Chronik

Polizist wegen Amtsmissbrauchs verurteilt

Nach der Auflösung einer Demonstration im Mai 2019, bei der Vorwürfe über Polizeigewalt laut geworden waren, ist am Dienstag ein Beamter wegen Amtsmissbrauchs und falscher Beweisaussage zu einer bedingten Haftstrafe verurteilt worden.

Bei der Demo war ein Mann mit dem Kopf unter einem Polizeibus zu liegen gekommen. Der 29-Jährige erhielt von einem Schöffengericht eine bedingte Strafe von zwölf Monaten, weil er einen Passanten ohne Grund festgenommen haben soll. Der Kopf dieses Mannes lag dann unter einem Polizeiwagen, als dieser losfuhr. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Verteidiger Martin Riedl meldete volle Berufung an.

Festnahme wegen vermeintlich aggressiven Verhaltens

Der Polizist nahm bei der Auflösung der Demonstration einen Passanten wegen aggressiven Verhaltens gegenüber der Polizei fest – zu Unrecht, so die Staatsanwaltschaft. Auf Videoaufnahmen und laut Zeugenberichten gab sich der Passant sehr ruhig und kooperativ und gar nicht aggressiv. Der Vorwurf des Beamten, der Passant habe ihn laut angeschrien und mit den Händen vor seinem Gesicht herumgefuchtelt, widerlegte der 30-Jährige als Zeuge nun vor Gericht. Er habe normal gestikuliert, sagte er.

Demonstrant unter Polizeibus
Privat
Ein Aktivist wurde bei der Festnahme fast von einem Polizeibus überrollt

Der Deutsche, der im Vorfeld an einem Klimacamp teilgenommen hatte, hatte sogar seine Hände in der Tasche, als er festgenommen wurde, sagte der Staatsanwalt, der den Mann als „ruhigen Beobachter“ der Demo bezeichnete. Die Causa wurde schon mehrfach vor Gericht behandelt. Während der Amtshandlung war es nämlich zu einem dramatischen Zwischenfall gekommen. Während der 30-Jährige auf dem Boden fixiert wurde, lag er unter einem Polizeibus, der plötzlich losfuhr und fast den Kopf des Mannes überrollt hätte, wenn ihn die Beamten nicht rasch zurückgezogen hätten.

Prozess nach Maßnahmenbeschwerde

Der Demonstrant reichte nach dem Vorfall Maßnahmenbeschwerde beim Landesverwaltungsgericht Wien ein, ihm wurde recht gegeben. Die Festnahme, die gewaltsame Fixierung auf dem Boden mit dem Kopf unter einem Polizeifahrzeug, die 14 Stunden andauernde Anhaltung und die Verweigerung anwaltlichen Kontaktes waren rechtswidrig. Die Richterin erstattete daraufhin Strafanzeige gegen den Polizisten, weil sie davon überzeugt war, dass der Beamte sein Amt missbraucht und vor dem Verwaltungsgericht falsch ausgesagt habe.

Die Staatsanwaltschaft thematisierte in diesem Verfahren auch die bei der Amtshandlung entstandenen Körperverletzungen, dieses Delikt wurde jedoch dem Amtsmissbrauch zugerechnet. Der 30-Jährige klagte danach über Prellungen, Zerrungen und Abschürfungen. Einen Arzt suchte er jedoch nicht auf.

Polizist bekannte sich nicht schuldig

Der Beamte bekannte sich vor Gericht nicht schuldig, räumte jedoch ein, er könnte die Situation falsch wahrgenommen haben. „Das, was ich jetzt erzähle, ist meine Erinnerung“, sagte der 29-Jährige. „Wenn man mir was zeigt (damit sind die Zeugenvideos gemeint, Anm.), was dem widerspricht, was ich wahrgenommen habe, dann tut es mir fürchterlich leid.“ Er hatte die Anweisung, die Blockade aufzulösen und den Gehsteig zu räumen, was ihm den Protest von Passanten einbrachte. Es entstand eine Diskussion zwischen den Zuschauern und den Polizisten.

Mit den Worten „Gemma, gemma“, die im Video zu hören sind, wollte er die Passanten wegschieben. Da habe der Deutsche vor seinem Gesicht gestikuliert und lauthals mit ihm gesprochen. „Ich hab ein aggressives Verhalten empfunden vor Ort“, sagte der Beschuldigte. Er habe den Mann aufgeklärt, wenn er nicht gehe, dann werde er Zwangsgewalt anwenden oder ihn festnehmen. Dem habe sich der Mann widersetzt, weswegen er die Festnahme aussprach. Auf dem Weg zum Polizeibus habe er „eine Gegenwehr“ verspürt, den Mann zu Boden gebracht und gemeinsam mit einem Kollegen unter dem Wagen fixiert.

Verfahren gegen zwei Beamte noch offen

Im Nachhinein habe er bemerkt, dass eine Frau versuchte, den Festgenommenen wegzuziehen. Der Polizist, der immer noch im Dienst ist, gab zu, dass vielleicht diese Aktion die Gegenwehr verursacht habe. Dass plötzlich der Bus wegfuhr, habe ihn „genauso schockiert“ wie die Passanten, die laut aufschrien. Im letzten Moment wurde der Mann hervorgezogen, ehe ein Rad ihn überrollen konnte.

Der Staatsanwalt gab zu bedenken, dass sich innerhalb von vier Sekunden, die von dem Ruf „Gemma, gemma“ und der Festnahme eine Anzeige oder eine Abmahnung gar nicht ausgehen würde. „Das ist schlecht denkunwürdig“, sagte der Ankläger. Auch der Festgenommene meinte, er wollte eigentlich den Ort des Geschehens verlassen, weil ihm die Lage zu aufgeladen gewesen sei. „Ich bin zwei, drei Schritte gegangen und wurde schon gepackt.“ Zwei Kollegen des Beamten – jener, der ihm bei der Festnahme half, und der Fahrer des Busses – müssen sich noch vor Gericht verantworten.

„Sie haben wissentlich gehandelt“

Die Staatsanwaltschaft und der Privatbeteiligtenvertreter des Passanten, Clemens Lahner, gaben keine Erklärung ab. Richterin Anna Marchart sagte in ihrer Urteilsbegründung, dass eigentlich 15 Monate schuld- und tatangemessen gewesen wären, drei Monate wurden allerdings hinsichtlich der langen Verfahrensdauer nachgesehen.

Der Senat habe dem 29-Jährigen nicht geglaubt, dass er nicht wusste, was er tat. „Sie haben gewusst, dass dieser Festnahmegrund nicht vorliegt“, sagte die Schöffensenatsvorsitzende. „Sie haben wissentlich gehandelt“, und das sei die Voraussetzung für einen Amtsmissbrauch. Deshalb erhielt der Beamte auch einen Schuldspruch wegen der falschen Beweisaussage. „Sie haben zu keinem Zeitpunkt gesagt: ‚Das stimmt nicht, was ich gesagt habe‘“, so die Richterin.