Bogdan Roscic
Georg Hochmuth / APA / picturedesk.com
Georg Hochmuth / APA / picturedesk.com
Opernchef Roscic

„Es ist Zeit für ein großes Finale“

Eine Mammutaufgabe rund um die Wiederöffnung steht der Wiener Staatsoper ins Haus. Der „Don Giovanni“, „Parsifal“ und der „Don Carlo“ werden alle hintereinander von Musikchef Philippe Jordan dirigiert. Opernchef Bogdan Roscic wirbt um das Publikum: „Die Oper gehört allen. Es ist Zeit für ein großes Finale zum Jahresausklang.“

Es war ein Tauziehen bis zuletzt. Doch fest steht: Ab Montag ist an der Wiener Staatsoper wieder Vollbetrieb. Für Besucher gilt: 2-G-Regel und Maske. Testpflicht gibt es keine. Dafür gibt es momentan umso mehr Karten. Denn in der Stadt sind pandemiebedingt keine Touristen unterwegs. Die Hotels sind leer. Und in normalen Zeiten ohne CoV sind die Touristen ein fester Stamm des Abendpublikums.

„Wir wollen jetzt im Finale des Jahres den Menschen hier im Land einfach eines sagen und zeigen: Es geht wieder los“, sagte Opernchef Roscic im Gespräch mit wien.ORF.at: „Wir haben viel vor im Finale des Jahres, zeigen den neuen, frischen ‚Don Giovanni‘ erstmals vor Publikum, und auch der ‚Parsifal‘ erlebt ja seine Premiere vor Zuseherinnen und Zusehern. Dazu legen wir auch noch den ‚Don Carlo‘ hin. Also wenn man so will: Schnellentschlossene können sich ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk machen.“

Der Organisationsaufwand für die doch recht kurzfristige Öffnung ist gerade an der Oper enorm. Doch auch andere Häuser müssen sehr kurzfristig reagieren.

In Wien steht noch eine besondere Premiere ins Haus. Musikdirektor Jordan wird drei große Opern hintereinander dirigieren. Ab Montag und Dienstag den „Don Giovanni“, danach den „Parsifal“. Und beim „Don Carlo“ springt Jordan auch ein und ersetzt den erkrankten Maestro Franz Welser-Möst. „Man muss ja nicht das Bergsteigervokabular bemühen. Aber das ist eine Mammutaufgabe für Philippe“, sagte Roscic. Andererseits, so der Staatsopernchef, habe man ja einen Musikdirektor „auch für solche Ausnahmesituation“.

Ein neuer „Don Giovanni“ mit Frontman-Qualität

Im Zeichen von Dionysos wollte der australische Starregisseur Barrie Kosky Mozarts „Don Giovanni“ lesen. Vor einer Woche erlebte das Stück eine quasi virtuelle Premiere im Streamformat. Nun, am Montag, soll die Premiere vor Publikum stattfinden – für die Oper eine entscheidendere Nagelprobe als der Befund durch die Kritik, gilt doch: Die „Oper aller Opern“ soll Teil des erneuerten Repertoires und ein entsprechender Magnet beim Publikum sein. Allerdings ist die Zeit des vollen Opernhauses mit dem Auf und Ab durch die Pandemie keine Selbstverständlichkeit.

„Don Giovanni“ vor Publikum

Der neue „Don Giovanni“ ist an der Wiener Staatsoper am 13., 14., 17. und 20. Dezember zu sehen. Es gilt die 2-G-Regel plus Maske. Zu erleben sind auch der „Parsifal“ und ein „Don Carlo“. Alles aus einer Hand von Musikchef Jordan.

Ein „Don Giovanni“ gegen den Zeitgeist ist jedenfalls ab Montag auch in Echtform zu erleben. Auf dem harten Boden des Mythos lässt Kosky dieses Stück aufschlagen. Leporello befindet sich in einer Steinwüste, bevor dieser Lust-Faust mit Unhappy End losgehen soll. Leporello und Don Giovanni wirken in dieser Inszenierung wie ein Gespann, das einem Pasolini-Film entnommen schien. Vorne der unbändige Triebtäter, hinten der Drahtzieher, der sich nicht aus Scham, sondern mehr dem Gesetz der Straße folgend das Kapuzenshirt überzieht.

Kyle Ketelsen bei seinem Staatsoperndebüt als Don Giovanni und Philippe Sly als Leporello stehen im Mittelpunkt dieser Inszenierung, die auch so etwas wie eine Persiflage an der Traditionslast bisheriger Inszenierungen gelesen werden kann. Beide Bassbaritone bringen ein sehr dunkles Timbre in ihre Rollen, und das stützte das Stück, in dem Regisseur Kosky immer deutlich mehr mit den Alphatieren als mit dem ein wenig im steinernen Meer umherirrenden Don Ottavio (Stanislas de Barbeyrac) sympathisiert.

„Don Giovanni“: Erster Akt zum Nachschauen

Auch wenn sich Kosky wie viele Regisseure (zuletzt etwa auch Romeo Castellucci) gern am Paar Don Giovanni/Leporello abarbeitet, so wirken doch die Leistung des Gesamtensembles und die musikalische Leitung von Jordan überzeugend. Ketelsen und Sly sind eine Paarung für ein neues, jüngeres Opernpublikum, das diese Institution dringend braucht.

Was Kosky uns auch sagen will mit seiner Arbeit, etwa wenn er den Paradiesapfel gleich zu Beginn mit in den Ring wirft: Bei Don Giovanni gibt es keine Umkehr, keine Abkehr, keine Einsicht. Diesem Charakter nimmt man an diesem Abend alle seine Taten, die zweifelsohne Untaten sind, ab. Selten, das zeigte die Premiere letzten Sonntag, sah man einen Don Giovanni so trotzig-überzeugt seinem Ende entgegengehen. Hier starb der heterosexuell normative Mann, der von keinem Trend der Zeit wie Body-Positivity „#MeToo“ mitbekommen hätte; der aber auch nie auf die Straße gehen würde, um kindlich „Ihr kriegt meinen Körper nie“ zu winseln.

„Don Giovanni“: Zweiter Akt zum Nachschauen

Den Don Giovanni, scheint Kosky zu sagen, wird es immer geben – warum ihn also überdeuten oder umkehren? Für Kosky ist Ketelsen, sorry to say: eine Rampensau. Vor der Pause würde dieser Don Giovanni am liebsten in den Orchestergraben springen, so sehr wird hier Testosteron zu Musik.

Am Ende bleibt die Glut

Alle Gegenüber des Don Giovanni sind freilich nicht weniger selbstbewusst. Hanna-Elisabeth Müller als Donna Anna und Kate Lindsey als Donna Elvira treten dem Triebtäter mit beinahe ebenbürtigem Stolz entgegen. Seht, wir sind einfach in einer „Comedie humaine“, scheint Kosky zu sagen. Und trifft damit den Geist Mozarts. Dieser Don Giovanni erhebt sich noch nach seinem Sterben und sieht der Nachwelt verächtlich ins Gesicht. Das mag provozieren. Aber es passt zu der Art, wie der Großverführer der Weltliteratur hier angelegt ist: Don Giovanni ist der Anti-Faust, der auf der Erde verbraucht, was der Himmel vielleicht verspricht. Und das Jenseits, es interessiert den Unterhaltungskünstler Kosky nicht. Eine Besserungsanstalt im Sinne Schillers ist die Oper bei Kosky ohnedies nicht. Hier geht es um Kurzweiligkeit und den Funkenflug über dem dunklen, harten Grund. Wie schon Romeo Castellucci deutet auch Kosky die Hochzeit von Zerlina und Masetto als Paradiesszene.

Patricia Nolz, Mitglied des Opernstudios, hat bei ihrem Rollendebüt überzeugt. Ihr zu Seite agiert mit Peter Keller ein gar nicht so trauriger Masetto wie sonst oft.

Mozart-Fieber: Barrie Koskys „Don Giovanni“

Er liebt es manchmal schrill, schräg oder gar schmissig – Opernmagier Barrie Kosky, der als Intendant die Komische Oper Berlin zu einem der führenden Opernhäuser Deutschlands machte, wird an der Wiener Staatsoper den Da-Ponte-Zyklus in Szene setzen. Den Anfang macht „Don Giovanni“.

Jordans musikalische Mission

Jordan als musikalischer Leiter des Abends will bei seiner Umsetzung zweierlei erreichen. Einem kantigen „Don Giovanni“ auf der Bühne entsprechende Tempi und Einsätze vorgeben. Aber er begeistert sich auch an den Übergangsmotiven und dem Erfindungsreichtum Mozarts mit sinfonischer Hingabe, als wäre Carlo Mario Giulini mehr sein Meister als ein Nikolaus Harnoncourt oder Rene Jacobs.

Don Giovanni Premiere in der Staatsoper
ORF.at/Gerald Heidegger
Selbstapplaus am Schluss: Radikaler Guckkasten, forciertes Tempo. Kein „Don Giovanni“ für das gemütliche Sitzfleisch.

Jordan liebt die musikhistorische Ausdeutung – und das macht diesen „Don Giovanni“ dann doch wieder zu einem Lehrstück. Es ist kein „Best of“ Mozarts, das man hier erlebt, sondern eine tiefe Durchdringung von Tempo und Motivik der Vorlage. Man darf gespannt sein, wie das Publikum auf diese Lesart ab Montag reagiert.