Schüler mit Ringmappe
APA/dpa/Felix Kästle
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Coronavirus

Experte: Vollbetrieb in Schulen zu früh

Am 17. Mai sollen alle Schulen in Österreich in den Vollbetrieb zurückkehren. Für Michael Wagner, Mikrobiologe an der Uni Wien und Initiator einer Studie zur CoV-Dunkelziffer in Schulen, kommt diese Maßnahme „ein Stück zu früh“.

„Für mich als Wissenschaftler ist das die Wiederholung eines Experiments, das an sich, wenn sich die Rahmenbedingungen nicht ändern, nicht gutgehen kann“, sagte Wagner im Gespräch mit der APA. „Die Schulen haben in der dritten Welle eine wichtige Rolle gespielt, Kinder und Jugendliche hatten die höchsten Altersgruppeninzidenzen.“

216 Neuinfektionen

Österreichweit sind von Sonntag auf Montag 1.091 Neuinfektionen mit dem Coronavirus registriert worden. In Wien sind es 216, die Zahl der CoV-Intensivpatienten ist mit 183 weiter hoch.

Schon im Februar, als in Ostösterreich die ansteckendere britische Mutation B.1.1.7 bereits vorherrschend war und die Schulen nur im Schichtbetrieb geöffnet wurden, habe man gesehen, dass man den Anstieg der Infektionen mit breitem Einsatz von Antigen-Schnelltests nur verlangsamen, aber nicht kontrollieren kann.

„Impffortschritt noch nicht so weit“

Zwar gebe es nun wärmeres Wetter. Niemand könne aber seriös sagen, wie stark sich das auf das Infektionsgeschehen auswirke. Auch der Impffortschritt sei noch nicht so weit, dass man sich in Sicherheit wiegen könne. „Wir können Glück haben, weil jetzt bessere Rahmenbedingungen sind. Aber es ist immer noch ein sehr hohes Risiko, dass diese Öffnungen ein Stück zu früh kommen.“

Bei der Elterngeneration der Schulkinder beginne die Impfung erst mit Ende Mai oder im Juni. „Das bedeutet, wir haben ein bis zwei ungeschützte Monate für viele Leute, die durchaus anfällig für einen schweren Krankheitsverlauf sind“, so Wagner mit Blick auf die Intensivstationen, wo das Durchschnittsalter mittlerweile knapp über 60 liegt.

„Jüngere Kinder sicher Hotspot“

Dass nun bei den über Zehnjährigen von Schicht- auf Vollbetrieb umgestellt wird, werde sich auf jeden Fall auch in den Infektionszahlen niederschlagen, erwartet Wagner. Immerhin seien Aerosole der Hauptübertragungsweg von SARS-CoV-2 – und je mehr Personen in einem Raum sind, umso höher die Wahrscheinlichkeit, sich anzustecken, selbst wenn man regelmäßig lüftet. Vor diesem Hintergrund ist für Wagner auch unverständlich, wieso in den Volksschulen nur eine Maskenpflicht abseits des Sitzplatzes gilt.

Nur in der Unterstufe muss durchgehend Mund-Nasen-Schutz und in der Oberstufe FFP2-Maske getragen werden. Gleichzeitig würden bei den Volksschülern, die die Hygieneregeln am wenigsten einhalten können, auch die am wenigsten aussagekräftigen Tests eingesetzt, die nur jede fünfte Infektion tatsächlich erkennen. „Die jüngeren Kinder werden deshalb sicher ein Hotspot werden“, so Wagner. „Hier müsste man eigentlich schnell genauer hinschauen und Maßnahmen setzen.“

„PCR-Schutzschirm“ in Schulen

Wagner plädiert erneut für die Schaffung eines „PCR-Schutzschirms“ in den Schulen zumindest im nächsten Schuljahr. Das von ihm mit anderen Experten entwickelte Modell sieht vor, dass alle Schülerinnen und Schüler dreimal pro Woche daheim PCR-Gurgeltests durchführen und in den Schulen abgeben. Das sei selbst im ländlichen Raum logistisch möglich, ist er überzeugt. „Wir können Milch an jede Schule bringen, wieso also nicht auch Gurgellösung abholen?“

Tatsächlich könnten die Schulen sogar ein starker Hebel zur Pandemiebekämpfung sein, weil sich bei der britischen Mutation oftmals die gesamte Familie infiziert und durch regelmäßiges Testen der Schüler auch deren Haushalte indirekt mitgetestet werden. Immerhin wisse man aus Umfragen, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung dieses Instrument sonst niemals nutzt.

Luftfilter als Zusatzmaßnahme

Als zusätzliche Maßnahme im Klassenzimmer würde Wagner auch den Einsatz von Luftfiltern befürworten, über den derzeit wieder debattiert wird. „Das wäre auch eine sinnvolle Maßnahme, um die Virenkonzentration zu senken, kommt aber reichlich spät.“ Aus CO2-Messungen an Schulen wisse man, wie schnell sich in einem Klassenzimmer Atemluft anreichert.

An die Politik appelliert Wagner, möglichst rasch auch genug Impfstoff für Kinder zu organisieren, um diesen unmittelbar anzubieten, sobald klar ist, dass die Impfung auch für sie sicher ist. „Man wird die Pandemie nur in den Griff bekommen, wenn man auch die Kinder impft.“ Andernfalls bleibe eine große Gruppe, in der das Virus weiterzirkuliert – inklusive der Gefahr, dass dabei Fluchtmutanten entstehen, gegen die die nun entwickelten Impfungen nicht wirken.

Auch Modellrechner warnt vor zu rascher Öffnung

Skeptisch sehen Forscherinnen und Forscher neben den Schulen auch die angekündigten Öffnungen mit 19. Mai. Ab diesem Datum werden Gastronomie, Tourismus und Veranstaltungen, etwa im Kulturbereich, wieder erlaubt sein. Die Öffnungsschritte werden von Sicherheitskonzepten begleitet.

„Es geht darum, dass wir die momentan rückläufige Entwicklung fortsetzen können. Sprich, dass die Öffnungsschritte so wohljustiert sind, dass es zu keiner neuen Welle kommt. Vor allem im Osten kann man sich die nicht erlauben“, sagte der Komplexitätsforscher Peter Klimek von der MedUni Wien gegenüber Ö1.

Je mehr Personen geimpft sind, desto schwieriger seien die Zahlen der Neuinfektionen zu interpretieren. „Angenommen, wir haben 100 Infektionen, und 50 Prozent der Bevölkerung sind geimpft, dann heißt das, dass sich diese 100 Infektionen auf den Teil der Bevölkerung konzentrieren, die nicht geimpft sind. Und in diesem haben wir dann eine viel höhere Infektionszahl“, sagte Klimek.

Deshalb müsste man eigentlich die Inzidenzen in unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen beobachten und darauf achten, dass möglichst viele Gruppen gut geschützt sind, insbesondere Personen mit Risikofaktoren.