Der Schwurgerichtssaal
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Chronik

Baby zu Tode geschüttelt: 17 Jahre Haft

Im Prozess um ein laut Anklage vom Vater vorsätzlich zu Tode geschütteltes Baby sind am Montagabend am Landesgericht die Urteile gefallen. Der Vater wurde wegen Mordes an seiner elf Wochen alten Tochter zu 17 Jahren Haft verurteilt, die Mutter zu 14 Jahren.

Die 23-jährige Mutter, der Mord durch Unterlassung vorgeworfen worden war, wurde von den Geschworenen einstimmig im Sinne der Anklage schuldig bekannt. Der 32 Jahre alte Vater wurde zusätzlich in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.

Nach Rücksprache mit seiner Verteidigerin Christa Scheimpflug akzeptierte er das Urteil und suchte um Verbüßung seiner Strafe im Maßnahmenvollzug in der Justizanstalt Mittersteig an. Der Verteidiger der Mutter, Timo Gerersdorfer, ersuchte um Bedenkzeit. Die Staatsanwältin gab zu beiden Urteilen keine Erklärung ab. Sie sind daher nicht rechtskräftig.

„Außerordentlich hohe Gewalt“

Beide Angeklagte – der Vater hatte in der zweitägigen Verhandlung dreimaliges Schütteln des Babys zugegeben, aber den Tötungsvorsatz bestritten, die Mutter entgegen ihrer Darstellung vor der Polizei und der Haft- und Rechtsschutzrichterin geleugnet, die Gewalttätigkeiten ihres Partners gesehen zu haben – verfolgten die Urteilsverkündung emotionslos und blieben auch ruhig, als die vorsitzende Richterin das Strafausmaß bekannt gab. Bei einer Strafdrohung von zehn bis 20 Jahren oder lebenslang setzte es für beide trotz bisheriger Unbescholtenheit Sanktionen im oberen bzw. mittleren Bereich des Strafrahmens.

Beim Vater fielen die qualvolle Begehung, die Hilflosigkeit des Opfers sowie „die außerordentlich hohe Gewalt“ erschwerend ins Gewicht, wie Richterin Nicole Baczak erläuterte: „Kinder sind nicht zu schütteln. Genau das soll diese Strafe bedeuten.“ In Richtung der Mutter bemerkte Baczak, die verhängte Strafe sei aus generalpräventiven Gründen nötig, um klar zu machen, „dass Mütter, wenn sie von Misshandlungen ihrer Kinder erfahren, einschreiten müssen“.

Mutter verpflichtet gewesen, „etwas zu tun“

Laut Anklage starb das Baby am 12. Juni auf der Intensivstation eines Wiener Spitals an einer traumabedingten Sauerstoffunterversorgung des Hirns. Die Wachstumsfuge war eingerissen, die Hirnverletzungen waren irreparabel. Gerichtsmediziner Nikolaus Klupp hatte beim Prozessauftakt am vergangenen Mittwoch dazu erklärt, ein jeweils fünf bis zehn Sekunden langes, zehn bis 30-maliges Schütteln – laut Klupp ein „körperlich anstrengender“ Vorgang – sei Voraussetzung für ein Schüttel-Trauma.

Die 23-jährige Mutter hatte laut nicht rechtskräftigem Urteil weggeschaut, obwohl sie das Schütteln mitbekam. Wie die Richterin in der Urteilsverkündung erklärte, wäre sie verpflichtet gewesen, „etwas zu tun“ und hätte „die Kriminalpolizei, die Rettung oder das Jugendamt anrufen müssen“.

„Ich hätt’s nicht tun sollen“

Der Vater wurde am Montag ergänzend zum Tatvorwurf sowie seinen psychischen Erkrankungen vernommen. Wie bereits beim Prozessauftakt am vergangenen Mittwoch gab er zu, das Baby dreimal geschüttelt, aber nicht mit dem Ableben der Tochter gerechnet zu haben. „Ich hätt’s nicht tun sollen“, schluchzte der 32-Jährige im Großen Schwurgerichtssaal, „es vergeht kein Tag, an dem ich mir nicht Vorwürfe mache. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht die Zeit zurückdrehen möchte. Ich hab’ sie geliebt.“

Geschütteltes Baby: Urteil erwartet

„Ich habe nicht gewusst, dass es zum Tode führen kann, wenn man ein Baby schüttelt.“ Das ist nur eine Aussage des 32-jährigen Angeklagten. Ein psychiatrisches Gutachten spricht unter anderem von schweren Depressionen. Die Mutter des toten Babys gilt laut ihres Anwalts als „minderbegabt“.

Beim dritten Mal habe er die weinende Kleine heftiger als die beiden vorangegangenen Male geschüttelt, um diese zu beruhigen, wie er sagte. Laut Anklage hat der Mann das Baby mehrfach, zuletzt am 4. Juni 2021, derart kräftig geschüttelt, dass es an einer traumabedingten Sauerstoffunterversorgung des Hirns starb.

Mord durch Unterlassung

Die 23-jährige Mutter soll weggeschaut haben – sie stand wegen Mordes durch Unterlassung vor Gericht. Die Frau bestreitet das, ihr Ex-Partner betonte am Montag erneut, die ersten zwei Male sei sie nicht dabei gewesen, beim dritten Mal habe sie aber „die letzten zwei Sekunden gesehen“. Er wolle aber nicht, „dass sie büßen muss“, weil sie „nichts getan“ habe.

„Außer dem Schütteln habe ich meiner Tochter nichts angetan“, betonte der Vater. Dass bei der Obduktion auch Frakturen an beiden Oberschenkeln zutage traten, könne er sich nicht erklären: „Andere Sachen habe ich bei ihr nicht gemacht. Würde ich auch nie.“ Er habe ihr „nicht absichtlich“ wehgetan, denn er habe „sonst alles gemacht, dass es ihr gut geht“, bekräftigte er. „Ich hab’ sie oft gefüttert, genommen, gewickelt, geschaut, dass sie ihre Vitamin-D-Tropfen bekommt.“

„Ich wollt’ immer Papa werden“, erklärte der Angeklagte, „deswegen ist das so schrecklich“. Er verwies darauf, dass seine Schwester vier, sein Bruder fünf Kinder hätten, auch eine vorangegangene Lebensgefährtin habe ein Kind mit in die Beziehung eingebracht: „Ich hab’ genug Kontakt mit Kindern. Es ist nie etwas passiert.“

Zahlreiche psychische Erkrankungen

Im Anschluss wurden die psychischen Erkrankungen des Mannes erörtert, der sich seit 2007 in psychiatrischer Behandlung befindet. „Ich hab’ eine Angststörung. Ich hab’ öfters Panikattacken. Ich hab’ eine emotionale Persönlichkeitsstörung. Borderline, was zu Selbstverletzungen führt. Des Öfteren Depressionen. ADHS“, zählte der 32-Jährige die Diagnosen auf. Er nehme täglich „sehr viele Medikamente. Neun, zehn“.

Außerdem konsumiere er „leider Alkohol“, sei spielsüchtig und habe mehrere Selbstmordversuche unternommen: „Aus Verzweiflung, wenn niemand da ist und mir hilft, verletze ich mich.“ Der Alkohol bewirke, dass seine grundsätzliche Ungeduld zunehme. Zum Zeitpunkt des letztmaligen Schüttelns seiner Tochter sei er alkoholisiert gewesen, räumte der Angeklagte ein.

Sachverständiger plädiert auf Einweisung

Die Staatsanwaltschaft hatte zusätzlich die Einweisung des an sich zurechnungsfähigen Mannes in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher beantragt. Dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Siegfried Schranz zufolge weist er derart gravierende psychische Auffälligkeiten auf, dass ohne haftbegleitende therapeutische Maßnahmen neuerliche Straftaten mit schweren Folgen zu befürchten sind.

Konkret erwähnte Schranz in diesem Zusammenhang schwere Körperverletzungen. Die aus der Vielzahl seiner psychischen Auffälligkeiten – darunter eine emotional-instabile Persönlichkeitsstörung – resultierende „Gemengelage“ mache den Angeklagten gefährlich, seine Impulskontrolle sei stark herabgesetzt, legte Schranz den Geschworenen dar.

Hohe Chance auf Rückfall

Der Mann falle in die Kategorie jener Straftäter, bei denen statistisch betrachtet mit einer Wahrscheinlichkeit von 48 Prozent mit einem Rückfall binnen zehn Jahren zu rechnen sei. Eine Therapie – der 32-Jährige steht bereits in psychiatrischer Behandlung – sei „unbedingt erforderlich, wahrscheinlich zu intensivieren“, sagte Schranz. Deswegen sei im Fall einer Verurteilung die Unterbringung im Maßnahmenvollzug zu befürworten.

Nach diesen Ausführungen bemerkte der Angeklagte sinngemäß, er halte sich nicht für rückfallgefährdet, „weil ich jetzt schon mit den Nerven fertig bin.“ Er könne „nie mehr einen anderen Menschen verletzen“. Sollte er die Impulskontrolle verlieren, würde er sich „Hilfe holen“.

Mutter zurechnungsfähig

Zur angeklagten Mutter stellte der Gerichtspsychiater fest, bei dieser sei Zurechnungsfähigkeit gegeben, die Voraussetzungen einer Einweisung aufgrund einer höhergradigen geistig-seelischen Abartigkeit lägen nicht vor. Die Frau liege in intellektueller Hinsicht im unteren Bereich, sei aber nicht minderbegabt: „Sie kann zwischen Recht und Unrecht unterscheiden und dementsprechend handeln.“

Es sei bei ihr weiters „keine verminderte Steuerungsfähigkeit“ festzustellen. Schranz berichtete außerdem, dass ihm die 23-Jährige bei seiner Begutachtung gezeigt hätte, wie der Vater das Baby geschüttelt habe. „Sie war durchaus in der Lage, das genau zu zeigen“, hielt der Sachverständige fest. Im Anschluss wurde am Montag noch ein mit dem Fall betrauter Kriminalbeamter als Zeuge vernommen.