille, die die Patienten wieder gesund macht oder vielleicht vor der Intensivstation bewahrt, die ist noch nicht gefunden“.