Einschusslöcher in Glastür, hinter dem Glas brennen Kerzen
APA/Helmut Fohringer
APA/Helmut Fohringer
Chronik

Anschlag: Viele Opfer noch nicht gemeldet

Nach dem Terroranschlag in der Wiener Innenstadt im November 2020 geht es nun um die Entschädigungen. Bei der Opferhilfeeinrichtung Weißer Ring meldeten sich bisher rund 120 Menschen. Der Weiße Ring geht aber noch von viel mehr Opfern aus, die Anspruch auf Entschädigung haben.

Es war der folgenreichste Terroranschlag in Österreich seit Jahrzehnten: Am 2. November 2020 schoss ein 20-jähriger Anhänger der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) rund um das Ausgehviertel Bermudadreieck auf Passantinnen und Passanten. Vier Menschen starben durch Schüsse des Attentäters, insgesamt gab es mehr als 20 Verletzte.

Die Angehörigen und Opfer leiden bis heute unter den Folgen. „Ganz ehrlich, ich bin noch nicht gesund, weil das ist nicht so einfach, diesen Abend zu vergessen“, erzählte ein Augenzeuge. Die bisherigen Entschädigungszahlungen an Hinterbliebene und Verletzte fielen bisher allerdings gering aus.

Nach Terroranschlag: Entschädigung für Opfer

Der Weiße Ring ist damit befasst, Oper und Angehörige nach dem Terroranschlag von Wien finanziell zu unterstützen und geht davon aus, dass sich viele noch nicht gemeldet haben. Erstattet werden etwa auch Begräbniskosten.

Bisher 60-mal Schmerzensgeld bezahlt

Wie das Sozialministerium auf „Wien heute“-Anfrage mitteilte, gab es auf Grundlage des Verbrechensopfergesetzes bisher 99 Anträge, davon wurden 81 bewilligt (davon 60-mal Schmerzensgeld). Ausgezahlt wurden laut den Angaben 186.000 Euro.

Weil die Einzelbeträge relativ gering sind, richtete die Bundesregierung nach Kritik und Verhandlungen mit den Opferanwälten einen eigenen Entschädigungsfonds ein und präsentierte diesen im September. Er ist mit 2,2 Millionen Euro dotiert. Die Abwicklung übernimmt die Opferhilfeeinrichtung Weißer Ring.

Anspruchsberechtigt sind all jene, die aufgrund des Verbrechensopfergesetzes Schmerzensgeld bekommen haben. Auf dieser Grundlage gab es bis jetzt rund 50 Meldungen. Bei einer ersten Sitzung im November wurde drei Personen aus dem Fonds Geld zugesprochen. Mitte Jänner folgt die nächste Sitzung, in der weitere Fälle besprochen werden. Der Weiße Ring hilft den Betroffenen aber auch mit Spendengeldern, die nach dem Anschlag gesammelt wurden.

Die Geschäftsführerin der Opferhilfeeinrichtung „Weisser Ring“, Natascha Smertnig
ORF
„Weißer Ring“-Geschäftsführerin Natascha Smertnig: „Gehen davon aus, dass viel mehr Menschen Ansprüche geltend machen könnten“

„Ermutigen alle, sich zu melden“

Bisher haben sich rund 120 Opfer und Hinterbliebene beim Weißen Ring gemeldet, aber „wir gehen davon aus, dass viel mehr Menschen Ansprüche geltend machen könnten und würden alle ermutigen, sich bei uns zu melden“, sagte die Geschäftsführerin des Weißen Rings, Natascha Smertnig, gegenüber „Wien heute“.

Anspruch auf eine Entschädigung haben Betroffene, die einen körperlichen oder seelischen Schaden erlitten haben oder Begräbniskosten bezahlen mussten. „Es genügt, vor Ort gewesen zu sein und Schüsse gehört zu haben oder sich in Todesangst versteckt zu haben oder auch Verletzten beigestanden zu sein oder nicht zu wissen, wie lange man ausharren muss, auf Hilfe warten muss“, sagte Smertnig.

Für eine Entschädigung müsse der Anschlag Folgen für die Betroffenen haben. Das könnten zum Beispiel Schlafstörungen über einen längeren Zeitraum sein, erklärte Smertnig. Sie bittet alle, die am 2. November den Anschlag miterlebt haben, sich zu melden. Denn wer Anspruch auf eine Entschädigung hat, „wird individuell festgestellt, das Terrorphänomen ist ein sehr neues“.

Sieben Personen noch in U-Haft

Der Attentäter selbst wurde in der Nacht des Anschlags nahe der Ruprechtskirche von der Polizei gestellt und erschossen. Die Ermittlungen sind aber noch nicht abgeschlossen. Sieben Personen sind noch in U-Haft, weil sie in die Vorbereitungen involviert gewesen sein sollen.

„Bei einem ist noch ein Gutachten zu seiner Radikalisierung in Arbeit“, bestätigte eine Sprecherin der Wiener Staatsanwaltschaft auf Nachfrage. Gegen 30 weitere wird ebenfalls noch ermittelt. „Da läuft die Datenträgerauswertung noch“, so die Sprecherin. Anfang April wird dann der Abschlussbericht erwartet.