Medienrummel vor Verhandlungssaal
APA/Hans Punz
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Chronik

Anschlag: Prozess um Schadenersatz vertagt

Der am Montag am Landesgericht für Zivilrechtssachen (ZRS) gestartete Prozess um die Klage der Mutter eines Terroropfers bei dem Anschlag am 2. November ist auf unbestimmte Zeit vertagt worden. Die Republik Österreich lehnte eine gütliche Einigung mit der Klägerin ab.

Vier Menschen wurden bei dem Anschlag am 2. November in der Wiener Innenstadt von dem 20-jährigen Attentäter getötet, darunter auch eine 24-jährige Kunststudentin aus Deutschland. Die Frau jobbte gerade als Kellnerin in einem Lokal in der Nähe des Schwedenplatzes, als der Attentäter das Feuer eröffnete. Sie wurde im Schanigarten erschossen.

Neuer Termin im Herbst?

Ihre aus dem Raum München stammende Mutter brachte eine Amtshaftungsklage ein. Es geht um Versäumnisse der Behörden vor dem Anschlag. Am Montag wurde der erste Prozess um Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüche gegen die Republik Österreich eröffnet. Die Republik Österreich lehnte eine gütliche Einigung mit der Klägerin zum Prozessauftakt ab.

v.l. Die Anwälte Norbert Wess und Bernhard Kispert,  Richterin Marianne Kodek und  die Vertreter der Finanzprokuratur vor Beginn der Verhandlung nach dem Terroranschlag in Wien bei der die Mutter einer getöteten Kunststudentin die Republik klagt
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Anwälte Norbert Wess, Bernhard Kispert, Richterin Marianne Kodek und die Vertreter der Finanzprokuratur (v.ln.r.) vor Verhandlungsbeginn

Weil noch weitere schriftliche Stellungnahmen von den Anwälten des Staates und der Klägerin nötig sind, geht die Richterin von einem neuen Termin im Herbst aus.

„Einfach Verantwortung übernehmen“

Die große Frage im Prozess lautet: Haben die Behörden im Vorfeld alles getan, um das Risiko für einen Terroranschlag zu minimieren? Nein, sagt der Rechtsanwalt Norbert Wess, der die Mutter der getöteten Kunststudentin vertritt. Er steht auf dem Standpunkt, dass der Anschlag verhindert hätte werden können. Wess stützt sich dabei auf die Ergebnisse der so genannten Zerbes-Kommission, die im Auftrag von Innen- und Justizministerium allfällige Versäumnisse im Zusammenhang mit dem behördlichen Umgang mit dem späteren Attentäter untersucht hatte.

„Es ist schon auch wirklich der Wunsch der Opferfamilie, dass die Republik Österreich hier einfach Verantwortung übernimmt“, sagte Wess im Ö1-Morgenjournal. Zum Auftakt der Verhandlung verwies Wess darauf, dass das Innenministerium zwischenzeitlich zwei Wiener LVT-Beamte „wegen einer Kette von Versäumnissen“ wegen möglichen Amtsmissbrauchs angezeigt habe: „Um so verwunderlicher und tragischer ist es für die Mutter der Getöteten, dass keine Bereitschaft der Republik Österreich besteht, das auszugleichen.“

Terroranschlag: Prozess um Schadenersatz

Der Attentäter hat vier Menschen umgebracht und die Mutter eines Opfers klagt die Republik auf mehr als 100.000 Euro Schadenersatz. Die Frage ist, ob die Tat verhindert werden hätte können. Die Republik will vorerst nicht zahlen.

Fahrplan der Richterin

Richterin Marianne Kodek drückte der hinterbliebenen Mutter zu Beginn der Verhandlung ihr „tief empfundenes Mitgefühl“ aus. Sie kündigte an, auf Basis „der Fakten- und Aktenlage“ allfällige Handlungen und Unterlassungen auf Seiten der Behörden prüfen zu wollen, „die eine Haftung der Republik Österreich begründen können“.

Zunächst werde es um die Feststellung gehen, ob die geltend gemachten Forderungen der Klägerin dem Grunde zurecht bestehen. Nachdem Wess einen umfangreichen Schriftsatz eingebracht hatte, bekam die Finanzprokuratur eine Frist von vier Wochen für eine Gegenäußerung eingeräumt. Die Verhandlung wurde daher auf vorerst unbestimmte Zeit vertagt.

Behörden waren mit „Operation Ramses“ beschäftigt

Eine Reihe von Missständen zeigte auch bereits eine Kommission aus Expertinnen und Experten unter der Leitung von Strafrechtsprofessorin Ingeborg Zerbes auf. So wussten die Behörden von einem versuchten Munitionskauf durch den späteren Terroristen und von einem Treffen mit Extremisten aus Deutschland. „Man kann sicher nicht im Strafrecht sagen, ein Einzelner hätte die Schuld an der Tötung anderer. Aber: Dass der Staat nicht alles gemacht hat, um Risiko zu vermindern, das könnte ein Thema für Amtshaftung sein“, so die Einschätzung von Zerbes.

Die Behörden waren zum Tatzeitpunkt außerdem mit der „Operation Ramses“ beschäftigt, einem großangelegten Schlag gegen die Muslimbruderschaft. So hätten sie die eigentliche Gefahr aus den Augen verloren, kritisierte Extremismusforscherin Daniela Pisoiu vom Institut für internationale Politik im Ö1-Interview: „Man sieht zum Beispiel, dass ganz konkret ein Gespräch mit dem zukünftigen Terroristen verschoben worden ist, weil man diese Ressourcen für die ‚Großoperation Ramses‘ gebraucht hat.“

Familie fordert 125.000 Euro

Die Opfer haben zwar Ansprüche etwa auf Schadenersatz und Prozessbegleitung und Ähnliches. Das genüge bei Weitem nicht, findet Rechtsanwalt Wess. Allein die Überstellung des Leichnams der 24-jährigen Studentin von Österreich nach Deutschland hätte um die 8.000 Euro gekostet: „Wenn da die Republik Österreich sagt, wir können nur einen Teil dieser Kosten in Höhe von 3.800 Euro übernehmen, dann ist das nicht das, was sich die Mutter der Verstorbenen erwartet hat.“ Insgesamt geht es im aktuellen Prozess um knapp 125.000 Euro an Schmerzensgeld, Bestattungs- und Fahrtkosten für die Familie der getöteten Studentin.

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) verwies auf einen eigenen Entschädigungsfonds, der aber erst noch in Ausarbeitung sei und außerdem in den Bereich des Sozialministeriums gehöre. Er selbst sei auch zu persönlichen Treffen bereit: „Ich habe immer das Angebot gestellt, dass die Opferangehörigen, die von sich aus das Bedürfnis haben, mit mir zu sprechen, ich immer zur Verfügung stehe.“ Er habe jedoch nicht den Eindruck erwecken wollen, dass er sich aufdränge.

Weitere Hinterbliebene Klage beigetreten

Der Wiener Rechtsanwalt Karl Newole, der rund zwei Dutzend Angehörige bzw. Opfer des Anschlags vertritt – vier Menschen hatte der Attentäter erschossen, mehr als 20 verletzt –, trat als Nebenintervenient dem Verfahren bei. Er kam mit der Tochter eines getöteten Lokalbesitzers zur Verhandlung und reagierte erbost, als sich die Vertreter der Finanzprokuratur dagegen aussprachen, ihn als Nebenintervenient zuzulassen. Die Richterin behielt sich die Entscheidung in diesem Punkt vor.

„Ich erwarte mir, dass sie (die Vertreter der Republik, Anm.) Verantwortung übernehmen und aussprechen, dass Fehler passiert sind“, erklärte die Tochter des erschossenen Familienvaters nach der Verhandlung vor zahlreichen Journalisten. Die Situation sei „schwierig für die Familie“, es sei „emotional anstrengend, das durchzuarbeiten“. Sie selbst sei „enttäuscht und frustriert, dass es kein Entgegenkommen der Republik gibt“.

Newole berichtete, einige vom Anschlag Betroffene wären wütend, andere dagegen traurig, dass Österreich ihre Ansprüche mit 2.000 Euro aus dem Verbrechensopfergesetz begrenze. Eine betroffene Person sei inzwischen aus Wien weggezogen und habe sich geschworen, nie mehr den ersten Bezirk zu betreten.

Schwere Kritik von SPÖ und FPÖ

Die SPÖ und die FPÖ verlangten mittels Presseaussendungen ein Handeln der Regierung und eine angemessene Entschädigung für die Terroropfer bzw. die Hinterbliebenen. SPÖ-Sicherheitssprecher Reinhold Einwallner nannte es „ein Armutszeugnis“, dass keine außergerichtliche Lösung gefunden wurde und eine Amtshaftungsklage eingebracht werden musste.

Einwallner sah Sozialminister Wolfgang Mückstein (Grüne) in der Pflicht: „Das Abschieben der Verantwortung des Innenministers und das ständige Vertrösten auf eine Lösung sind unwürdig. Fakt ist, dass im Fall des Attentäters den Behörden viele schwere Fehler unterlaufen sind. Seine Identität wurde nicht früh genug festgestellt, trotz eines Treffens mit bekannten Terroristen wurden keine weiteren Schritte zur näheren Überwachung gesetzt. Die Opfer und Hinterbliebenen haben also einen klaren Anspruch auf Entschädigung.“

„Schäbiges Verhalten“

FPÖ-Obmann Norbert Hofer monierte das Fehlen eines Entschädigungsfonds: „Das ist einfach nur ein schäbiges Verhalten, das die Regierung hier an den Tag legt.“ Es müsse „die höchste Priorität sein, für eine Entschädigung der Opfer zu sorgen“, meinte Hofer. FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz qualifizierte die ausbleibenden angemessenen Entschädigungszahlungen als „eine absolute Schande für unser Land“.

Dieses Verhalten bezeuge, „wie kaltschnäuzig die türkis-grüne Regierung mit den Bürgern umgeht. Allein die Tatsache, dass eine Mutter die Republik klagen muss, ist mehr als schäbig“. Schnedlitz mahnte „eine Rückkehr zu einer moralisch haltbaren Regierungspolitik“ ein.