Chronik

Gewaltschutz: Kritik an Behördenversagen

Die Tötung einer 28-Jährigen im Februar in Wien – der Prozess hat heute stattgefunden – zeige akute Defizite im Opferschutz und Behördenversagen auf, haben Vertreterinnen von Opferschutzeinrichtungen heute kritisiert.

Auch in diesem Fall habe es viele Vorzeichen gegeben, die Frau sei nicht ausreichend unterstützt und am Ende im Stich gelassen worden. Seit Jahresbeginn zählt die Allianz Gewaltfrei leben bereits 17 Femizide und 23 Mordversuche an Frauen durch (Ex-)Partner.

Ein 29-Jähriger musste sich vor einem Wiener Schwurgericht verantworten, weil er in der Nacht auf den 23. Februar 2021 seine Freundin erwürgt haben soll. Nur wenige Stunden zuvor war die 28-Jährige im Spital, nachdem der wegen Gewaltdelikten Vorbestrafte sie verletzt hatte.

Die Frau kehrte mitten in der Nacht nach Hause zurück, während er sich auf freiem Fuß befand, und kam dort zu Tode. Die Polizei hatte den Beschuldigten gesucht, um ein Betretungs- und Annäherungsverbot auszusprechen, aber noch nicht ausfindig gemacht – mehr dazu in Freundin erwürgt: 29-Jähriger vor Gericht (24.8.2021).

„Alle wussten Bescheid“

Alle für Opferschutz zuständigen Einrichtungen, von Polizei über Justiz bis Bewährungshilfe, seien involviert gewesen, hielt Maria Rösslhumer, Geschäftsführerin des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF), am Dienstag bei einer Online-Pressekonferenz fest. „Alle wussten Bescheid.“ Im konkreten Fall sei sogar eine Gefährlichkeitseinschätzung erfolgt – die Polizei habe den Mann als hochgradig gefährlich kategorisiert –, „es wurden aber keine Konsequenzen gesetzt“, sagte Rosa Logar, Geschäftsführerin der Wiener Interventionsstelle.

„Da muss die Polizei beim Haus stehen“

Die zu häufig tödlichen Fehler verortet Logar in „Systemlücken“, die man schließen müsse. Könne, wie hier geschehen, ein Betretungs-und Annäherungsverbot nicht sofort verhängt werden, müssten Gewaltopfer Personenschutz erhalten, bis der Gefährder gefunden ist. „Da muss die Polizei beim Haus stehen.“ Sie erneuerte die Forderung nach Einrichtung einer unabhängigen Kommission für Fälle wiederholter Gewaltausübung und wünscht sich die Einbindung der Opferschutzorganisationen.

Zudem konstatierten die Expertinnen einen „gefährlichen Trend“: Immer häufiger komme es zu einer Täter-Opfer-Umkehr, wenn sich von Gewalt betroffene Frauen auch einmal zur Wehr setzen. „Die Polizei unterscheidet dann nicht zwischen Notwehr und Gewaltausübung“, so Rösslhumer. Es fehle mitunter das Know-how, eine Aggressions- von einer Abwehrtat abzugrenzen, meinte auch Logar. Immer öfter würden solche Frauen selbst angezeigt, auch verurteilt und weggewiesen, auch der 28-Jährigen sei es so ergangen.

Gewalt „als Streit abgetan“

Wenn ein Opfer eine Anzeige zurückziehe, bedeute das nicht automatisch, dass die Vorwürfe falsch waren, sondern womöglich dass die Betroffene Angst hat. Wobei die Beratungsstellen häufiger als früher mit Fällen konfrontiert seien, in denen Anzeigen erst gar nicht aufgenommen würden: Gewalt werde „als Streit abgetan“, so Rösslhumer.

Sorgen bereitet den Expertinnen die mit 1. September startende verpflichtende Gewaltpräventionsberatung nach einer Wegweisung, die sechs Stunden umfasst. Die Opferschutzeinrichtungen seien nicht nur nicht eingebunden, sondern überhaupt nicht informiert, so die Kritik in Richtung Innenministerium.

„Schieflage“ bei Finanzierung

Während für Täter- bzw. Männer- und Burschenarbeit nunmehr 14 Millionen Euro eingeplant seien, hätten die Frauenhäuser und -beratungsstellen sowie die Frauenhelpline von den im Gewaltschutzpaket angekündigten rund 24,6 Millionen „noch nichts gesehen“. Das werde als „Schieflage“ empfunden. Nötig seien weiter 228 Millionen Euro pro Jahr und 3.000 zusätzlichen Stellen, wurde betont.

Telefonnummer

Frauenhelpline gegen Gewalt: 0800 / 222 555

Jede Beraterin betreue in der Wiener Interventionsstelle mehr als 300 Betroffene, erinnerte Logar, ein Bewährungshelfer dürfe maximal 35 Fälle gleichzeitig haben. Die getötete 28-Jährige habe jedenfalls nicht ausreichend Unterstützung erfahren. Von der Polizei habe sie nur die Telefonnummer der Interventionsstelle erhalten, ehe sie spätnachts aus dem Spital heimfuhr. „Das ist nicht genug in einer Hochrisikosituation“, so Rösslhumer.