Zunächst mussten die Beamten aber verifizieren, ob es sich tatsächlich um einen Anschlag handelt. „Solche Meldungen sind am Notruf gar nicht so selten“, sagte Pürstl im Gespräch mit der APA. Sobald klar war, dass der Terror nun auch Wien getroffen hatte, wusste die Exekutive, was auf sie zukommen würde. „Die Erfahrungen der Anschläge in anderen Städten und auch des Amoklaufs in München haben uns geholfen“, sagte der Wiener Landespolizeipräsident.
Internationale Erfahrungen halfen
Unzählige Anrufe, Tweets, Postings und Videos in sozialen Netzwerken prasselten auf die Einsatzkräfte ein. „Im Prinzip ist an dem Abend das ausgebrochen, worauf wir hintrainiert und gehofft haben, dass es nicht eintritt“, schilderte er. Zehn Jahre vorher wäre der Einsatz wohl anders abgelaufen, meinte Pürstl. Durch die Erfahrungen anderer Städte konnte sich die Wiener Polizei auf Anschlagsszenarien vorbereiten.
Sendungshinweis
„Wien heute“-Spezial „Wie Wien den Terror überwunden hat“, Dienstag, 2. November, live um 19.00 Uhr, ORF 2. Moderation: Patrick Budgen.
Dabei erwies sich als besonders wichtig, dass genaue Unterlagen und Check- und To-do-Listen erstellt worden, waren, welche die Beamten ohne Nervosität abarbeiteten, wie der Polizeichef erläuterte. Dazu zählte, sich möglichst schnell einen Überblick zu verschaffen und die Erstmeldungen zu bestätigen, Sperrkreise und Sammelpunkte für die Blaulichtkräfte zu schaffen und den Einsatz zu koordinieren.
„Wir haben es geschafft, die Chaosphase zu Beginn ganz gering halten.“ Pürstl: „Gegen 23.00 Uhr war mein Gefühl, dass wir dieses Durcheinander, das natürlicherweise herrscht, irgendwo im Griff haben.“ Eine zentrale Frage war, wie man mit dem öffentlichen Verkehr und auch den zahlreichen Veranstaltungen sowie stark besuchten Lokalen in der Innenstadt umgeht, in denen viele Menschen festsaßen. Schließlich war der 2. November 2020 auch der letzte Tag vor dem Inkrafttreten des zweiten Lockdowns.

Verwirrung um möglichen zweiten Täter
Es dauerte allerdings einige Zeit, bis klar war, dass es sich nur um einen Täter handelte, der in Erscheinung getreten war. In den ersten Minuten trafen nämlich zahlreiche Meldungen mit unterschiedlichen Täterbeschreibungen ein, wodurch in der ersten Phase die Einsatzkräfte eher mehrere Täter in Betracht zogen. „In den Morgenstunden war es wahrscheinlich, dass es sich nur um einen Täter handelte“, betonte Pürstl.
Es gab bereits in der Früh erste Hausdurchsuchungen bei Personen aus dem Umfeld des Täters, aber dabei haben sich Pürstl zufolge keine Hinweise darauf ergeben, dass ein zweiter Täter ebenfalls am Tatort war. Pürstl resümierte, dass der Einsatz am Abend selbst „top abgelaufen“ sei.
„Kein Versäumnis der Behörden“
Pürstl lobte die Einsatzkräfte, die zuerst am Tatort waren. Diese seien sofort in ein Feuergefecht verwickelt worden. Früher galt bei der Polizei in solchen Situationen die Devise, sich zurückzuziehen und auf das Eintreffen von Spezialkräften wie WEGA oder Cobra zu warten. „Wir haben da vor Jahren umgestellt. Man hat gesehen, dass das eigentlich keine gute Taktik ist, weil der Täter bekämpft werden muss, weil er nur so daran gehindert wird, weiteren Schaden anzurichten.“

Der Wiener Landespolizeipräsident nahm auch zur Kritik an Verfassungsschützern und deren Arbeit vor dem Anschlag Stellung, weil bekanntgeworden war, dass der Attentäter im Juli 2020 in der Slowakei Munition kaufen wollte: „Jeder Terrorist ist vorher irgendwie in seinem Leben polizeilich auffällig geworden“, sagte Pürstl.
Pürstl verwies auf den Bericht der Untersuchungskommission unter Vorsitz der Strafrechtlerin Ingeborg Zerbes, die gesagt habe, es gebe viele Verbesserungsvorschläge, „aber es hat kein Versäumnis gegeben der Behörden, und zwar auf keiner Ebene, die auch nur in irgendeiner Form kausal gewesen wäre für diesen Anschlag“. Eine andere Vorgangsweise hätte laut der Kommission den Anschlag wohl nicht verhindern können, betonte der Wiener Landespolizeipräsident.
Ermittlungen gegen Beamte
Er bestätigte, dass die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) zu zwei Anzeigen gegen Beamte des Landesamtes für Verfassungsschutz noch laufende Verfahren führt. Es sei mit baldigen Abschlüssen und entsprechenden Vorhabensberichten zu rechnen. Disziplinarrechtlich will die Polizei das Verfahren abwarten, diesbezüglich gebe es „derzeit keinen Handlungsbedarf“.
Als Konsequenz aus dem Anschlag habe man als Wiener Polizei „die Kommunikation mit der Justiz und der Staatsanwaltschaft deutlich gestärkt“, sagte Pürstl. Auch die Extremismusprävention „bauen wir nach und nach aus“. Die Wiener Polizei sehe sich hier ohnehin in einer Vorreiterrolle und arbeite mit staatlichen oder nicht staatlichen Organisationen wie Deradikalisierungsinitiativen oder auch der Bewährungshilfe zusammen. Man baue Kommunikations-Mechanismen mit der Justiz und unter den Ämtern aus. Ins Detail wollte Pürstl hier aber nicht gehen.