Schülern an Schultisch mit federpenalen und Tablet
APA/dpa/Uli Deck
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Politik

„Gemeinsame Lösungen“ bei Lehrerzuteilung

Die Reform der Lehrerzuteilung an den Pflichtschulen stößt auf heftigen Widerstand bei Direktoren, Lehrern und Eltern – auch in einigen sogenannten Brennpunktschulen, die eigentlich profitieren sollten. Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (NEOS) will nun für Härtefälle „gemeinsame Lösungen“ finden.

In der Brennpunktschule NMS Gassergasse im fünften Bezirk werden 250 Kinder unterrichtet. Bisher gab es kaum unverbindliche Übungen oder Förderstunden im Angebot. Direktorin Andra Wallach sieht die Reform positiv, es gebe viele Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache an ihrer Schule (98 Prozent), auch der sozialökonomische Hintergrund sei „sehr labil“.

Lehrerabbau in Brennpunktschulen?

Einige Pflichtschulen sind mit Kürzungen konfrontiert. Ganze Klassen müssen geschlossen werden.

Jetzt habe man diesen Sozialindex eingeführt, „und der ist gut“. Denn ab nächstem Schuljahr können nun etwa am Nachmittag Instrumentalunterricht, Sport- und Computerkurse angeboten werden, was bisher nicht möglich gewesen sei, so Wallach am Mittwoch im „Wien heute“-Interview. Das neue System sieht vor, dass jede Schule ein Basiskontigent an Lehrpersonal erhält, das auf der Zahl der Klassen beruht. Pro Schüler und Schülerin gibt es einen Zuschlag. Dazu kommen vom Bund vorgegebene Mittel und – ganz neu – einen sogenannten „Minichancenindex“.

Nicht alle Brennpunktschulen profitieren

Aber es profitieren offenbar nicht alle Brennpunktschulen vom neuen System. In der Brennpunktschule Zennerstraße im 14. Bezirk gebe es Kürzungen statt Aufstockungen, berichten Eltern: „Unsere Direktorin hat ein Kontingent von 500 Stunden pro Woche, das ist jetzt um ein Fünftel gekürzt worden. Das heißt, es gibt keinen Teamlehrer, keine Förderstunden, es gibt keine Sonderpädagoginnen mehr. Unsere Mehrstufenklassen müssen schließen“, schilderte Elternvereinsobmann Andrew Sherwin die Situation gegenüber „Wien heute“ am Mittwoch. Dafür gibt es noch zahlreiche ähnliche Beispiele.

Man habe sich eine Verbesserung erwartet, doch die Situation im nächsten Jahr sei nun mit dem neuen System schlechter, sagte die Direktorin einer weiteren sogenannten Brennpunktvolksschule in der Selzergasse im 15. Bezirk, Susanne Göd, gegenüber „Wien heute“. Zwar habe man den Indexzuschlag bekommen, doch gebe es auf der anderen Seite viele Kürzungen im Stundenkontingent. Unter dem Strich bleibe ein Minus.

Schüler- statt Klassenanzahl als Berechnungsgrundlage

Zum einen entfallen laut der Direktorin die sogenannten 2.0 Förderstunden, die von der Stadt Wien zur Verfügung gestellt worden waren. Vor allem aber sei das neue Berechnungssystem des Stundenkontingents nachteilig, nämlich dann, wenn die Klassen nicht mit der Maximalanzahl von 25 Kindern gefüllt sind. „Früher hat es die Klassenquote gegeben, jetzt wird nur die Schüleranzahl berechnet“, so Göd. „Das, was man wollte, dass die Brennpunktschulen mehr Stunden bekommen, hat man zwar bekommen, aber auf der anderen Seite sind sie abgezogen worden, weil die Berechnung anders ist.“

Die Klassen könne sie nicht voll füllen, weil die vorgeschriebene Quadratmeteranzahl von mindestens 60 qm pro 25 Kindern in ihrem Haus – einem ehemaligen pathologischen Museum – nicht gegeben sei, so die Direktorin: „Das heißt aber automatisch, dass wir weniger Kontingent bekommen.“

Ganze Klassen geschlossen

In manchen Schulen wie auch der Volksschule in der Hietzinger Hauptstraße 166 sollen im Herbst ganze Klassen geschlossen werden. Die Aufregung der Eltern ist groß. „Unserer Schule fehlen 15 Stunden, das bedeutet, dass die 17 Kinder unserer Klasse aufgeteilt werden auf die verbleibenden dritten Klassen“, sagte die Elternvertreterin einer dritten Klasse, Lisa Butz, gegenüber „Wien heute“. „Die Kinder verlieren ihre Freunde, ihren Klassenraum und ihr sicheres Umfeld.“

Für die Neuverteilung der Lehrkräfte wird auch das Leistungsniveau der Kinder herangezogen. „Wir haben alle im Homeoffice gearbeitet. (…) Wir haben gelernt mit den Kindern, sie haben gut abgeschnitten bei den Tests, das war aber unser größter Fehler, denn hätten sie nicht so gut abgeschnitten, hätten wir diese 15 Stunden vielleicht bekommen“, so Butz. Laut der Elternvertreterin werden alle Schulen der Stadt betroffen sein: „Es werden jetzt immer alle Klassen randvoll aufgefüllt und das Ergebnis wird sein, dass alle Schulen gleich schlecht sind.“

„Wie war das bisher möglich?“

Für die Direktorin der NMS Gassergasse, Andrea Wallach, ist die „Umverteilung gerecht“: „Ich weiß von einem Standort, der von drei Klassen auf zwei reduzieren muss, und da gibt es natürlich schon die Fragestellung, wie war das bisher möglich, dass man drei Klassen hatte, wo man auch zwei voll hätte kriegen können. So haben wir die ganze Zeit gearbeitet.“

Bildungsstadtrat Wiederkehr zur Reform der Lehrerzuteilung

Wiederkehr: Altes System war „komplexe Wissenschaft“

Wiederkehr betonte Mittwochabend im „Wien heute“-Studiogespräch, volles Verständnis für jeden Schulstandort zu haben, der sage, wir brauchen mehr Ressourcen: „Ich unterstütze das auch, aber wir brauchen in Wien überhaupt dringend mehr Lehrerinnen und Lehrer, hier gibt uns der Bund leider zu wenig Planstellen.“ Wiederkehr forderte daher vom Bund zumindest 1.000 neue Planstellen für Lehrkräfte für Wien.

Die Reform verteidigte Wiederkehr ein weiteres Mal. Keine Schule habe ihm erklären können, warum sie welche Ressourcen bekomme. Die Zuteilung sei eine „komplexe Wissenschaft“ gewesen, komplizierter als das Studium der Quantenphysik, so Wiederkehr: „Jetzt haben wir ein gerechteres, einfacheres Modell eingeführt, das ganz klar jene Schulen bevorzugt, die größere Klassen und mehr Schüler haben.“

„Härtefälle schauen wir uns an“

Vor allem bekämen auch jene Schulen, die besondere soziale und bildungspolitische Herausforderungen hätten, durch den von Wien eingeführten „Minichancenindex“ Extraförderungen. Denn dadurch werde es möglich zu schauen, welche Schulen besonders gefordert sind. Auch hier richtete Wiederkehr eine Forderung an den Bund: nach einem bundesweiten Chancenindex. Der Unterricht in Wien werde im Herbst an jeder Schule weiterhin gut stattfinden können, so Wiederkehr: „Die Härtefälle schauen wir uns jetzt ganz genau an, um gemeinsam eine Lösung zu finden.“

Bei der Autonomie sei es wichtig zu sagen, dass es in Wien insgesamt mehr Ressourcen durch die Reform geben werde. Es gebe in etwa genau so viele Schulen, die durch die Reform gewinnen wie verlieren. Aber alle Schulen bekämen mehr Basiskontingente, mehr Grundressourcen. Das bedeute, sie können selbst entscheiden, welche Projekte sie am eigenen Schulstandort fördern wollen. Wiederkehr: „Ich möchte nicht beurteilen, welches Projekt gut oder schlecht ist, welches ich fördern möchte und welche nicht.“