Blume in Einschusslocher aufgenommen im Bereich der Tatorte in der Seitenstettengasse in der Wiener Innenstadt
APA/Helmut Fohringer
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Politik

Die Folgen der Terrornacht vor einem Jahr

Der Terroranschlag in der Wiener Innenstadt vor genau einem Jahr hat Spuren hinterlassen. Vier Menschen tötete der 20-jährige Attentäter, ehe er selbst erschossen wurde. Der Terrorakt zog heftige Kritik am Verfassungsschutz nach sich.

Es war der folgenreichste Terroranschlag in Österreich seit Jahrzehnten: Am 2. November 2020 schoss ein 20-jähriger Anhänger der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) rund um das Wiener Ausgehviertel Bermudadreieck auf Passanten. Ausgesucht hatte sich der in Österreich geborene Mann mit Wurzeln in Nordmazedonien den Ort ebenso wenig zufällig wie den Zeitpunkt: Am Vorabend eines neuerlichen Lockdowns war das Vergnügungsviertel nahe dem Wiener Schwedenplatz gut besucht.

Vier Menschen starben durch Schüsse des Attentäters: Zwei Männer im Alter von 21 und 39 sowie eine 24-Jährige starben sofort, eine 44-Jährige erlag am nächsten Tag im Krankenhaus ihren Verletzungen. Ein 28-jähriger Polizist wurde angeschossen und schwer verletzt. Er konnte noch nicht in den Dienst zurückkehren, befindet sich aber auf dem Weg der Besserung. Insgesamt gab es mehr als 20 Verletzte. Der Attentäter selbst wurde nahe der Ruprechtskirche von der Polizei gestellt und erschossen.

Anschlag in Wien: Die Tatorte
ORF/APA/Polizei

Sendungshinweis

„Wien heute spezial“: „Wie Wien den Terror überwunden hat“, Dienstag, 2. November, 19.00 Uhr, ORF2. Moderation: Patrick Budgen.

Attentäter handelte wohl als Einzeltäter

Von seiner sieben Kilometer weit entfernten Wohnung soll sich der Attentäter, bewaffnet mit Sturmgewehr und Pistole, nach aktuellem Ermittlungsstand zu Fuß dorthin bewegt haben. Nach wie vor als gesichert gilt laut Exekutive, dass es sich um einen Einzeltäter handelte – zumindest was den Anschlag selbst betrifft.

Allerdings hätten ihn gewisse Leute sehr wohl im Vorfeld unterstützt, betonte die Staatsanwaltschaft Wien zuletzt bei einer Bilanz. Diese Unterstützung war „mentaler Natur, aber es wurden auch beim Thema Waffen Kontakte hergestellt“. Sieben Beitragstäter sind derzeit in Untersuchungshaft, ihnen drohen lange Freiheitsstrafen.

Leistungen und Fehler der Polizei

Binnen acht Minuten ist der islamistische Angreifer durch Polizisten aufgegriffen und in einem Feuergefecht getötet worden. Zuvor aber hat es Pannen gegeben: Die Frage stellt sich, ob alles hätte verhindert werden können.

Schwere Vorwürfe gegen Verfassungsschutz

Mit schweren Vorwürfen war kurz nach dem Anschlag der Verfassungsschutz konfrontiert. So war der Täter bereits amtsbekannt, weil er mit weiteren österreichischen Islamisten nach Syrien hatte ausreisen wollen und ihm daher auch der Reisepass entzogen worden war. Eine kurz vor dem Anschlag erfolgte Warnung durch die slowakische Polizei blieb ohne Konsequenzen. Diese zog auch Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) nicht, obwohl vor allem die Oppositionsparteien seinen Rücktritt forderten.

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Polizisteneinsatz Innenstadt
APA/Roland Schlager
Polizisteneinsatz Innenstadt
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Polizisteneinsatz Innenstadt
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Polizisteneinsatz Innenstadt
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Polizisteneinsatz Innenstadt
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Bewaffnete Polizei Wegabeamte
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Polizisten mit Waffen
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Polizisten richten Waffe in die Höhe
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Polizisten mit Waffen
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Polizisten mit Waffen
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Polizeiwagen
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Polizeiwagen
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Polizeiautos in der Innenstadt
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Bewaffnete Polizei Wegabeamte
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Polizeiautos in der Innenstadt
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Polizeiautos in der Innenstadt
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Polizist am Schwedenplatz
ORF

Einen Tag vor dem Jahrestag meldeten die Oppositionsparteien im Bund ihre Forderungen an. NEOS mahnte eine bessere Kommunikation zwischen den Behörden ein, die FPÖ vermisste in einer Aussendung vor allem eine „ernst gemeinte Aufarbeitung der Fehler“ des Innenministers sowie der Verantwortlichen im BVT. Die SPÖ sah Bedarf, die Entschädigungsleistungen für Terroropfer neu zu regeln.

Kommission zeigte Mängel auf

Eine Untersuchungskommission unter der Leitung der Wiener Strafrechtlerin Ingeborg Zerbes wurde bereits kurz nach dem Anschlag eingerichtet und untersuchte mögliche Fehler im Vorfeld. In seinem Abschlussbericht zeigte das Gremium vor allem Mängel aufseiten des Verfassungsschutzes auf, etwa beim Risikobewertungsprogramm für Gefährder, bei der Datenverarbeitung und dem Informationsfluss zwischen den einzelnen Behörden.

Explizit sprach sich die Kommission dafür aus, dass die Zuständigkeitsverteilung zwischen dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) und den entsprechenden Behörden in den Ländern „überdacht und klarer gestaltet“ wird. Zum BVT heißt es in dem Bericht wörtlich: „Die stets angekündigte Neustrukturierung des BVT sollte nun ohne weitere Verzögerungen und transparent durchgeführt werden.“ Die Reform wurde mit der Schaffung der Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) im Juli abgeschlossen.

Untersuchungsleiterin zur Terrornacht

Strafrechtsprofessorin Ingeborg Zerbes ist Leiterin der Kommission, die untersuchte, ob das Attentat in Wien vor einem Jahr zu verhindern gewesen wäre. Im Februar hatte sie ihren Abschlussbericht vorgelegt.

„Fehlverhalten“ im operativen Bereich

Am Ende zeigte sich laut Zerbes, dass es in Bezug auf den Attentäter aufseiten des Staatsschutzes vor allem im operativen Bereich „Fehlverhalten“ gegeben habe. Es gebe allerdings „keine Person, auf die sich eine Verantwortung zugespitzt hätte“. Es sei kein individuell-schuldhaftes, in strafrechtlicher Hinsicht zu ahndendes Verhalten nachweisbar. Es lasse sich nach wie vor nicht sagen, dass eine bestimmte Maßnahme, die unterlassen wurde, den Anschlag hätte verhindern können.

Politische Handlungen richteten sich vorwiegend gegen heimische Muslime. Eine Moschee, in der der Attentäter aktiv gewesen war, wurde vorübergehend geschlossen. Als Teil eines „Anti-Terror-Pakets“ der türkis-grünen Regierung wurde religiös motivierter Terror zu einem eigenen Straftatbestand, ein eigenes „Imame-Register“ eingerichtet, islamische Einrichtungen wurden stärker zur Rechenschaft gezogen.

Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) in der ehemaligen Rennwegkaserne auf dem Rennweg in Wien
ORF.at/Carina Kainz
Das BVT stand im Zentrum der Kommissionskritik

Entschädigungsfonds: Erste Fälle werden behandelt

Die bisherigen Entschädigungszahlungen an Hinterbliebene und Verletzte fielen allerdings gering aus. Wie das Sozialministerium auf ORF-Anfrage sagte, sind laut Verbrechensopfergesetz nur Zahlungen zwischen 2.000 und 12.000 Euro möglich. Bisher gab es den Angaben zufolge 79 Anträge, davon wurden 76 bewilligt (davon 54-mal Schmerzensgeld). Ausgezahlt wurden laut den Angaben 170.000 Euro.

Weil die Einzelbeträge relativ gering sind, hat die Bundesregierung nach Kritik und Verhandlungen mit den Opferanwälten einen eigenen Entschädigungsfonds eingerichtet. Er ist mit 2,2 Millionen Euro dotiert. Die Abwicklung übernimmt die Opferhilfeeinrichtung Weisser Ring. Bisher gab es laut Sozialministerium 48 Anträge. Am Mittwoch werden die ersten Fälle von einer Kommission behandelt, bestätigte eine Sprecherin des Weissen Rings.

Republik und Stadt Wien gedenken der Opfer

Am Jahrestag gedachten die Spitzen der Republik der Opfer des Terroranschlags. Die Gedenkveranstaltung mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) und weiteren Vertretern der Bundesregierung, Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) und Kardinal Christoph Schönborn fand am Abend in der Ruprechtskirche statt.

Die Stadt Wien gedachte der Opfer am Dienstagvormittag im kleinen Rahmen. Bei dem im vergangenen Februar enthüllten Gedenkstein auf dem Desider-Friedmann-Platz wurde ein Kranz niedergelegt. Anwesend war unter anderem die gesamte Stadtregierung mit Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ). Der Desider-Friedmann-Platz ist einer der Tatorte im Bermudadreieck, dessen Lokale an jenem lauen Herbsttag auch am Abend voll waren.