Straßenschild Hamerlingplatz
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WISSENSCHAFT

19 weitere historisch kritische Straßennamen

Zahlreiche Straßenschilder Wiens mit historisch kritischen Namen sind bereits ausgetauscht oder mit Zusatztafeln ergänzt worden. Nun gibt es einen Ergänzungsband mit neuen beanstandeten Namen, unter anderem erstmals auch aus dem Bereich Kolonialismus.

Nach dem ersten Band seien weitere Hinweise auf Personen aufgetaucht, mit denen man sich beschäftigen solle, berichtete der Historiker Oliver Rathkolb in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ). Die betroffenen Namensgeber haben etwa NS-Vergangenheit, waren Rassisten oder Antisemiten oder rechtfertigten den Kolonialismus.

Nun wurde etwa der Architekt Sigfried Theiss ins Visier genommen, der nicht nur das erste Wiener Hochhaus in der Herrengasse mitgestaltet hat, sondern auch Adolf Hitler als „großen Baumeister“ lobte. Auch der Maler Wilhelm Dachauer huldigte dem „Führer“ – indem er Porträts des Diktators anfertigte. Nach den beiden sind Verkehrsflächen in der Donaustadt benannt. Der Schriftsteller und Priester Sebastian Rieger (1867–1953) – alias „Reimmichl“ – wiederum wurde wegen antisemitischer Textpassagen in den Band aufgenommen, ebenso wie der deutschnationale Dichter Robert Hamerling (1830 – 1889).

Bücher zu umstrittenen Straßennamen in Wien
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Zu den umstrittenen Straßennamen ist nun ein Ergänzungsband erschienen

NS-Vergangenheit bei Sportlern und Botanikerin

Auch der Bereich Sport findet sich dort – mit dem Fußballer Ernst Melchior und dem Radrennfahrer Max Bulla. Bei ihnen ist eine Nähe zum NS-Regime dokumentiert, also etwa eine Parteimitgliedschaft oder die Teilnahme bei der Zerstörung jüdischer Wohnungen. Ein spezieller Fall ist die Kärntner Botanikerin Lore Kutschera, die mit ihrem „Wurzelatlas“ nach dem Krieg internationales wissenschaftliches Renommee erlangte. Ihr Engagement etwa beim „Bund Deutscher Mädel“ (BDM) war lange Zeit völlig unbekannt. Erst ein Blick in deutsche Archive offenbarte kürzlich die NS-Vergangenheit der Forscherin.

Straßennamen zur Kolonialgeschichte

Die Kolonialgeschichte ist im Ergänzungsband nun ebenfalls vertreten. Walter Sauer vom Institut für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Universität Wien betonte, dass die koloniale Vergangenheit Österreich-Ungarns bisher nie ein großes Thema war und die Meinung vorherrsche, dass es sie schlicht nicht gab. Doch das sei unzutreffend, versichert er. Verwiesen wird in dem Band etwa auf die Sammeltätigkeit österreichischer Reisender bzw. „Entdecker“, deren Mitbringsel bis heute Teil der Kollektionen heimischer Museen sind. Oscar Baumann und Emil Holub, nach denen Straßen im 3. und im 2. Bezirk benannt sind, werden hier etwa aufgeführt.

Auch die Große Mohrengasse und die Kleine Mohrengasse in der Leopoldstadt sind vertreten. Sauer verwies auf die mehrschichtige Bedeutung des Begriffs Mohr. Noch im Spätmittelalter sei damit noch keine negative Konnotation verbunden gewesen. Das habe sich erst im 19. Jahrhundert geändert, als vor allem die Sklaverei dafür gesorgt habe, dass die Bezeichnung diskriminierend verwendet wurde. Die rassistische Abwertung habe sich ab diesem Zeitpunkt etwa auch mit der Mitwirkung von schwarz gefärbten Menschen samt Lendenschurz und Federkrone bei Faschingsfesten manifestiert, erläuterte Sauer.

Zusatztafeln sollen forciert werden

„Der Ergänzungsband ist ein wichtiger Beitrag zum Erinnern im öffentlichen Raum“, betonte Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler. Sie bekräftige den Weg der Stadt, mit Zusatztafeln erklärende biografische Informationen über den Namensgeber oder die Namensgeberin zu bieten. Umbenennungen sind nicht geplant. Das sei nicht nur wegen bestehender Adressen schwierig, sondern würde auch diese Teile der Geschichte aus dem Stadtbild verschwinden lassen, gab sie zu bedenken.

Lediglich beim Lueger-Ring (heute Universitätsring) wurde vor einigen Jahren eine Ausnahme gemacht. Inzwischen gibt es übrigens auch Überlegungen, Ehrengräber oder die Namen von Gemeindebauten einer entsprechenden Untersuchung zu unterziehen, wie die Ressortchefin berichtete.

SPÖ-Gemeinderat Georg Niedermühlbichler, der Vorsitzende des Unterausschusses für Verkehrsflächenbenennungen, hob hervor, dass man auch durch die Neubenennungen von Straßen, Gassen und Plätzen in Stadterweiterungsgebieten auf historische Entwicklungen reagiere. Das geschehe etwa in der Form, dass man sie nach Frauen benennt. Damit könne dem historisch gewachsenen Ungleichgewicht – Wiener Straßen wurde früher vor allem nach Männern benannt – entgegengewirkt werden, sagte Niedermühlbichler.

Zusatztafeln für problematische Straßennamen
APA/Helmut Fohringer
Die ersten Zusatztafeln wurden 2016 präsentiert

159 kritische Namen im ersten Band

Der erste Band zu den umstrittenen Straßennamen wurde im Jahr 2014 präsentiert. Basis war ein Bericht der von der Universität Wien und der Stadt Wien gemeinsam eingesetzten Kommission. In vier Kategorien wurden etwa Autokonstrukteur Ferdinand Porsche, der die Karriereleiter der Nationalsozialisten bis zum Rang des SS-Oberführers mit Totenkopfring erkletterte und dem eine Straße im 23. Bezirk gewidmet ist, oder Radprofi, NSDAP-Mitglied und SA-Oberscharführer Franz „Ferry“ Dusika, nach dem eine Gasse im 22. Bezirk benannt ist, genannt.

159 Namen waren darin als historisch kritisch zusammengefasst. Historiker Oliver Rathkolb zeigte sich von dieser Zahl der als umstritten zu qualifizierenden Straßennamen überrascht. Es sei zudem teils sehr merkwürdig, wer es durch Arbeit von Lobbyisten oder Vereinen zu diesen Ehren geschafft habe. So etwa der heute eher unbekannte „Wagnersänger, glühende Antisemit und Hitlerverehrer“ Josef von Manowarda, nach dem 1960 eine Gasse in Wien-Liesing benannt wurde.

4.379 personenbezogene Straßennamen

Das Straßennetz Wiens besteht aus circa 6.600 Verkehrsflächen, davon sind 4.379 personenbezogen. Zunächst waren 159 (3,6 Prozent) als historisch kritisch einzustufen. Diese kritischen Straßennamen wurden von der Kommission in drei Kategorien gewichtet: Kategorie A beschreibt Fälle mit intensivem Diskussionsbedarf, Kategorie B Fälle mit Diskussionsbedarf und Kategorie C Fälle mit demokratiepolitisch relevanten biografischen Lücken.