Türkischer und österreichischer Reisepass
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Chronik

Aberkannte Staatsbürgerschaften: Anwalt übt Kritik

24 türkischstämmige Wienerinnen und Wiener haben ihre österreichische Staatsbürgerschaft verloren. Die zuständige MA 35 sieht sie als illegale Doppelstaatsbürger. Scharfe Kritik kommt nun von einem Anwalt einiger Betroffener.

Anlass für die Einleitung der Verfahren war laut MA 35 „eine Online-Liste der türkischen Wählerevidenz, die im März 2020 vom Verwaltungsgerichtshof als rechtmäßige Grundlage bestätigt wurde“. Über diese Liste, die 2018 online gestellt wurde, sollten sich Auslandstürkinnen und -türken informieren, ob sie bei der Präsidentschaftswahl in der Türkei wahlberechtigt waren.

Kazim Yilmaz, Anwalt von rund zehn Wienerinnen und Wienern, denen nun die Staatsbürgerschaft aberkannt wurde, hält die Liste als Beweismittel für „höchst bedenklich“ in einem Rechtsstaat. Seiner Ansicht nach handelt es sich um keine offizielle Seite der Türkei. Die Liste sei auch nicht mehr online und somit unüberprüfbar, so Yilmaz am Donnerstag gegenüber „Wien heute“.

Anwalt: Liste „weder echt, richtig noch authentisch“

Ein Screenshot liegt dem Anwalt aber vor. Dabei „sieht man sofort auf den ersten Blick, dass hier sehr viele Informationen schlichtweg fehlen“, kritisierte Yilmaz. Das zeige ihm, dass diese Internetabfrage „weder echt, richtig noch authentisch sein kann“. „Es kann doch nicht sein, dass es so einfach geht, dass durch irgendwelche abstrusen Internetseiten Menschen ihre Staatsbürgerschaft und damit nicht selten auch ihre Existenz verlieren.“

Die Betroffenen verlieren die Staatsbürgerschaft rückwirkend mit 2018, wie der Anwalt weiter ausführte. Sie bräuchten nun einen Aufenthaltstitel, eine Arbeitsgenehmigung. „Bis zur Erlangung eines Aufenthaltstitels können sie nun nicht mehr Ihrer Arbeit nachgehen“, so Yilmaz. Verfahren zur Erlangung eines Aufenthaltstitels dauerten „leider neun bis 18 Monate, sodass diese Menschen faktisch ihren Job verlieren werden und damit ihre Existenz“.

24 Staatsbürgerschaften aberkannt

Ihre österreichische Staatsbürgerschaft haben 24 türkischstämmige Wiener verloren. Basis dafür war ein Feststellungsverfahren der MA 35 (Einwanderung und Staatsbürgerschaft).

Yilmaz brachte für seine Mandantinnen und Mandanten bereits Beschwerde beim Landesverwaltungsgericht ein. Die Betroffenen hätten ihm auch versichert, dass sie nach Erhalt der österreichischen Staatsbürgerschaft die türkische definitiv nicht wieder beantragt hätten, so der Anwalt. Sie hätten sich bewusst für die österreichische Staatsbürgerschaft entschieden, es lebten zum Teil auch schon ihre Enkel hier.

Insgesamt 450 Verfahren eingeleitet

Die gesetzliche Lage in Österreich in Bezug auf Doppelstaatsbürgerschaften sei klar, hieß es in einer Stellungnahme der MA 35 gegenüber „Wien heute“: „Die Voraussetzung für jeglichen Erwerb einer österreichischen Staatsbürgerschaft ist, dass die frühere Staatsangehörigkeit abgelegt werden muss. Wenn jemand dennoch bei Einbürgerung seine bisherige Staatsbürgerschaft nicht ablegt oder sich eine weitere zulegt, dann ist die zuständige Landesbehörde MA 35 verpflichtet, die Feststellung über den Entzug der österreichischen Staatsbürgerschaft einzuleiten.“ Insgesamt wurde gegen 450 mutmaßliche österreichisch-türkische Doppelstaatsbürger ein Verfahren eingeleitet. Bisher wurden laut MA 35 60 Verfahren abgeschlossen, 24 „rechtskräftig erledigt“.

Die türkische Botschaft wolle sich bei laufenden Verfahren grundsätzlich nicht äußern, hieß es gegenüber „Wien heute“. Und weiter: "Zudem haben wir keine Fragen von den österreichischen Behörden bezüglich der Richtigkeit der Beweise erhalten. Wenn die österreichischen Behörden zu diesem Thema eine Frage stellen würden, dann würden wir natürlich eine Stellungnahme liefern.“

ÖVP und FPÖ fordern rasches Vorgehen

FPÖ-Chef Dominik Nepp sah SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig und Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) gefordert, bei den noch offenen Fällen „rasch und strikt“ vorzugehen. Zudem sollten etwaige zu Unrecht erhaltene Sozialleistungen von diesen „illegalen Doppelstaatsbürgern“ zurückgefordert werden. Und: „Wenn jetzt lediglich 24 Aberkennungen übrigbleiben würden, dann wäre das ein Armutszeugnis“, argumentierte Nepp mit 18.500 Verdachtsfälle auf illegale Doppelstaatsbürgerschaften, auf die eine von der FPÖ 2017 aufgebrachte Liste schließen lasse.

Auch die Wiener ÖVP verlangte am Donnerstag von der zuständigen Einwanderungsbehörde MA 35 ein konsequenteres und schnelleres Vorgehen. „Wir fordern hier mehr Tempo und Engagement von der Stadt Wien“, erklärten Verfassungssprecher Patrick Gasselich und Integrationssprecherin Caroline Hungerländer. Wer sich nach dem Erhalt der österreichischen Staatsbürgerschaft eine zweite beschafft, müsse mit Konsequenzen rechnen.

FPÖ-Liste nicht als Beweismittel anerkannt

Schon einmal ermittelte die MA 35 gegen mutmaßliche Doppelstaatsbürgerinnen und -staatsbürger ermittelt – auf Basis einer angeblichen Wählerevidenzliste, die die FPÖ dem Innenministerium zugespielt hatte. Der Verfassungsgerichtshof erkannte das Beweismittel damals jedoch nicht an.