Amnesty International-Geschäftsführerin Annemarie Schlack (links) und Greenpeace-Programmdirektorin Sophie Lampl bei Pressekonferenz zu Klagsdrohungen der Stadt Wien
APA/Herbert Neubauer
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POLITIK

Stadtstraße: Klagsdrohungen „massive Menschrechtsverletzung“

Nach Klagsdrohungen der Stadt gegen Kritiker der Stadtstraße, auch gegen Jugendliche, haben Umwelt- und Menschenrechts-NGOs Kritik geübt. Einschüchterungen dieser Art kenne man sonst aus Ländern wie dem Sudan. Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) zeigte sich gesprächsbereit.

„Es hat offenbar schon die reine Äußerung einer Meinung gereicht, um so einen Brief zu erhalten, nicht einmal die aktive Teilnahme an einem Camp“, kritisierte Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International, am Mittwoch in einer Pressekonferenz. Die Anwaltsbriefe gingen im Auftrag der Stadt auch an Jugendliche und an Verkehrsplaner, die gegen die Stadtstraße sind.

Schlack sah darin eine „Slapp-Klage“, bei der Unternehmen oder Regierungen mittels wirtschaftlicher Übermacht versuchen, kritische Stimmen zum Verstummen zu bringen. Solche Klagen beobachtete Amnesty etwa im Sudan und auch im Kosovo – dass dies einmal bei der Stadt Wien vorkommen würden, „hätte ich mir nie gedacht“, so Schlack.

Lucia Steinwender (System Change not Climate Change), Lena Schilling (Jugendrat), Mirjam Hohl (Fridays For Future), Amnesty International-Geschäftsführerin Annemarie Schlack, Greenpeace-Programmdirektorin Sophie Lampl, Südwind-Geschäftsführer Konrad Rehling und Wissenschaftlerin Barbara Laa
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Lucia Steinwender (System Change not Climate Change), Lena Schilling (Jugendrat), Mirjam Hohl (Fridays for Future), Amnesty-International-Geschäftsführerin Annemarie Schlack, Greenpeace-Programmdirektorin Sophie Lampl, Südwind-Geschäftsführer Konrad Rehling und Wissenschaftlerin Barbara Laa (v. l. n. r.) bei einer Pressekonferenz am Mittwoch

Greenpeace: „Rote Linie überschritten“

Greenpeace sprach von einer „klaren Überschreitung einer roten Linie“. Sophie Lampl, Programmdirektorin von Greenpeace Österreich, sah einen demokratiepolitischen Skandal, bei dem Kinder und Jugendliche „in Angst und Schrecken versetzt werden“. „Es ist für funktionierende Demokratien beispiellos, dass eine Behörde mit existenzgefährdenden Klagen in Millionenhöhe gegen Kinder und Jugendliche vorgeht, die sich für Klimaschutz einsetzen“, so Lampl. Sie verlangte von Bürgermeister Ludwig und Stadträtin Ulli Sima (beide SPÖ) eine öffentliche Entschuldigung bei den jungen Klimaschützerinnen und Klimaschützern.

Ein solches Schreiben erhielten auch die jungen Klimaaktivistinnen Lena Schilling vom Jugendrat und Mirjam Hohl von „Fridays for Future“. Als Antwort auf junge Menschen, die um ihre Zukunft fürchten, werde mit existenzbedrohenden Klagen gedroht, kritisierte Schilling: „Warum macht man das?“ Bei den Protesten gegen die Straßenbauprojekte in Wien gehe es „um nichts Geringeres als unsere Zukunft“, betonte Hohl. Solange die SPÖ Wien an ihrer „klimazerstörenden Betonpolitik“ festhalte werde der Protest trotz Klagsdrohungen weitergehen.

Klagsdrohungen gegen Wissenschaftler

Die Anwaltsschreiben erhielten selbst Personen, die niemals physisch an den Protesten in der Lobau teilgenommen haben, etwa ein Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation Südwind und die Wissenschaftlerin Barbara Laa. Laa, die an der TU Wien im Forschungsbereich für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik arbeitet, nahm an, dass sie wegen „mentaler Unterstützung“ des Protests mit den Klagsdrohungen bedacht wurde, weil sie in Social Media die Projekte immer wieder kritisiert hatte.

„Als Wissenschaftlerin Lösungen zu veralteter Stadtplanung aufzuzeigen, das habe ich gemacht und das werde ich auch weiter tun“, unterstrich sie. Das Schreiben wertete Laa als Zeichen an Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, „ruhig im Kämmerlein zu sitzen und nicht am Diskurs teilzuhaben“.

NGOs kritisieren Stadt Wien

Die Wiener Landesregierung hat an teils minderjährige Aktivistinnen Klagsdrohungen geschickt. Die Jugendlichen hatten Baustellen besetzt. Greenpeace und Amnesty International bezeichnen das Vorgehen der Stadt Wien als Gefahr für die Demokratie.

Die Klima- und Menschenrechtsbewegung forderte Ludwig und Sima auf, „die Einschüchterungsschreiben umgehend zurückzuziehen“. Die Stadt Wien müsse vielmehr einen Dialog auf Augenhöhe starten. Für den Start dieses Dialogs setzten die Organisationen eine Frist von 48 Stunden fest. Über das weitere Vorgehen werde danach entschieden.

Bürgermeister Michael Ludwig
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Bürgermeister Ludwig sieht sich „gesprächsbereit mit allen Personen, die gesprächswillig sind“

Ludwig: „Unrechtmäßige Besetzung“

„Es ist eine unrechtmäßige Besetzung. Ich sehe keine Androhung auf Millionenhöhe oder sonstiges, es braucht sich niemand bedroht fühlen“, meinte Ludwig am Mittwoch in einer Pressekonferenz. „Wenn niemand an der Besetzung teilnimmt braucht er keine Sorgen haben, in rechtliche Schwierigkeiten zu kommen.“ Die minderjährigen Personen seien ihm nicht bekannt.

„Ich bin gesprächsbereit mit allen Personen, die gesprächswillig sind. Was nicht geht, ist, dass man dem Bürgermeister Ultimaten setzt“, so Ludwig. Einen Termin mit ihm zu vereinbaren sei „ganz einfach – man ruft bei mir im Büro an und macht sich einen Termin aus“. Der Grund, dass der besetzte Teil noch nicht geräumt ist, sei, dass der Dialog gesucht werde.

Stadtstraße: Klagsdrohungen „wie im Sudan“

Nach Klagsdrohungen der Stadt gegen Kritiker der Stadtstraße, auch gegen Jugendliche, haben Umwelt- und Menschenrechts-NGOs Kritik geübt. Einschüchterungen dieser Art kenne man sonst aus Ländern wie dem Sudan. Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) zeigte sich gesprächsbereit.

SPÖ: „Lösung im Dialog“

Von der SPÖ kamen am Mittwoch auch per Aussendung Angebote von Verkehrsstadträtin Sima und Gemeinderat Erich Valentin. „Eine Lösung kann es nur im Dialog geben. Unser Ziel bleibt das Gespräch miteinander und nicht übereinander“, so der Vorsitzende des Mobilitätsausschusses. „Das Schreiben an Minderjährige bedauern wir und dafür entschuldigen wir uns“, hieß es von Valentin.

„Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, und selbstverständlich gilt diese auch in der aktuellen Debatte um die Besetzung der Baustelle der Stadtstraße Aspern“, so Sima in einer Aussendung. Die Planungsstadträtin ersuchte aber „um Verständnis, dass die Stadt Wien auch das Recht hat, ein in allen Instanzen genehmigtes und für die Stadtentwicklung notwendiges Infrastrukturprojekt zu realisieren“. Es gehe um die Errichtung Zigtausender leistbarer Wohnungen im Nordosten Wiens, die an der Stadtstraße Aspern hängen.

Zu den eingeforderten Gesprächen mit den Aktivistinnen und Aktivisten sei man, wie es aus dem Sima-Büro auf APA-Anfrage hieß, „selbstverständlich bereit“. „Wir haben immer auf Gespräche gesetzt, setzen auch weiterhin auf Dialog“, sagte Sima.

FPÖ für Räumung der Baustellen

Toni Mahdalik, Verkehrssprecher der Wiener FPÖ, forderte in einer Aussendung die umgehende Räumung der Baustellen. „Vorsätzlicher Gesetzesbruch und Schädigung der Steuerzahler um zumindest 22 Mio. Euro sind halt auch für wohlstandsverwahrloste Bobosprösslinge kein Kavaliersdelikt. Wer alt genug ist, illegale Handlungen zu begehen, ist auch alt genug für die verdiente Strafe“, so Mahdalik.