Der Staatsanwalt warf dem Angeklagten versuchten Mord vor. Das Opfer sei nur deshalb nicht lebensgefährlich verletzt worden, weil sich der Jugendliche reflexartig wegduckte, hatte der Ankläger argumentiert. Er ging von einem zumindest bedingten Tötungsvorsatz aus. Die Klinge war dem Burschen in die rechte Schulter gedrungen.
Ungeachtet seines jugendlichen Alters war der angeklagte tschetschenischstämmige Bursch seit langem polizeibekannt. Bereits als Kind stand er wegen Raubes, absichtlicher schwerer Körperverletzung und Raufhandels im Fokus der Strafverfolgungsbehörden. Da er damals noch keine 14 und damit nicht strafmündig war, konnte er nicht zur Verantwortung gezogen werden.
Jugendbande im 15. Bezirk
Das änderte sich, als er wenige Monate nach seinem 14. Geburtstag eine gewalttätige Auseinandersetzung mit einem Bekannten hatte, der Teil derselben Jugendbande – der sogenannten 1150er-Bande, die ihren Namen dem Umstand verdankt, dass sie vor allem Parks im 15. Wiener Gemeindebezirk frequentierte – war. Der Ältere – ebenfalls mit tschetschenischen Wurzeln – hatte den 14-Jährigen bzw. die Mutter dessen besten Freundes beleidigt, worauf dieser ihn am 5. August 2020 zu einem Treffen bestellte.
„Er ist schnell auf mich zugekommen. Ich wusste, dass es zu einem Kampf kommen wird“, schilderte der nunmehr 16-Jährige, um zwei Köpfe größere und körperlich deutlich stärkere der beiden Burschen dem Schöffensenat. Er habe dem Jüngeren daher einen Kick gegen den Oberschenkel versetzt, dieser habe ihn dessen ungeachtet mit einem Messer „erwischt“. „Ich wollte nicht, dass die Polizei kommt. Ich wollte nicht, dass er Probleme kriegt. Ich wollte nicht, dass so ein großes Ding daraus wird“, betonte der Zeuge. Und weiter: „Ich will nicht, dass er wegen mir im Gefängnis sitzt.“
Auf Wunsch des Staatsanwalts war der Angeklagte vor den Zeugenaussagen abgeführt worden. Der Ankläger befürchtete, dass sämtliche Zeugen vom 15-Jährigen eingeschüchtert sein und daher nicht der Wahrheit entsprechend aussagen könnten. Der Angeklagte hatte zuvor bestritten, mit dem Messer hingestochen zu haben: „Ich hab’ nicht reingestochen. Ich hab’ nur gezogen gegen seine Jacke. Es war eins zu eins. Wir haben gekämpft. Mann gegen Mann.“
Angeklagter saß ein Jahr in U-Haft
Der Angeklagte bestätigte, bis zu seiner Festnahme einer Jugendbande angehört zu haben: „Wir waren immer draußen. Uns war langweilig. Da kommt man auf dumme Gedanken.“ Die psychiatrische Sachverständige Gabriele Wörgötter bescheinigte dem Burschen eine erhöhte Aggressionsbereitschaft und ein gestörtes Sozialverhalten mit Neigung zu Grenzüberschreitungen.
Der nunmehr 15-Jährige war eine Woche nach der inkriminierten Tat festgenommen worden. Er verbrachte somit bis zur Hauptverhandlung als Minderjähriger mehr als ein Jahr in U-Haft. Da ihm diese Zeit auf die Strafe anzurechnen war, wurde er unmittelbar nach der Verhandlung auf freien Fuß gesetzt. Der Staatsanwalt gab zum Urteil vorerst keine Erklärung ab. Das Urteil ist daher nicht rechtskräftig.