Kundgebung der Offensive Gesundheit mit dem Titel „5 nach 12“ vor dem AKH
APA/Georg Hochmuth
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Politik

„5 nach 12“: Protest der Gesundheitsberufe

Bedienstete in Gesundheits-, Pflege- und Sozialberufen haben am Mittwoch österreichweit protestiert. Um 12.05 Uhr – also fünf Minuten nach zwölf – verließen viele für kurze Zeit ihre Arbeitsstätten, um vor dem jeweiligen Betrieb die Regierung zum Handeln aufzufordern.

Die Hauptaktion fand vor dem Wiener AKH statt, gefordert wurden eine Ausbildungsreform, faire Löhne und mehr Personal. Koordiniert wurde die Aktion von der „Offensive Gesundheit“, einem Verbund von Gewerkschaft, Ärzte- und Arbeiterkammer. Sie verwiesen darauf, dass sich Österreich seit fast zwei Jahren in der größten Gesundheitskrise seit 100 Jahren befinde. Die Regierung habe aber noch immer keine einzige dringend nötige Reformmaßnahme gesetzt, die den Beschäftigten in den Gesundheits-, Pflege- und Sozialberufen ihre tägliche Arbeit spürbar erleichtern würde.

Protest der Gesundheitsberufe

In ganz Österreich protestieren Mitarbeiter im Gesundheits-, Pflege- und Sozialbereich gegen die „Untätigkeit der Regierung“ in der „fast zwei Jahre dauernden größten Gesundheitskrise seit 100 Jahren“. Es soll auf die zunehmend angespannte Situation im Gesundheitsbereich aufmerksam gemacht werden.

„Unsere Akkus sind leer"

Im AKH ließen sich einige Hundert Mitarbeiter für das Anliegen mobilisieren. Sie trugen Transparente mit Aufschriften wie „Unsere Akkus sind leer: Handelt endlich!“ oder „Wanted: Mehr Personal“ mit sich. Stephan Simek von der Gewerkschaft Younion sprach sich per Megafon auch für mehr Freizeit aus: „Wir alle haben ein Leben. Wir alle müssen auch auf unsere Gesundheit achten.“

Der Wiener Ärztekammer-Vizepräsident Gerald Gingold forderte vor Journalisten ebenfalls eine Personalaufstockung, aber auch die Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Ansonsten drohe die Flucht des Personals aus den Krankenhäusern, weil sie nicht krank werden oder ins Burnout gehen wollten.

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Eine Kundgebung der Offensive Gesundheit mit dem Titel „5 nach 12 – Für ein faires Gesundheits- und Pflegesystem“ vor dem AKH in Wien
APA/ Georg Hochmuth
Eine Kundgebung der Offensive Gesundheit mit dem Titel „5 nach 12 – Für ein faires Gesundheits- und Pflegesystem“ vor dem AKH in Wien
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Eine Kundgebung der Offensive Gesundheit mit dem Titel „5 nach 12 – Für ein faires Gesundheits- und Pflegesystem“ vor dem AKH in Wien
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Eine Kundgebung der Offensive Gesundheit mit dem Titel „5 nach 12 – Für ein faires Gesundheits- und Pflegesystem“ vor dem AKH in Wien
APA/ Georg Hochmuth

Unterstützung von SPÖ und NEOS

Die SPÖ stellte sich hinter die Aktion. „Die Bundesregierung hat 2019 das Jahr der Pflege ausgerufen. Geschehen ist seither – eine Neuwahl, drei Gesundheits-und Sozialminister*innen und einen Bundeskanzler später – immer noch nichts“, kritisierte Parteichefin Pamela Rendi-Wagner in einer Aussendung. Die arbeitenden Menschen in der Gesundheitsversorgung seien nach 20 Monaten Jahrhundertpandemie am Limit. In nur zehn Jahren würden bis zu 100.000 Pflegekräfte und tausende Ärzte fehlen.

Ähnlich die NEOS: „Man muss es einfach so sagen: Die Bundesregierung scheitert derzeit nicht nur am Pandemiemanagement, sondern auch im Pflegebereich fehlt seit Jahren ein echtes Leadership“, kritisierte Sozialsprecher Gerald Loacker. Aus der ÖVP setzte es hingegen Attacken auf die Wiener Stadtverwaltung. „Die mehrheitlich sozialdemokratische Gewerkschaft schießt sich dabei auf die Bundesregierung ein, verfehlt aber dabei ihr Ziel. Verantwortlich für derartige Personalbesetzungen ist einzig die Stadt Wien“, meinte Gemeinderätin Ingrid Korosec.

Hunderte wegen Covid-10 freigestellt

Ein Beispiel für die angespannte Situation im Gesundheitsbereich:. In Wien waren vor zehn Tagen noch 275 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter städtischer Krankenhäuser wegen Covid-19 freigestellt. Jetzt sind es 330, darunter positiv getestete, K1-Kontaktpersonen und Personen mit Risikoattest, aber auch Schwangere, die jetzt nicht arbeiten müssen oder dürfen. Die Akutversorgung sei aber nicht gefährdet.

In ihrem Stufenplan stehen die Wiener Spitäler seit Anfang dieser Woche auf Stufe vier von neun im Normalbettenbereich und auf Stufe fünf im Intensivbereich. Operationen werden aktuell laut Gesundheitsverbund „selektiv und individuell“ nur auf einzelnen Stationen verschoben. Man versuche, dringende Behandlungen zeitnah durchzuführen. Operationen öffentlicher Spitäler werden seit September auch wieder in Privatspitälern abgewickelt. 65 waren es etwa in den drei Häusern der PremiQaMed-Gruppe, also in der Privatklinik Döbling, in der Confraternität und im Goldenen Kreuz.

Krankenhaus Rudolfstiftung am 27. Februar
APA/Helmut Fohringer
330 Mitarbeiter in Wiener Spitälern sind wegen CoV freigestellt

Zahl der Beschwerden steigt wieder

Die Beschwerden über verschobene Operationen seien aktuell noch nicht so schlimm wie zu Beginn der Pandemie, hieß es aus dem Büro der Wiener Patientenanwältin Sigrid Pilz. Aber in den vergangenen drei Monaten sei die Zahl der Beschwerden wieder gestiegen. Das Problem sei, dass Operationen von schwer kranken Menschen verschoben oder sogar abgesagt werden müssten. Schwere Operationen könnten nicht in Privatspitäler verlegt werden, weil für die Betreuung nach der Operation ein Intensivbett notwendig ist. Privatspitäler haben aber keine Intensivstationen.

Beschäftigte körperlich und psychisch „am Limit“

Die Offensive Gesundheit ist ein Verbund aus Arbeiter- und Ärztekammer sowie den Gesundheitsgewerkschaften. „Viele unserer Beschäftigten sind bereits jetzt körperlich und psychisch am Limit“, so die Offensive Gesundheit, die auf jüngste Umfragen in den einzelnen Berufsgruppen verweist: „Emotionale und körperliche Überlastung sind mittlerweile keine Ausnahme mehr, und wir müssen unsere Kolleginnen und Kollegen davor schützen. Wir brauchen also eine sofortige Entlastung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, um rasch gegensteuern zu können.“

Die Infektionsabteilung am Kaiser-Franz-Josef-Spital
APA/HELMUT FOHRINGER
Die Zahl der Intensivbetten ist wichtig, aber es braucht auch speziell geschultes Personal, um sie benützen zu können

Bereits vor der Krise litt der Gesundheits-, Pflege- und Sozialbereich unter großem Personalmangel. Die Pandemie verschärfe diese Entwicklung noch. Es brauche nicht noch mehr schöne Worte der Politik, sondern endlich eine adäquate Entlohnung, mehr Freizeit und dringend mehr Personal. Zusätzlich brauche es rasch eine grundlegende Ausbildungsreform sowie verbesserte Arbeitsbedingungen, um nicht noch weiter in die gefährliche Versorgungskrise zu schlittern.

Jede zweite Pflegekraft denkt ans Aufhören

In Zahlen ausgedrückt bedeutet das, dass aktuell jede zweite Pflegekraft darüber nachdenkt, den Job aufzugeben. Hohe Belastung und Überstunden führen bei Pflegekräften immer öfter zu Burn-out. So gebe es unter anderem kaum noch stabile Dienstpläne, Einspringen sei ein normaler Vorgang geworden. Die Gewerkschaft fordert deshalb dringend mehr Personal, bessere Bezahlung und Nachwuchsarbeit.

In Wien hatte zuletzt Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) Strategien zur Zukunft der Pflege präsentiert. Bis ins Jahr 2030 braucht Wien zusätzliche 9.000 Pflegekräfte. Es sollen Anreize geschaffen werden, um Quer- und Wiedereinsteiger für Pflegeberufe gewinnen zu können. Investitionen in Ausbildung wie etwa mehr Ausbildungsplätze, Jobqualität und Innovation sollen den Pflegeberuf attraktiver machen. Insgesamt will die Stadt in den nächsten 25 Jahren 1,1 Milliarden Euro in die Pflegeausbildung investieren.