Der damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Freitag, 8. Oktober 2021, anl. eines Statements im Bundeskanzleramt in Wien. Er trat am nächsten Tag zurück.
APA/GEORG HOCHMUTH
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Medien

Inseratenaffäre facht Misstrauen an

Verheerende Auswirkungen zeigt eine Studie zu den Auswirkungen der Inseratenaffäre rund um Sebastian Kurz (ÖVP): Die Bevölkerung hat kaum noch Verständnis für Ausgaben für Regierungsinserate und – schlimmer noch – der Strudel reißt die gesamte Journalismusbranche mit sich.

Fast neun von zehn Befragten einer von Gallup und dem Medienhaus Wien durchgeführten Umfrage erachten zwar unabhängigen Journalismus als wichtig für die Demokratie, doch zweifelt eine Mehrheit daran, diesen auch zu bekommen. Dass es in sämtlichen privaten Medienhäusern in Österreich möglich sei, gefällige Beiträge zu „kaufen“, denkt rund ein Fünftel der Befragten. Weitere 36 Prozent glauben, dass dies in den meisten Medienunternehmen möglich sei. Nur drei Prozent meinen, günstige Berichterstattung sei in keinem Nachrichtenunternehmen käuflich.

Eine klare Trennlinie zwischen Medienunternehmen, die um Aufklärung bemüht sind, und jenen, die sich selbst an Korruption beteiligen, sieht rund die Hälfte der Umfrageteilnehmer definitiv bzw. eher gegeben. Dabei zeigt sich, dass ÖVP- (44 Prozent) und FPÖ-Sympathisanten (47 Prozent) am wenigsten davon überzeugt sind. SPÖ- und Grünen-Sympathisanten sehen diese Trennlinie in weit höherem Ausmaß definitiv oder eher gegeben (65 Prozent). NEOS-Sympathisanten liegen dazwischen (56 Prozent).

1.000 Personen befragt

Für das „Gallup-Stimmungsbarometer“, das am Donnerstag in einer Pressekonferenz präsentiert wurde, wurden 1.000 Personen ab 16 Jahren befragt. Die Befragung ist repräsentativ für die österreichische webaktive Bevölkerung und fand Mitte Oktober statt und somit nach Bekanntwerden der Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) zu Inseratenschaltungen für gefällige Berichterstattung.

„Sehr schlimmer Befund“

Der Aussage, dass die meisten Medien im Land möglichst objektiv über die gegenwärtige Inseratenaffäre berichten und um Aufklärung bemüht sind, stimmen lediglich zehn Prozent der Befragten zu, weitere 35 Prozent sehen das „eher“ gegeben. Das sei ein „sehr schlimmer Befund“ und zeuge von einem „gespaltenen Land“, meinte Medienhaus-Wien-Geschäftsführer Andy Kaltenbrunner im Gespräch mit der APA. „Es herrscht grundsätzliches Misstrauen gegenüber einer Politik-Medien-Allianz. Die gesamte österreichische Journalismusbranche wird im Strudel der Inseratenaffäre mitgerissen.“

Die Ausgaben für Inserate stiegen zuletzt auch aufgrund der Coronapandemie stark an. Dass sie auf diesem Niveau bleiben könnten, verdeutlicht der Umstand, dass die Bundesregierung im April einen Auftrag für das Schalten von Werbung in der Höhe von bis zu 180 Mio. Euro für vier Jahre vergab. Damit würden pro Jahr bei Ausschöpfung des Volumens in etwa 45 Mio. Euro investiert werden. Das ist nur für zwei Prozent der Befragten vollkommen in Ordnung. 82 Prozent meinen, es sei überzogen oder sind grundsätzlich dagegen, dass die Regierung Werbung macht. Im Februar dieses Jahres lag letzterer Wert bei 67 Prozent.

Bevölkerung ruft nach Qualitätskriterien

Bei staatlich geregelter Medienförderung wie etwa der Presseförderung ist das Urteil differenzierter. Ein Viertel erachtet die Förderung von Medien auf diesem Weg als vollkommen oder eher richtig. Ein Drittel sieht das als eher falsch bis falsch an. Ein Drittel ist unentschlossen. Knapp über 70 Prozent sind aber der Meinung, dass sich Medienförderung an der Qualität der jeweiligen Medien bzw. den Regeln guter journalistischer Praxis orientieren sollte. Förderung nach Größe und Reichweite sehen nur elf Prozent als sehr sinnvoll und 32 Prozent als eher sinnvoll an.

„Man erkennt hier einen Hinweis darauf, dass die Qualitätsdebatte viel zu lange vernachlässigt wurde. Die Bevölkerung will Qualitätskriterien, bisher sind diese aber sehr beschränkt verankert“, so Kaltenbrunner. Das "Stimmungsbarometer“ verdeutlicht auch den Wunsch der Bevölkerung (68 Prozent) nach mehr Expertise in der Beurteilung von Qualität und Vertrauenswürdigkeit von Nachrichten. Verantwortlich dafür sollten die Medien selbst, Universitäten sowie unabhängige Institute für Medienforschung sein. Die Einführung eines Gütesiegels für Vertrauenswürdigkeit von Nachrichten würden rund 60 Prozent sinnvoll finden.

Transparenz nun „unabdingbar“

Aus Sicht der Medienhäuser sei es nun „unabdingbar“ transparent zu sein. „Das wurde schon 100-mal gesagt, aber sie müssen es wirklich ernst nehmen und etwa erklären, wie ein Beitrag zustande kommt, auf welche Quellen gesetzt wird und welche Eigentümerstruktur sie aufweisen“, sagte Kaltenbrunner. Einen Teil der Bevölkerung – die grundsätzlichen Systemskeptiker, die weder Politik noch Medien vertrauen – werde man so zwar dennoch nicht überzeugen können. „Aber es gibt eine Gruppe, der man Differenzierungshilfe anbieten muss, um ihr Vertrauen zu erlangen“, so der Medienhaus-Wien-Geschäftsführer.

Der Druck auf die Politik müsse erhöht werden und Debatten über Qualität und Medienkompetenz dürften keine „Elitendebatten“ bleiben. „Es gibt derzeit ein Defizit an Medienberichterstattung. Das kann man anders machen“, empfahl Kaltenbrunner. Übrigens: Der Arbeit der österreichischen Bundesregierung stellen die Befragten ein schlechtes Zeugnis aus. Drei Prozent erachten sie als „sehr gut“, 17 Prozent als „gut“. Im Juni lagen die Werte noch bei sieben Prozent für „sehr gut“ und 25 Prozent für „gut“, im April des Vorjahres bei 27 Prozent (sehr gut) und 39 Prozent (gut).