Pressefotografen machen Fotos von Klägern beim Ischgl-Prozess
APA/Hans Punz
APA/Hans Punz
Chronik

Ischgl-Prozess: Urteil ergeht schriftlich

Am Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen ist am Freitag die erste Verhandlung einer Amtshaftungsklage gegen die Republik in der Causa Ischgl über die Bühne gegangen. Zu einem Vergleich kam es nicht. Das Urteil ergeht schriftlich.

Die Witwe und der Sohn eines 72-Jährigen, der sich bei einem Ischgl-Aufenthalt im März 2020 mit CoV ansteckte und wenig später starb, verlangen rund 100.000 Euro Schadenersatz von der Republik. Der Verbraucherschutzverein (VSV) hat im Namen der Familie die Klage eingebracht. Der Sohn erschien zur Verhandlung, seine Mutter habe es aus emotionalen Gründen nicht geschafft, sagte er. Der Familie des 72-Jährigen gehe es nicht um das Geld, sondern um Gerechtigkeit. Sollte es zu einer Zahlung kommen, werde er das Geld spenden, sagte der Mann. Sein Vater habe zu Lebzeiten gerne die Caritas unterstützt.

Ein von den Klägern angebotener Vergleich wurde von der Finanzprokuratur abgelehnt. Auch die vom Klägervertreter geforderten Fragen, Zeugen und Gutachten wurden allesamt abgelehnt. Die Richterin erachtete ein weiteres Beweisverfahren für nicht notwendig. Sie habe alle Unterlagen umfassend erhalten, und diese würden ausreichen zu sagen, was passiert ist und was nicht, um daraus die rechtlichen Schlüsse zu ziehen.

Ansteckung bei Abreise

Es geht in dem Prozess vor allem darum, ob die Behörden schnell und entschlossen genug agiert haben. Der 72-Jährige habe sich bei der überstürzten Abreise aus Ischgl am 13. März angesteckt, sagte sein Sohn im Ö1-Morgenjournal: Die durchschnittliche Inkubationszeit „würde genau passen mit dem Abreisetag, wo die Touristen in die Busse gestopft wurden, weil fünf Tage später die Symptome aufgetreten sind“.

Der Sohn des Verstorbenen und der VSV machen die Pressekonferenz von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am 13. März für die überstürzte Abreise verantwortlich. Außerdem meinen sie, dass der Tourismus schon eine Woche früher hätte eingestellt werden müssen: „Da man ja schon wusste, dass es in Ischgl Fälle gibt, das war ja schon, bevor mein Vater gekommen ist, bekannt, da hätte man sicher eine Woche früher schon diese Maßnahme setzen müssen.“

Frühere Schließung laut Staat nicht möglich

Die Republik wird vor dem Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen durch die Finanzprokuratur vertreten. Diese argumentiert in ihrer Klagebeantwortung unter anderem, es habe keine gesicherte Information über CoV-Fälle gegeben. „Die Setzung umfangreicher Maßnahmen war keinesfalls möglich, zumal die Verhinderung der Einreise von Gästen am 7. März oder die Schließung von Betrieben, ausschließlich auf Gerüchten gegründet, nicht der Rechtsstaatlichkeit entsprochen hätten.“

Auch von einem Mitverschulden des Verstorbenen schreibe die Finanzprokuratur, hieß es in Ö1. „Dem Verstorbenen musste die mit dem Covid-19-Virus verbundene Gefahr für ältere Personen bekannt gewesen sein.“ Dazu kommen rechtliche Argumente der Republik. So müssten die Kläger beweisen, dass der Schaden durch schuldhaft rechtswidrige Handlungen eintrat. Die Pressekonferenz des Bundeskanzlers sei zur Information wichtig gewesen.

„Bis zu 3.000“ Ansprüche erwartet

Der zivilrechtliche Prozess dürfte der Auftakt eines Prozessreigens werden: Sieben weitere Tagsatzungen im September und Oktober wurden bereits festgelegt. Neben jener Klage, die am Freitag verhandelt wird, liegen laut VSV 15 weitere bei Gericht. Außerdem wurden der Finanzprokuratur – sie vertritt die Republik – rund 40 Aufforderungsschreiben vorgelegt, 60 weitere Fälle warten auf die Deckungszusage der Rechtsschutzversicherungen.

VSV-Obmann Peter Kolba rechnete schließlich mit „bis zu 3.000“ Ansprüchen, die an die Republik gestellt würden, sowie mit Sammelklagen nach österreichischem Recht. An die 6.000 Betroffene hätten sich an den VSV gewandt. Derzeit wird auch gegen fünf Personen strafrechtlich ermittelt. Der 70 Seiten starke Vorhabensbericht der Innsbrucker Staatsanwaltschaft wurde fertiggestellt und mittlerweile an das Justizministerium geschickt. Dort wird über Anklage, Einstellung des Verfahrens oder die Beauftragung zu ergänzenden Ermittlungen entschieden.