Der Politologe Peter Filzmaier im „Wien huete“-Studio
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Politik

ÖVP-Razzia „schwerste Belastung für Kurz“

Mehrere Verdachtslagen haben am Mittwoch zu Hausdurchsuchungen in der ÖVP-Zentrale, im Kanzleramt und im Finanzministerium geführt. Der Politologe Peter Filzmaier befürchtet einen langen Rechtsstreit, der der Demokratie in Österreich schaden könnte.

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ermittelt gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und neun weitere Beschuldigte. Es geht um den Verdacht der Untreue, Bestechlichkeit und Bestechung. Hausdurchsuchungen fanden statt. Kurz wies die Vorwürfe zurück und bezeichnete diese als „konstruiert“. Er erinnerte an die bisherigen Vorwürfe der falschen Zeugenaussage vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss gegen ihn, die sich auch als falsch herausgestellt hätten. Die Opposition forderte den Rücktritt von Kurz und beantragte eine Sondersitzung des Nationalrats – mehr dazu in news.ORF.at.

„Schwerste Belastung auch für die Demokratie“

Die aktuellen Vorwürfe bedeuteten „eine schwerste Belastzung und Krise für Kurz und die ÖVP aber auch für die österreichische Demokratie“, sagte der Politologe Peter Filzmaier am Mittwoch im „Wien heute“-Gespräch. Denn die alles entscheidende Frage von Schuld oder Unschuld lasse sich vielleicht für Monate oder sogar Jahre nicht klären: „Sind beispielsweise alle Beschuldigten im Ermittlungsverfahren unseres Wissens nach noch nicht einmal einvernommen worden, dann würde erst, und das ist kaum noch heuer der Fall, über eine Anklage entschieden werden.“

Politologe Filzmaier zu Hausdurchsuchungen

Politologe Peter Filzmaier analysiert die Hausdurchsuchungen in der ÖVP-Zentrale und im Kanzleramt.

Bis dahin würden sich Unschuldsvermutung und offensive bis vielleicht aggressive Gegenangriffe der ÖVP auf die Staatsanwaltschaft und natürlich offensiv bis aggressive Kritik der Opposition am Bundeskanzler gegenüber stehen: „Und das tut unserer Demokratie sicher nicht gut.“

„Andere Qualität als Falschaussage im U-Ausschuss“

Filzmaier sieht zwischen dem Vorwurf der Falschaussage im Ibiza-Untersuchungssausschuss und den aktuellen Vorwürfen sowohl formalrechtliche als auch politische Unterschiede. Denn das Delikt der Falschaussage im U-Ausschuss sei mit einem viel geringeren Strafrahmen – bis zu drei Jahre – bedroht als die Delikte der Untreue, der Bestechlichkeit oder der Bestechung. Auch in der öffentlichen Wahrnehmung werde wohl ein Unterschied gemacht zwischen einer Falschaussage im Ausschuss oder einem Fall, in dem es darum geht, dass Geld des Steuerzahlers über das Finanzministerium illegal ausgegeben werden sollte.

Innerparteilich könne sich Kurz wohl der Loyalität der ÖVP-Regierungsmitglieder und der Bundespolitiker sicher sein, setzte Filzmaier fort. Er habe die ja auch nach Loyalitätskriterien ausgewählt: „Auf Landes- und Gemeindeebene gibt es sicher ÖVP-Politiker, die sich jetzt fragen: ‚Kann mir das schaden?‘“ Da komme der ÖVP aber ein zeitlicher Zufall zu Hilfe, denn heuer und im nächsten Jahr gebe es keine Parteienwahl mehr. Und solange keine Wahl drohe, sei die Frage „Kann mir das schaden?“ für andere mögliche Kandidaten der ÖVP nicht ganz so dringlich.

Unschuldsvermutung als Garant für Koalition mit Grünen

Die Opposition beantragte eine Sondersitzung des Nationalrats. Auf die Frage, wie lange die Grünen auch als Antikorruptionspartei der Koalition mit der ÖVP treu bleiben können, sagte Filzmaier, sie müssten sogar treu bleiben: „Denn ihre Argumentation bei den bisherigen Vorwürfen der Falschaussage war ja immer auch politisch, nicht nur rechtlich, das sowieso: ‚Es gilt die Unschuldsvermutung quasi mindestens bis zur Anklage‘.“ Die Grünen könnten also jetzt wohl schlecht sagen, bisher, bei der mutmaßlichen Falschaussage, sei es nur um maximal drei Jahre Haft gegangen, „da haben wir es noch nicht so eng gesehen, dass tun wir erst jetzt.“

Filzmaier geht davon aus, dass die Grünen koalitionstreu bleiben werden, „zumindest solange sie sich auch einer entsprechenden Mehrheit im eigenen Klub sicher sind. Denn bei einem politischen Misstrauensantrag, da geht es nicht um eine strafrechtliche Verurteilung, dürfen im Nationalrat von 26 grünen Abgeordneten nur sechs abtrünnig werden und allenfalls für den Misstrauensantrag stimmen.“ Sonst wäre die Mehrheit weg und dann wäre das eine Abberufung.

„Kein Anlass für Entlassung durch Bundespräsidenten“

Bundespräsident Alexander Van der Bellen kritisierte die Attacken der ÖVP auf die Justiz und sprach sich für ungestörte Ermittlungen aus. Hier sei ihm gar keine andere Wahl geblieben, so Filzmaier weiter. Das einzige formale Instrumentarium für ihn wäre Artikel 70 der Bundesverfassung, entweder den Kanzler oder die ganze Regierung zu entlassen: „Wenn man aber die Unschuldsvermutung auch ernst nimmt und lebt und das muss man – das kann nicht nur eine rechtliche Schutzbehauptung sein, dass man nicht geklagt wird – dann gibt es keinen Anlass für den Bundespräsidenten, diese Entlassung vorzunehmen.“

Am Ende wagte Filzmaier noch einen Blick in die Zukunft. Seiner Meinung nach sind jetzt längere Ermittlungen erwartbar. Es bleibe abzuwarten, „was wir von Einvernahme, von Beschuldigten oder Zeugen mitbekommen. Der nächste entscheidende Punkt ist die Anklageerhebung, ja oder nein. Aber wie gesagt, ob das noch heuer ist, wage ich zu bezweifeln.“