Die Wiener Philharmoniker unter Dirigent Daniel Barenboim beim Neujahrskonzert am Samstag, 1. Jänner 2022, im Großen Saal des Wiener Musikvereins.
APA/DIETER NAGL
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Kultur

Neujahrskonzert mit pfeifenden Musikern

Vor Publikum, aber immer noch im Zeichen der Corona-Pandemie: Daniel Barenboim hat sein drittes Neujahrskonzert mit den Wienern Philharmonikern dirigiert – garniert mit eindringlichen Grußworten und Pfeifkonzert.

Es sei sehr wichtig, so Barenboim in seinen die ersten Takte des Donauwalzers unterbrechenden Grußworten, dass die Wiener Philharmoniker dieses Konzert jedes Jahr spielen. „Aber umso wichtiger ist es heute.“ Die Coronapandemie sei eine „menschliche Katastrophe, die versucht, uns auseinander zu drängen“. Am Orchester, das im gemeinsamen Musizieren eins wird im Denken und Fühlen, solle sich jeder ein Beispiel nehmen. „Es ist für mich eine riesige Inspiration, heute hier zu sein. Nehmen wir dieses Beispiel von Menschlichkeit und Einigkeit mit in unseren Alltag.“

Fabelwesen und Pfeifkonzert

Mit dem Feuervogel, mit Sirene und Nymphe waren die Fabelwesen im heurigen Neujahrsprogramm gut vertreten, ein weiterer Schwerpunkt war im ersten Konzertteil der Presse gewidmet – von Hellmesbergers rasendem „Kleiner Anzeiger“-Galopp, über den populären „Morgenblätter“-Walzer Johann Strauß’ bis zur Polka „Kleine Chronik“ seines Bruders Eduard. Alle drei Werke wurden beim „Concordia“-Ball der gleichnamigen Journalistenvereinigung uraufgeführt, in den Jahren 1864, 1875 und 1876.

Mit der „Fledermaus-Ouvertüre“ oder dem „Spährenklänge-Walzer“ servierte man auch im zweiten Teil des Konzerts – noch vor dem obligatorischen Zugabereigen aus Donauwalzer und Radetzkymarsch – wohlbekannte Meisterwerke der Wiener Ballmusik in philharmonisch vollendeter Ausführung.

Zugleich holte man für Barenboims dritte Ausgabe erneut eine ganze Reihe von bisher nie in diesem Konzert gespielten Werken der Strauß-Dynastie sowie einiger ihrer ausgewählten Zeitgenossen und Konkurrenten aus dem Notenarchiv, darunter Josef Strauß’ „Sirene“, eine langsame Polka von definitivem Neujahrsformat oder Carl Michael Ziehrers „Nachtschwärmer“-Walzer, der die Damen und Herren des Orchesters zum nachttrunkenen Gesangs- und Pfeifchor werden lässt. Mehr mit Charme als mit Genius punktet auch Josef Hellmesbergers possierliche „Heinzelmännchen“-Ballettmusik.

Tradition und Erneuerung beim Ballett

Nicht zur Ballettmusik, sondern zum „Tausend und eine Nacht“-Walzer von Johann Strauß zeigte der Wiener Ballettchef Martin Schläpfer, dass auch er mehr als schmeichlerische Walzerseligkeit zu Neujahr beizusteuern hat. Die Balletteinlage zeugte in Schloss und Schlossgarten von Schönbrunn vom behänden Umgang des Chefchoreografen mit den Traditionen und Erneuerungen seines Fachs. Gekleidet in Roben von Arthur Arbesser bespielten die Tänzerinnen und Tänzer das historische Ensemble nicht nur mit Eleganz, sondern auch mit Unmittelbarkeit und zeitgenössischer Körpersprache.

Das besondere Neujahrskonzert 2022

Nach Hause gehen – oder doch noch eine Runde drehen? Die Wiener Philharmoniker beschworen beim Neujahrskonzert 2022 unter Maestro Daniel Barenboim eine Welt, in der nicht um 22.00 Uhr Sperrstunde ist – und sangen bei Carl Michael Ziehrers Walzer „Nachtschwärmer“ selbst mit. Überhaupt war es ein Neujahrskonzert mit einigen Premieren – und es war eine musikhistorische Feststunde, bei der der Dirigent weniger auf große Gesten als auf feine Signale zur Präzision setzte.

Wiederholungen Neujahrskonzert

Wer die Live-Übertragung des Neujahrskonzerts am Vormittag des 1. Jänner 2022 verpasst hat, hat drei Gelegenheiten, das Ereignis nachzusehen: ORF III bietet als bewährtes Langschläfer-Service am 1. Jänner ein Dacapo im Hauptabendprogramm (20.15 Uhr). ORF 2 zeigt das hochkarätige Kulturereignis nochmals in der „matinee“ am Dreikönigstag, am Donnerstag, dem 6. Jänner (10.05 Uhr) – eingeleitet vom „Pausenfilm“ (9.05 Uhr) und der Auftakt-Doku, diesmal unter dem Titel „Hinter den Kulissen des Neujahrskonzerts“ (9.30 Uhr). 3sat bringt den Klassik-Event am Samstag, dem 8. Jänner (20.15 Uhr), zum Wiedersehen.