Kinder vor Schule
APA/Roland Schlager
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Coronavirus

„Außer Kontrolle“: Kritik an offenen Schulen

Auch wenn der Unterricht weitergeht, sollen Schülerinnen und Schüler wenn möglich zu Hause bleiben, so der Appell der Regierung. Das sorgt für heftige Kritik bei Lehrervertretern, Eltern und von Schülerseite. Die Lage an den Schulen sei „außer Kontrolle“.

Geht es nach dem Bildungsministerium, sollen Schüler für zu Hause Lernpakete erhalten. Die Teilnahme am Unterricht von zu Hause aus soll eine Variante sein, wo es technisch möglich ist. Eine Verpflichtung zum Distance Learning gibt es aber nicht. Unterricht laut Stundenplan also, wer zu Hause bleibt, muss sich den Stoff selbst erarbeiten. Die Kritik an diesem Modell fiel heftig aus.

„Distance Learning für zwei Wochen“

In einem offenen Brief fordern nun über 100 Schulsprecherinnen und -sprecher, Lehrkäfte, Eltern und Fachleute am Montag von der Regierung Distance Learning an allen österreichischen Schulen für 14 Tage zur Unterbrechung von Infektionsketten sowie Betreuung in den Schulen für alle, die es brauchen. Für Eltern müsse es Sonderbetreuungszeiten geben.

Die Inzidenz bei Fünf- bis 14-Jährigen betrage – Stand 19.11. – österreichweit 2.123, heißt es in dem an Kanzler Alexander Schallenberg (ÖVP), Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) und ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann adressierten Brief weiter. Und auch auf den Intensivstationen lägen zunehmend Kinder und Jugendliche. Die Schulen seien eben keine „kontrollierten Räume“. Die Zahlen bewiesen das Gegenteil: „Die Situation ist außer Kontrolle.“ Die erforderliche Kontaktreduktion werde so nicht erreicht werden können.

Schülervertreter: „Verantwortungslos“

Mit dem vorliegenden Konzept der Regierung würden die meisten in die Klasse kommen, sagte der Wiener Schulsprecher, Mati Randow, Sonntagabend gegenüber „Wien heute“: „Die Inzidenzen im Pflichschulalter sind bei uns am allerhöchsten im Vergleich zu allen anderen Altersgruppen. Wir haben die niedrigste Impfrate. Es wird uns auch eineinhalb Jahre gesagt, dass das Virus nicht gefährlich ist für uns – stimmt nicht.“ Dass man jetzt genau diese Altersgruppe weiter in der Schule schicke, sei „verantwortungslos“.

Lockdown: Schulen bleiben „offen“

Es gibt am Montag zwar ganz normal Unterricht, aber die Schülerinnen und Schüler dürfen auch zu Hause bleiben. Das sorgt für Kritik, auch von Schülerseite.

Distanzunterricht wäre auch für die Personalvertreterin der Wiener Pflichtschulen, Helga Darabandi die bessere Variante: „Wir haben schon drei Lockdowns gemacht, durchgetragen. Man hätte aus diesen einfach lernen können und nicht wieder eine besondere Form mit Präsenzunterricht beginnen.“

Himmer: „Kein größeres Risiko als bisher“

Die Verunsicherung verstehe er, sagte Bildungsdirektor Heinrich Himmer (SPÖ) Sonntagabend gegenüber „Wien heute“. Er könne den Eltern und jungen Menschen aber die Entscheidung nicht abnehmen, die sei den Eltern ganz klar zugesprochen worden. Er garantiere aber, dass an den Schulen „kein größeres Risiko als bisher“ eingegangen werde. Man sei in Wien immer streng gewesen und dafür auch kritisiert worden.

Interview mit Bildungsdirektor Heinrich Himmer

Bildungsdirektor Heinrich Himmer erzählt über die Verwirrung an Schulen, die derzeit über die CoV-Maßnahmen herrscht.

Bei zu großem Risiko werden Klassen geschlossen, derzeit seien rund 100 Klassen geschlossen, das seien ungefähr ein Prozent. „Alle, die am Montag in die Schule kommen, werden eine sichere Schule vorfinden.“ In den Schulen gilt FFP2-Maskenpflicht, weiterhin wird dreimal pro Woche PCR-getestet (ausgenommen sind nur Genesene). Gibt es einen Infektionsfall, müssen alle anderen Schülerinnen und Schüler fünf Tage lang täglich zumindest einen Antigen-Test durchführen.

Experte für „kurze Notbetriebsphase in Schulen“

Der Wiener Bildungsdirektor Christoph Wiederkehr (NEOS) will für die nächsten Wochen, „dass hier wirklich mit Augenmaß vorgegangen wird, jetzt kein Lerndruck entsteht, sondern Lernstoff vertieft wird und Prüfungen auch so gut es geht verschoben werden“. Der Wiener Mikrobiologe Michael Wagner plädierte jetzt für eine „kurze Notbetriebsphase in Schulen“, um die Infektionsketten zu durchbrechen – und dann für einen Wiederöffnen mit einem optimierten Schutzkonzept.

Faßmann: "In dieser Phase richtig“

Kommen nur einzelne Schüler einer Klasse, werden sie mit Schülern einer anderen Klasse unterrichtet, sagte Faßmann Montagfrüh im Ö1-Morgenjournal. Er verteidigte seine Linie: „Das Modell ist in dieser Phase richtig.“ Faßmann sagte, er wolle die Belastungen für Familien aus den vorangegangenen Lockdowns reduzieren, zugleich schloss er trotz seines Eintretens für offene Schulen die Bitte an, „dem übergeordneten Ziel der Kontaktreduktion Folge zu leisten“.

Die Entscheidung liege nun bei den Eltern, die am besten wüssten, was für ihr Kind gut ist – mehr dazu in Faßmann verteidigt offene Schulen (news.ORF.at; 22.11.2021). Nach Angaben des Bildungsministeriums waren vorläufigen Zahlen zufolge rund 70 Prozent der Schüler am Montag in den Klassen – mehr dazu in Großteil nimmt an Präsenzunterricht teil (news.ORF.at; 22.11.2021).

Schularbeiten: Raum für Interpretation

Raum für Interpretation gibt der Erlass des Unterrichtsministeriums etwa bei der Frage, ob Schularbeiten und Tests stattfinden werden. Faßmann: „Die Intention ist klar. In dieser Zeit geht es um Vertiefung und Wiederholung. Schularbeiten sind derzeit nicht durchzuführen, außer es sind alle im Präsenzunterricht.“

Isabella Zins, Sprecherin der AHS-Direktoren und -Direktorinnen, sagte gegenüber Ö1, sie könne mit dem Erlass und dem Spielraum, den er gibt, leben: „Wenn Schüler und Lehrer eine Schularbeit schreiben wollen, wird das ermöglicht.“ Man müsse aber zwischen Unter- und Oberstufe unterscheiden. „Die Schulen werden aus der Situation das Beste machen“, sagte Zins. Zugleich stellte sie aber auch klar, dass „Hybridunterricht nicht möglich“ sein werde – nicht nur wegen der Technik, sondern auch wegen der schwierigeren Interaktion. Vieles müssten Lehrer individuell entscheiden.