Der Verhandlungssaal
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Chronik

Misshandlung: Polizisten geständig

In einem Prozess um Polizeigewalt – ein Tschetschene soll 2019 in einem Spiellokal in Wien-Favoriten von Polizisten ohne ersichtlichen Grund geschlagen worden sein – haben die Hauptangeklagten Geständnisse abgelegt. Insgesamt sind acht Beamte angeklagt.

Er habe sich „im Eifer des Gefechts“ dazu hinreißen lassen, den Mann gegen die Wand zu drücken, ihm in weiterer Folge einen Kniestoß in den Unterleib verpasst und auf ihn eingeschlagen, als dieser bereits auf dem Boden lag, sagte ein 37-jähriger Beamter am Mittwoch. „Die Anspannung war zu groß. Ich dürfte auch einen schlechten Tag gehabt haben“, sagte der Polizist am Wiener Landesgericht für Strafsachen.

Angeklagter: Habe „generell übertrieben“

Er habe private Probleme gehabt, es habe Streit mit seiner Verlobten gegeben: „Ich hab dann erfahren, dass ich am nächsten Tag nach dem Nachtdienst auch noch Überstunden machen muss.“ Er habe „generell übertrieben, man hätte es auch anders regeln können“, gab der 37-Jährige zu Protokoll. Aufgrund des aggressiven Gebarens des Tschetschenen sei bei ihm „der Schalter umgegangen“. Er habe dann aber „selber gemerkt, dass das übertrieben war“ und daher das Lokal verlassen, „um Luft zu schnappen“.

Prozess gegen acht Polizisten

Am Mittwoch stehen acht Polizisten vor Gericht. Im Zuge einer Amtshandlung sollen zwei Beamte einen Tschetschenen grundlos geschlagen haben.

Auf den ersten Polizeiübergriff folgte ein zweiter. Ein 29-jähriger Beamter, der gemeinsam mit dem 37-Jährigen seit Längerem eine Funkstreifenbesatzung bildete, ging auch noch auf den gleichaltrigen Tschetschenen los, weil dieser „leider Gottes präpotent, aggressiv, ungut“ war, wie der Zweitangeklagte erläuterte. Nach anhaltenden Beleidigungen „habe ich mich leider Gottes dazu hinreißen lassen, dass ich hingehe und dass ich ihm eine Klatsche, eine Ohrfeige gebe“, stellte der Beamte fest.

Laut Anklage handelte es sich um einen Faustschlag ins Gesicht, was der 29-Jährige in Abrede stellte: „Ich hab die flache Hand in Erinnerung.“ Im Übrigen habe er „auf den Oberkörper gezielt. Ich wollte ihn dazu bringen, dass er dieses Verhalten einstellt.“

Insgesamt acht Beamte vor Gericht

Neben diesen beiden Beamten müssen sich sechs weitere an der Amtshandlung beteiligte Polizisten vor einem Schöffensenat verantworten. Ihnen wird vorgeworfen, das Fehlverhalten der beiden Kollegen toleriert zu haben, indem sie untätig blieben und nicht dagegen einschritten, was von der Staatsanwaltschaft ebenfalls als Missbrauch der Amtsgewalt gewertet wird. Den beiden Hauptangeklagten – sie sind vom Dienst suspendiert – wird neben Amtsmissbrauch Körperverletzung angekreidet.

Die weiteren Angeklagten waren größtenteils zumindest teilweise geständig – einige behaupteten, sie hätten den zweiten Übergriff nicht mitbekommen. Dass er den 37-Jährigen gewähren ließ, „werde ich bis zu meinem Lebensende bereuen“, sagte einer der Mitangeklagten. Auf die Frage, weshalb er nicht dagegen vorgegangen war, erwiderte er: „Angst. Die zugegebenermaßen unbegründet war.“ Ein weiterer Polizist stellte fest: „Ich hätte absolut dazwischen gehen müssen.“

Der Anklage zufolge hatte der Tschetschene eine Schädelprellung, Prellungen am Brustbein, am Unterarm und an der Nase mit Nasenbluten sowie Schmerzen im Unterleib erlitten. Bei zwei Mitangeklagten ist überdies auch Fälschung eines Beweismittels inkriminiert. Sie sollen die Misshandlung in einem Amtsvermerk bzw. in einer Stellungnahme bewusst verschwiegen haben, einer soll sich zudem geweigert haben, die Anzeige des Tschetschenen aufzunehmen, als dieser am nächsten Tag auf seiner Polizeiinspektion erschien, wo er die beiden Beamten anzeigen wollte, die ihn geschlagen hatten.

Vorfall erst durch Video bekanntgeworden

Der Vorfall wurde bekannt, nachdem im Juli 2020 ein Video aus einer im Lokal angebrachten Überwachungskamera der „Kronen Zeitung“ zugespielt worden war. Auf dem Bildmaterial ist zu sehen, wie der Tschetschene, der keine Gegenwehr leistet, von zwei Beamten geschlagen wird, ohne dass er dafür einen sichtbaren Anlass geliefert hätte. Mehrere Kollegen der beiden stehen untätig daneben und schreiten nicht ein.

Ausschnitt aus Videoaufzeichung einer Überwachungskamera
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Ein Video aus Überwachungskamera brachte den Fall ins Rollen

Der Mann habe sich von Anfang an sehr provokativ verhalten, hieß es nun seitens der Angeklagten unisono. Einsatzgrund in dem Spiellokal war der Verdacht auf einen Raufhandel. Im Lokal selbst – zwei kleinen Räumen, in einem befanden sich zwei illegal aufgestellte Glücksspielautomaten – wurde von den insgesamt acht Polizisten neben dem Tschetschenen aber nur ein Slowake angetroffen. Letzterer habe sich „kooperativ verhalten“, der Tschetschene habe sich dagegen zunächst geweigert, einen Ausweis vorzuzeigen, und seine Hände nicht aus den Jackentaschen genommen, behaupteten die Angeklagten.

Später habe er ihnen sein Mobiltelefon vor die Füße geschmissen, statt dieses zu entsperren, erfuhr das Gericht von den Beamten. Die Verteidiger der beiden Hauptangeklagten betonten, ihre Mandanten hätten sich bis zum verfahrensgegenständlichen Vorfall nichts zuschulden kommen lassen. Vielmehr wären sie bis dahin mit zahlreichen Belobigungen und Auszeichnungen honoriert worden. „Es war die erste und einzige Entgleisung, die er sich bisher geleistet hat“, meinte der Verteidiger über den 37-jährigen Beamten.

Mutmaßliches Opfer erstattete keine Anzeige

Der mutmaßliche Polizeiübergriff war polizeiintern erst im Dezember 2019 bekannt und zum Gegenstand von Erhebungen geworden, nachdem sich die Wiener Gebietskrankenkasse mit Regressforderungen für die Spitalsbehandlung des Tschetschenen an die Wiener Landespolizeidirektion gewandt hatte.

So kamen die Ermittlungen in Gang, wobei diese sich allerdings zunächst gegen den Tschetschenen richteten. Die Amtshandlung, die untersucht werden sollte, war von den beteiligten Polizisten entgegen allen Vorschriften nämlich nicht schriftlich dokumentiert worden. Auf telefonische Nachfrage in der betroffenen Polizeiinspektion, ob in dem Spiellokal am fraglichen Abend etwas vorgefallen sei, hieß es, es sei nichts passiert. Der Slowake, der Zeuge des Vorfalls, wurde nicht weiter befragt.

Zeuge zunächst nicht befragt

Das hatte zur Folge, dass die Beamten zunächst unbehelligt blieben, während die Staatsanwaltschaft gegen den Tschetschenen ein Verfahren wegen Verleumdung einleitete. Die Vernehmung der Polizisten hielt die Anklagebehörde dabei vorerst für nicht erforderlich. Sie wurden bis zum Auftauchen des Videos nicht zu dem Vorfall befragt.

Mit dem Auftauchen des Videomaterials in den Medien änderte sich alles. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verleumdungsverfahren gegen den 29-jährigen Tschetschenen umgehend ein. Die Polizisten wurden außer Dienst gestellt, strafrechtliche Ermittlungen gegen sie eingeleitet. Der Prozess ist auf drei Tage anberaumt. Die Urteile sind für 3. Juli geplant. Im Fall von Schuldsprüchen droht den Beamten der Amtsverlust, sollte das verhängte Strafausmaß ein Jahr übersteigen.