Polizisten in einer U-Bahn-Station
ORF.at/Christian Öser
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Chronik

Antisemitischer Vorfall: Vorwürfe gegen Polizei

In einer Wiener U-Bahn soll es zu einem antisemtischen Vorfall gekommen sein. Eine 19-jährige Studentin soll beschimpft worden sein. Als sie Polizeibeamten davon berichtet hat, sollen die nicht eingegriffen haben.

Die Studentin der Judaistik saß am Montag der Vorwoche in der U3 und las in einem Buch mit dem Titel „The jews in the modern world“. Da bemerkte sie, wie drei Männer aufstanden, sie einer davon an den Haaren zog und sie als „Judenschlampe“ beleidigte. Sie sei auch als Kindsmörderin beschimpft worden, erzählte die Frau dem ORF-Radio. Geschockt schaffte sie es, in der Station Stephansplatz ins Freie zu gelangen.

Dort traf sie auf zwei Polizisten und sprach sie wegen des Vorfalls an. „Die erste Frage war wirklich, warum ich jetzt in einer solchen Konfliktsituation gerade so ein Buch lesen muss, ob mir nicht klar sei, dass das provozieren müsse“, so die Studentin. Außerdem habe einer der Beamten sie gefragt, ob sie eine Jüdin sei. Als sie das verneinte, sagten die Polizisten, dass man dann aber nicht wirklich von Antisemitismus sprechen könne.

Rat der Polizei: „Vorfall vergessen“

Auf die Frage, was sie jetzt tun solle, habe einer der Beamten geantwortet, dass sie auf einer Polizeiwache dasselbe hören werde. Doch die Studentin erwiderte, sie könne jetzt nicht einfach nichts machen. Die Aussage der Polizisten, dass es sei schwer wäre, Verdächtige auszuforschen, verwunderte die Frau, wo doch überall in den U-Bahnen Videokameras installiert seien: „Dann wurde mir gesagt, ich solle das am besten vergessen.“ Als sie einige Tage später selbst bei den Wiener Linien anfragte, hieß es, dass das Videomaterial nur 72 Stunden gespeichert wird.

„Ungeheuerlicher“ Vorfall

Für den Bildungsexperten Daniel Landau ist der Vorfall ungeheuerlich. Er arbeitet für das Innenministeriums an einem Ausbildungsmodul zur Antisemitismus-Sensibilisierung bei der Polizei. Es umfasst acht Stunden und soll ab Herbst starten: „Also ein dermaßen massiver Übergriff, da stellt sich doch nicht einmal die Frage, ob das ein antisemitischer Übergriff ist oder nicht. Das ist ohne Wenn und Aber sehr wohl einer.“

Das habe nichts damit zu tun, ob das Opfer Jüdin sei oder nicht. Ihm dann auch noch vorzuwerfen, die Tat ausgelöst zu haben, dürfe nicht passieren, egal ob es um antisemitische, antimuslimische, rassistische oder sexuelle Übergriffe gehe. Der Fall zeige, wie wichtig es sei, zu senibilisieren.

Laut Polizei laufen Erhebungen

Der Vorfall sei seit Donnerstag bekannt, hieß es aus der Landespolizeidirektion Wien zur APA. Derzeit liefen Erhebungen, alle in Frage kommenden Beamte seien kontaktiert worden. Auch disziplinar- oder gar strafrechtliche Ermittlungen in der Sache seien nicht auszuschließen. Die Studentin selbst sei aufgefordert worden, umgehend Kontakt mit der Landespolizeidirektion aufzunehmen. Die Wiener Polizei verurteile jedenfalls jede Form von Antisemitismus, sagte ein Sprecher.

Im Innenministerium hieß es, dass man derartige Beschwerden sehr ernst nehme. „Das wirksamste Mittel im Kampf gegen Antisemitismus ist das Sichtbarmachen des jüdischen Lebens in Österreich. Die Polizei ist ein Garant dafür“, äußerte sich Minister Karl Nehammer (ÖVP) in einem schriftlichen Statement und: „Es gibt keine Toleranz bei antisemitischen Vorfällen in Österreich.“

Erst vor einer Woche hatte Nehammer eine Initiative angekündigt, mit der Polizistinnen und Polizisten verstärkt auf Antisemitismus sensibilisiert werden sollen. Das Ausbildungsmodul des Experten Landau solle das Rüstzeug liefern, um Antisemitismus rechtzeitig zu erkennen, meinte Nehammer.

Antisemitismus als „Problem der gesamten Gesellschaft“

Der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG), Oskar Deutsch, sagte zur APA, der Vorfall sei in dreifacher Hinsicht verstörend: „Erstens wird eine Studentin attackiert, weil sie ein Buch über das Judentum liest. Ein klarer Fall von Antisemitismus. Zweitens schreitet wieder keiner der Zeugen in der U-Bahn ein und obendrauf wird die Betroffene von Polizisten zurückgewiesen.“ Der Vorfall zeige auch, dass Antisemitismus kein jüdisches Problem sei, sondern eines der gesamten Gesellschaft.

Deutsch dankte der Studentin, dass sie den Vorfall gemeldet hat: „Das braucht Überwindung.“ Sie werde nun von der Antisemitismus-Meldestelle der IKG und bei Bedarf von weiteren Einrichtungen der IKG unterstützt.

Eine Untersuchung des Verhalten der Polizisten sei unumgänglich. Positiv ist für Deutsch die geplante Berücksichtigung von Antisemitismus in der Ausbildung von Polizistinnen und Polizisten. Zudem erneuerte Deutsch die Forderung, dass Antisemitismus als Motiv für eine strafbare Handlung bereits bei der Aufnahme einer Anzeige durch die Polizei verpflichtend erfasst werden müsse. Ebenso wie andere Motive gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, wie Rassismus oder Homophobie.