Im Eröffnungsmatch am 19. Juni 1921 feierte die Vienna in der Naturarena in Döbling einen 2:1-Sieg gegen Hakoah. Die Blau-Gelben waren 1894 in Döbling gegründet worden und vor dem Umzug in die neue Spielstätte nur einen Steinwurf davon entfernt zu Hause. Doch der alte Bau war längst zu klein geworden. Was Ingenieur Eduard Schönecker, der schon Rapids Pfarrwiese in Hütteldorf entworfen hatte, aber dann auf den grünen Hügel pflanzte, galt weit über Wien hinaus als Sensation.
Rotschild-Rosengärten als „Keimzelle“
Eigentlich seien die Gärten von Nathaniel Meyer Freiherr von Rothschild (1836 – 1905) der Ausgangspunkt von Österreichs erstem Fußballverein, First Vienna Footballclub 1894, gewesen, einer damals großen Gartenanlage an der Spitze des Hügels Hohe Warte, erzählte der Historiker Alexander Juraske am Wochenende gegenüber „Wien heute“ von den Anfängen des österreichischen Vereinsfußballs. Dort gab es britische Landschaftsgärtner und zwei Brüder, die Joli-Brüder. Einer sei in England auf einem Studienaufenthalt gewesen und habe von dort einen Fußball mitgebracht. „Und das war sozusagen die Keimzelle.“
Alexander Juraske über den Gründungsmythos der Vienna
Rothschild übernahm die Patenschaft, und um seine Blumen zu schonen, stellte er den fußballbegeisterten Beschäftigten im First Vienna Football Club die Kuglerwiese auf der Hohen Warte zur Verfügung. Zum Dank spielte der Verein in des Barons Farben: Blau-Gelb. Wiens Fußball und die Basis für die spätere Spielstätte Hohe Warte waren geboren. 1921 zog der Verein dann ein Stück weiter zum jetzigen Standort auf der Hohen Warte.
Platz für 90.000 Menschen
Im nach einer Seite offenen Oval, mit einer mächtigen Naturtribüne den Hang Richtung Grinzing hinauf, auf der anderen Seite einer schlichten Holzdachkonstruktion nach englischem Vorbild, passten an die 90.000 Zuschauerinnen und Zuschauer. Lediglich in London und Glasgow standen in den 1920er und 1930er Jahren größere Kathedralen für das damals florierende Massenspektakel Fußball. Die Hohe Warte „war auf jeden Fall eine der führenden Arenen in Kontinentaleuropa, wenn nicht die führende Arena“, sagt der Sporthistoriker Matthias Marschik.
Berühmtheit erlangte die Hohe Warte als Spielwiese für mehrere Wiener Clubs sowie als Festung des österreichischen Nationalteams. Am 16. Mai 1931 wurde das Wunderteam geboren, Österreich schlug das klar favorisierte Schottland in Döbling 5:0. Bis 1933 gewann die Mannschaft von Teamchef Hugo Meisl noch 13 weitere Partien, unterlag nur in London gegen England 3:4. Die Namen der damaligen Stars Matthias Sindelar, Toni Schall, Karl Zischek, Fritz Gschweidl und Josef Smistik geistern bis heute im kollektiven Gedächtnis und in den ÖFB-Statistiken herum.
Als am 15. April 1923 Wiens Straßen leergefegt waren
Übermächtige Konkurrenz im Prater
Nach der „Wunderteam“-Ära wuchs buchstäblich Gras über die Anlage, die bereits 1931 mit dem Praterstadion eine übermächtige Konkurrenz bekommen hatte. Noch vor dem Zweiten Weltkrieg begann die Natur mit ihrer stillen Rückeroberung. Vor allem die monumentale Hangtribüne wurde sukzessive vom Grün überwuchert, die Zahl der offiziell zugelassenen Zuschauer ging kontinuierlich zurück.
Die Vienna, 1955 zum sechsten und letzten Mal österreichischer Meister, ist seit der Nachkriegszeit Hauptnutzer des Grundstücks. Es fanden auf der Hohen Warte jedoch auch Wiener Derbys statt, Konzerte wie von Literaturnobelpreisträger Bob Dylan oder Austrorocker Dr. Kurt Ostbahn, Opern, Leichtathletik-Wettkämpfe, Rugby- und American-Football-Spiele sowie Boxkämpfe. Vom Glanz vergangener Tage ist freilich wenig geblieben. „Da braucht man schon jemanden, der einem das erklärt, wie es früher war“, so Marschik.
Buchhinweise
Alexander Juraske: Blau-Gelb ist mein Herz. 253 Seiten. Promedia Verlag, Wien 2017. ISBN 978-3-85371-464-5.
Andreas Tröscher, Matthias Marschik, Edgar Schütz (Hg.): Das große Buch der österreichischen Fußballstadien. 206 Seiten. Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2007. ISBN 978-3-89533-581-5.
Eigenes Museum und Match zum Runden
Die Vienna zelebrierte den Geburtstag passend mit einem Fußballmatch. In der Wiener Stadtliga gastierte am Samstag Gerasdorf-Stammersdorf beim Tabellenführer. Davor wurde das neue vereinseigene Museum eröffnet, die Vienna Frauen bekamen ihre Trophäe für den Meistertitel in der zweiten Liga und den damit geschafften Aufstieg in die Bundesliga.
Auf den Schautafeln im neuen Museum wird die facettenreiche Klubgeschichte nacherzählt: von Gründungsvater Nathaniel Mayer Anselm Freiherr von Rothschild, Spielertrainer Mark D. Nicholson, dem Bau des Stadions, dem ersten Meistertitel 1931, über die Meistermannschaft 1955 mit Hans Menasse und Johann Buzek, die Legenden Hans Krankl, Weltmeister Mario Kempes, Andreas Herzog bis hin zur Neuzeit. Prunkstück des Museums ist die Replik des Mitropa-Cups von 1931. Eintrittskarten können online gebucht werden. Der Eintritt beträgt fünf Euro.
100 Jahre Hohe Warte
Sie war das größte Stadion des Kontinents und Geburtsstätte des legendären „Wunderteams“. Auf der Hohen Warte begeisterten aber nicht nur der First Vienna FC und das Nationalteam. Seit seiner Eröffnung vor genau 100 Jahren fanden hier auch Boxkämpfe, Opern, Konzerte und Footballspiele statt.
Mängel an der Bausubstanz
Dem Verfall der Bausubstanz versucht man Schritt für Schritt mit diversen Renovierungen zu begegnen. Zuletzt kam es ab 2005 zu einem größeren Eingriff. 2020 bemängelte der Stadtrechnungshof vor allem „starke Schäden an den tragenden Stahlbetonkonstruktionen“, gleichermaßen eine Hauptzugangstreppe in „desolatem Zustand“ oder Schimmelpilzbefall in den Sanitäranlagen. Für knapp 7.000 Zuschauer ist die Hohe Warte nun ausgelegt. Im Herbst soll ein neues Gastrokonzept mit einem neuen Caterer realisiert werden.
„Blau-gelbes Wohnzimmer“
„Was das Spezielle hier ist, ist natürlich unser blau-gelbes Wohnzimmer, das Stadion Hohe Warte, und unsere Naturarena, die etwas ganz Besonderes ist hier im urbanen Raum“, sagte Juraske gegenüber „Wien heute“. „Wir Fans hoffen halt, dass wir diesen speziellen Charme auch für die Zukunft bewahren können.“ Derzeit stehe man auf einem soliden wirtschaftlichen Fundament. „Wir hoffen, dass wir den Aufstieg in die Regionalliga finalisieren können.“
Natürlich sei es das Ziel, in den Profifußball zurückzukehren, also in die zweite Liga. Ein Abschied von der Hohen Warte, die von der Stadt Wien gepachtet wird, ist unvorstellbar.