Person schraubt
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Wirtschaft

Fachkräfte-Mangel: „Niemand will arbeitslos sein“

In allen Branchen werden derzeit händeringend Fachkräfte gesucht – obwohl allein in Wien 150.000 Menschen arbeitslos sind. An einer gesunkenen Arbeitsmoral liege das nicht, betont der Soziologe Jörg Flecker: „Niemand eigentlich will in der Arbeitslosigkeit sein.“

Beim Gastronomie-Großhändler Transgourmet in Wien-Donaustadt fehlen derzeit etwa vor allem LKW-Fahrer. Diese seien „in den boomenden Einzelhandel gewechselt“, schildert Geschäftsführer Manfred Mladosevits gegenüber „Wien heute“. Auch die Mitbewerber würden derzeit händeringend nach Logistik-Personal suchen. 17 LKW-Fahrer hat Transgourmet, 22 würde es brauchen.

Aufträge ablehnen muss derzeit der Elektroinstallationsbetrieb Kaiserteam in Wien-Ottakring: „Ich weiß nicht, wo all unsere Fachkräfte versteckt sind“, sagt Geschäftsführerin Elisabeth Kühas. Auf Stellenanzeigen würden sich zu wenige melden. Die Arbeitsmoral sei durch die Pandemie „allgemein doch ein bissl schlechter geworden“, meint Kühas. Und Transgourmet-Wien-Chef Mladosevits erzählt von Mitarbeitern, „die gegangen sind und gesagt haben: Sie machen jetzt ein einmal ein paar Monate Pause, nutzen das erhöhte Arbeitslosengeld und kommen dann im Herbst wieder.“

Arbeitsmarktexperte Flecker im Gespräch

Arbeitsmarktexperte Jörg Flecker im Interview zur Situation am Arbeitsmarkt.

Viele Betriebe müssen nun gleichzeitig Personal suchen

Die Einschätzung, dass die Arbeitsmoral in der Pandemie gesunken sei, teile er nicht, so Arbeitsmarktexperte Jörg Flecker im Interview mit „Wien heute“: Eigentlich wolle niemand arbeitslos sein, das wisse man durch die Forschung sehr sicher, „weil die Wertschätzung für arbeitslose Personen in unserer Gesellschaft sehr niedrig ist.“ Die meisten würden auch etwas beitragen und dazugehören wollen und sich daher bemühen, aus dieser Situation wieder herauszukommen. Für viele sei Arbeitslosigkeit außerdem ja auch mit Armut verbunden, so der Professor für Soziologie an der Universität Wien.

Flecker sieht die Ursache für die schwierige Personalsuche vieler Firmen im unterschiedlichen Umgang mit der Kurzarbeit. „Viele Firmen haben das genutzt und ihre Beschäftigten behalten. Andere haben das nicht in dem Ausmaß genutzt und mussten jetzt, als es wieder losging, neue Leute einstellen.“ Weil nun viele Firmen gleichzeitig Personal suchten, sei die Situation für viele Betriebe problematisch geworden.

Firmen suchen Mitarbeiter

Zuerst haben wegen Corona die Jobs gefehlt, jetzt fehlt offenbar das Personal: quer durch alle Branchen wird momentan händeringend nach Mitarbeitern gesucht.

Arbeitslosigkeit bei Älteren sinkt viel weniger

Wählerisch sind in Wien offenbar zum Teil vielmehr die Betriebe, zeigen die Arbeitsmarktdaten. Die Arbeitslosigkeit für Menschen über 50 und für Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen sinke viel weniger als die von anderen, beschreibt Flecker. Über-55-Jährige würden oft gar nicht mehr zu Vorstellungsgesprächen eingeladen oder gar keine Antwort auf ihre Bewerbung bekommen.

Verschärft werden die Personalprobleme laut dem Soziologen auch, weil Arbeitskräfte aus dem Ausland, die in der Pandemie in ihre Heimatländer zurückgingen, zum Teil nach wie vor fehlen. „Da hat eine Untersuchung des Wirtschaftsforschungsinstituts gezeigt, dass nicht alle wieder da sind", so Flecker.

Um auf dem Arbeitsmarkt konkurrenzfähig zu sein, bräuchten Betriebe zudem mehr als nur eine höhere Bezahlung: „Da gehört die Arbeitszeit dazu, da gehört die Bezahlung dazu, da gehören auch die Arbeitsbedingungen dazu.“ Vor allem im Hotel- und Gastgewerbe gebe es etwa schon lange das Problem, das Fachkräfte die Branche wegen der Arbeitsbedingungen wieder verlassen.