Die große Herbst-Sonderschau im Oberen Belvedere fällt mit dem 550. Geburtstag des berühmten Schöpfers des „Feldhasen“ zusammen – weniger Absicht als Fügung, wie Generaldirektorin Stella Rollig zugab. Dürer wurde 1471 in Nürnberg geboren und steht bis heute für einen Aufbruch, was die Rolle des Künstlers selbst sowie die Funktionen und Darstellungsformen im künstlerischen Schaffen angeht.
Wie sich diese Wende hierzulande manifestierte, soll in der 120 Werke umfassenden, thematisch gruppierten Schau, die von Gemälden und Zeichnungen über Skulpturen und Druckgrafiken bis zu Medaillen ein breites Gattungsspektrum bietet, verdeutlicht werden.
„Österreich am Tor zu Renaissance“
Was macht die Jahre zwischen 1490 und 1530, die hier vorrangig beleuchtet werden, nun so spannend? Laut Kurator Björn Blauensteiner hat sich auf österreichischem Gebiet um 1500 ein „Mischstil“ herausgebildet, der sich einerseits aus noch mittelalterlich-christlichen Darstellungsformen speist und anderseits schon auf die antikisierenden Elemente der Renaissance vorgreift. Nicht umsonst heißt die Ausstellung im Untertitel „Österreich am Tor zu Renaissance“.
Ein „Musterbeispiel“ dafür ist der Ädikula-Altar mit gewölbten Seitenflügeln, auf den man als Besucher erst im vorletzten Raum trifft. Das Ensemble wurde nicht nur aufwendig restauriert, sondern ist nun erstmals wieder samt Predella – also dem ebenfalls kunstvoll gestalteten Unterbau des eigentlichen Altars – zu sehen.
Belvedere zeigt Renaissance-Werke
Das Wiener Belvedere zeigt ab Donnerstag eine neue Ausstellung: In „Dürerzeit – Österreich am Tor zur Renaissance“ werden Werke präsentiert, die in jener Zeit auf dem Gebiet des heutigen Österreichs entstanden sind.
Neuer Realismus in der Kunst
Aber auch ansonsten gab es eine Reihe von Zäsuren. Die Künstler bringen nicht nur „expressive Dynamik“ (Blauensteiner) in ihre Werke – gut ablesbar etwa auf einem „Moriskentänzer“ genannten und von Nikolaus und Gregor Türing gearbeitetes Relief vom „Goldenen Dachl“ in Innsbruck –, sondern wenden sich zunehmend realistischen Darstellungen zu. Eine lebensgroße Figur des gekreuzigten Jesus, der wie auf einem Totenbett inszeniert wird, ist ein eindrückliches Beispiel dafür.
Ausstellungshinweis:
„Dürerzeit. Österreich am Tor zur Renaissance“, Oberes Belvedere, bis 30. Jänner 2022, täglich 10.00 bis 18.00 Uhr
Ein neuer Realismus findet sich auch in den Porträts dieser Zeit. Bürger und Handelsleute, die sich dank gesellschaftlicher Änderungen nach und nach ebenfalls malen lassen konnten, wollten keine verklärten Bildnisse, sondern eine wirklichkeitsgetreue Wiedergabe. Das Belvedere zeigt in dieser Themengruppe auch das früheste in Österreich entstandene Selbstporträt, das Paul Dax 1530 von sich angefertigt hat.
Rolle der Autorenschaft
Es stehe zugleich als „Synonym für ein neues Selbstbewusstsein der Künstler“, erklärte Kurator Blauensteiner. Diese emanzipierten sich aus dem mittelalterlichen Werkstattbetrieb, die Rolle der Autorenschaft trat in den Vordergrund: „Sie beginnen, ihre Werke zu signieren.“ Anstelle der Funktionalität – etwa die Belehrung der Gläubigen oder das Schaffen eines Andenkens – tritt nun fast ausschließlich die ästhetische Wirkung der Kunst in den Vordergrund.
Die sogenannte „Donauschule“ mit Vertretern wie Lucas Cranach, Albrecht Altdorfer und Jörg Breu etwa schuf minutiöse Naturschilderungen. Hier finden sich denn auch mit „Innsbruck von Norden“ und „Die Brennerstraße im Eisacktal“ zwei kleine Dürer-Aquarelle, die gleichsam Belege dafür seien, dass der Maler Österreich durchquert habe.
Michael Pacher oder Marx Reichlich stehen indes für einen neuen Umgang mit Perspektive. Bildräume werden gleichsam mathematisch konstruiert, um die handelnden Personen darin zu platzieren.
„Es lohnt sich, weiter zurückzuschauen“
Wenn es um die Herleitung des heutigen Verständnisses von Kunst, ihrer Akteure, Institutionen und Funktionen gehe, würde üblicherweise nicht länger als 200 Jahre – in die Zeit rund um die Französische Revolution und der Entstehung der ersten staatlichen Museen – in die Vergangenheit geblickt, erläuterte Generaldirektorin Rollig – und warb im Sinne der Ausstellung: „Es lohnt sich, weiter zurückzuschauen.“