Chronik

Gewalt an Frauen: Opferschutz überlastet

Mit der Bluttat in Wien-Brigittenau sind in Österreich heuer bereits neun Frauen von ihren (Ex-)Partnern getötet worden. Opferschutzeinrichtungen beklagen nun erneut eine totale Überlastung – etwa die Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie.

Im Jahr 2020 wurden in Wien von der Interventionsstelle 6.199 Fälle betreut. Eine langfristige und intensive Unterstützung Betroffener sei so nicht mehr möglich, sagt deren Leiterin Rosa Logar im Gespräch mit der APA: „Da ist keine Zeit, auf das Opfer einzugehen.“

Ein Berater bzw. eine Beraterin hat in akuten Hochzeiten bis zu 300 Opfer zu betreuen. „Für Kolleginnen und Kollegen ist das eine unheimliche Belastung, weil sie so wenig Zeit haben und nur kurzfristig da sein können“, so Logar.

Derzeit mehr Stunden für Täterarbeit als für Opfer

Nicht einmal fünf Stunden Zeit gebe es für ein Opfer – im Gegensatz dazu wurde jüngst beschlossen, für Täterarbeit sechs Stunden an Beratung bereitzustellen. „Das ist eine grobe Ungerechtigkeit“, so Logar, die eine Verdoppelung der Stunden für Opfer verlangt. Es sei sogar gesetzlich verankert, dass ein Bewährungshelfer maximal 35 Täter betreuen darf. „Für Opferschutz gibt es keine Standards.“

Die Einrichtungen hätten mehrfach die Politik um Hilfe gebeten, weil die Anforderungen gestiegen seien. Die fünf Beratungsstunden seien viel zu wenig, um sich aus einem Gewaltverhältnis zu befreien. „Wenn wir mehr Mittel für die Opferbetreuung hätten, könnten wir intensiver dranbleiben und Eskalationen vermeiden.“ In vielen Fällen seien die Täter nämlich bereits bekannt.

Mehr Zusammenarbeit mit Behörden gefordert

Logar forderte mehr Zusammenarbeit zwischen Polizei, Justiz und Opferschutzeinrichtungen und bezeichnet das als wichtigste Komponente im Gewaltschutz. So seien 2018 unter Protest der Opferschutzeinrichtungen „Fallkonferenzen“ mit der Polizei abgeschafft worden, wo an die 80 Hochrisikofälle besprochen wurden. „Wir wollen eine Kommission haben, die sich mit der Gefährlichkeitseinschätzung auseinandersetzt.“ Man habe sonst keinen Ansprechpartner. „Es ist eine Illusion zu glauben, man kann mit einem Gespräch den Täter von etwas abhalten“, so Logar.

Im Studio: Maria Rösslhumer

Im Wien heute Studio: Maria Rösslhumer von den autonomen Frauenhäusern fordert mehr Unterstützung.

Fallkonferenzen und Gefährlichkeitseinschätzungen fordert auch Maria Rösslhumer, Geschäftsführerin der Autonomen Österreichischen Frauenhäuser. „Die Politik muss endlich etwas tun: Nämlich Maßnahmen setzen und den Opferschutz verbessern“, forderte sie im „Wien heute“-Interview. „Die Behörden kennen die meisten Mörder – die meisten Mörder, die wir haben, waren in den meisten Fällen polizeibekannt, ortsbekannt oder wie im aktuellen Fall: justizbekannt.“

Forderung nach Job-Offensive

Die Ressourcen von Opferschutzeinrichtungen müssten verdoppelt oder verdreifacht werden, so Rösslhumer. „Wir fordern ja überhaupt eine Job-Offensive für den Gewaltbereich bzw. den Opferschutzbereich. Es braucht mindestens 3.000 Arbeitsplätze mehr im Opferschutzbereich“, so Rösslhumer.

Frauenmorde seien aber nicht nur durch die Coronaviruskrise mehr geworden. „Immer dann, wenn finanzielle Schwierigkeiten und wirtschaftliche Probleme bestehen, nimmt die Gewalt in der Familie zu. Das sind Erfahrungen, das hat schon 2008 mit der Wirtschaftskrise begonnen und das zieht sich durch bis jetzt in der Corona-Zeit.“