Ärztin mit Spritze
APA/Barbara Gindl
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Coronavirus

Experte: Erstimpfung für möglichst viele

Man sollte möglichst vielen Österreichern möglichst schnell die erste Teilimpfung geben. Das betont der Wiener Impfexperte Herwig Kollaritsch. Der Schutz baue sich mit der Zeit auf, die zweite Impfung diene vor allem der Konsolidierung des Impferfolgs.

Bis zur breiten Verfügbarkeit von Covid-19-Vakzinen mit nur einer notwendigen Impfdosis sollte alles darangesetzt werden, möglichst vielen die Erstimpfung zu verabreichen. „Herdenschutz“ könne mit infektiöseren SARS-CoV-2-Varianten kaum erreicht werden. Das erklärte Kollaritsch Montagabend bei einer Onlineärztefortbildung.

Kollaritsch: Impfstoffe sind sicher

Insgesamt seien alle derzeit zugelassenen SARS-CoV-2-Impfstoffe sehr gut wirksam, sicher und verträglich, betonte der Wiener Impfexperte. Die Rate von Todesfällen und thromboembolischen Ereignissen (Beinvenenthrombose, Lungenembolie etc.) im zeitlichen Umfeld von Covid-19-Impfungen sei im Grunde im Rahmen der Häufigkeit, in der solche Ereignisse sonst auch in der Bevölkerung auftreten und sehr selten. Für alle thromboembolischen Komplikationen nach Impfung mit der Vektor-Vakzine von AstraZeneca gebe es kein „Signal“ eines häufigeren Auftretens. Die Häufigkeit von Hirnvenenthrombosen (vor allem in Deutschland) liege bei Geimpften geringfügig über dem sonstigen Vorkommen solcher Erkrankungen.

Kollaritsch: „Die Nutzen-Risiko-Relation bleibt (bezüglich des AstraZeneca-Impfstoffs; Anm.) hoch positiv. Ein Pausieren der Impfung für zwei Wochen in Österreich bei der gegenwärtigen epidemiologischen Situaiton hätte die Inkaufnahme von zwölf verhütbaren Covid-19-Todesfällen und 34 Hospitalisierungen bedeutet.“

Vier Impfstoffe derzeit zugelassen

Derzeit sind mit den beiden mRNA-Vakzinen (Pfizer/BioNTech, Moderna) und zwei Vektor-Vakzinen (AstraZeneca, Janssen-Cilag) vier Covid-19-Impfstoffe in der EU zugelassen. In Österreich basiert die Impfkampagne bisher auf den mRNA-Vakzinen und jener von AstraZeneca – jeweils mit zwei Teilimpfungen.

Aus Israel gibt es mit dem Pfizer/BioNTech-Impfstoff bereits hervorragende Daten über die Schutzrate in der routinemäßigen Verwendung (von fast 600.000 Geimpften/Nicht-Geimpften zwischen 20. Dezember 2020 und 1. Februar 2021: 14 bis 20 Tage nach erster Teilimpfung Schutzrate gegen Infektion von 46 Prozent, 21 bis 27 Tage nach Immunisierung bei 60 Prozent und sieben Tage nach zweiter Teilimpfung eine Schutzrate von 92 Prozent (schwere Erkrankungen – Schutzraten von 62 Prozent, 80 und schließlich ebenfalls 92 Prozent).

Längerer Abstand bis zu Zweitimpfung

Aus den Erfahrungen mit allen Vakzinen, bei denen eine zweifache Dosis erforderlich ist, lässt sich laut Kollaritsch ableiten: „Es ist enorm wichtig, dass möglichst viele Menschen möglichst schnell die erste Teilimpfung erhalten.“ Das hat potenziell große Auswirkungen auch auf das österreichische Covid-19-Impfprogramm. Ursprünglich sollte die zweite Teilimpfung der mRNA-Vakzine nach drei (Pfizer/BioNTech) bzw. vier Wochen (Moderna) und elf bis zwölf Wochen (AstraZeneca) erfolgen.

Herwig Kollaritsch (Facharzt für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin) am Donnerstag, 26. März 2020, während der PK „Corona-Vorsorge in Österreichs Spitälern“ im Bundeskanzleramt in Wien.
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Herwig Kollaritsch ist Spezialist für Impfungen und Tropenmedizin

Reizt man aber bei den mRNA das Impfintervall auf sechs Wochen aus (maximal möglich 42 Tage) und geht man bei AstraZeneca auf die zwölf Wochen (maximal 84 Tage), gewinnt man mehr Zeit für die Erstimpfung von mehr Personen und nutzt die zur Verfügung stehenden Vakzine-Menge besser für die schnelle Schutzwirkung in der Bevölkerung.

Der Experte: „Das Ausreizen der möglichen Impfintervalle erlaubt Flexibilität und eine wesentlich raschere Animpfung der Bevölkerung mit der ersten Teilimimpfung. Der Verzicht auf das ‚Vorhalten‘ (Aufbewahren; Anm.) der zweiten Impfdosis, da die Liefermengen ständig steigen, hätte den Effekt, dass bis zur Kalenderwoche 30 (ab 20. Juli; Anm.) bis zu zwei Millionen Personen in Österreich mehr erstgeimpft werden könnten.“ Dagegen ist die EU-Impfstoff-Verteilungsdiskussion mit eventuell geringen Nachbesserungen für Österreich von recht geringer Bedeutung, weil es da um Hunderttausende Dosen geht.

Erreichen einer Herdenimmunität kaum möglich

Vor allem mit infektiöseren Virusvarianten ist das Erreichen einer „Herdenimmunität“, bei der ein hoher Prozentsatz immunisierter Menschen in der Bevölkerung auch die Nicht-Geimpften schützt, kaum zu erreichen. So ging man vom Erreichen eines „Herdenschutzes“ bei den ersten SARS-CoV-2-Stämmen (Wuhan) vor der britischen BV.1.1.7-Variante ab einem Durchimpfungsgrad der Bevölkerung von 63 Prozent aus. Dies sollte bei einer Vakzine-Schutzrate von 86 Prozent und einer Basis-Reproduktionszahl der Viren von 2,7 (eine infizierte Personen steckt im Durchschnitt 2,7 weitere Menschen an) eintreten. „Die B.1.1.7-Virusvariante hat aber eine Basis-Reproduktionszahl von 4,5. Da müsste die Durchimpfungsrate bei 78 Prozent liegen“, sagte Kolleritsch.

Diese „kollektive Immunität“ sei nicht zu erreichen, vor allem, solange man Kinder und Jugendliche nicht durchimpfen könne, betonte der Experte. Bisher sind die Vakzine erst ab dem Alter von 16 bzw. 18 Jahren zugelassen. Studien zur Herabsetzung des Alterslimits laufen aber.