Baustelle für die Stadtstraße bei der Hausfeldstraße
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Verkehr

Fachleute fordern Umdenken bei Stadtstraße

Auf ein Umdenken bei der geplanten Stadtstraße in Wien-Donaustadt drängen Expertinnen und Experten der Verkehrs- und Wirtschaftswissenschaft sowie der Stadtplanung. Sie fordern eine „Redimensionierung“ und den Ausbau alternativer Fortbewegungsmittel.

Die Expertinnen und Experten treten als Initiative „Scientists for Future Österreich“ auf. Dabei handelt es sich um einen Zusammenschluss von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, „die sich für eine nachhaltige Zukunft engagieren“. Vor allem die Absage für den Bau des Lobautunnels „vor dem Hintergrund der drohenden Klimakatastrophe“ sei Anlass, das Projekt „Stadtstraße Aspern“ neu zu denken, zeigte sich Verkehrswissenschafterin Barbara Laa von der TU Wien bei einem Pressegespräch am Mittwoch überzeugt.

„Die Stadtstraße ist damit eine lokale Erschließungsstraße und schlichtweg überdimensioniert“. Die ursprünglich angedachte Entlastungswirkung sei außerdem nicht mehr nötig, „da sich der Motorisierungsgrad der Stadt nicht so stark entwickelt hat, wie noch bei der Planung der Straße angenommen“, sagte Laa.

Scientists for Future
Im März 2019 hatten sich mehr als 26.000 Fachleute aus dem deutschsprachigen Raum, davon über 1.500 aus Österreich, zu Scientists for Future zusammengeschlossen. Neben Österreich gibt es die Initiative etwa auch in Deutschland.

Rahmenbedingungen „wesentlich geändert“

TU-Wien-Verkehrsexperte Ulrich Leth betonte im Interview mit „Wien heute“, dass auch Rahmenbedingungen wie das beinahe flächendeckende Parkpickerl ab März nicht in die Umweltverträglichkeitsprüfung zur eingeflossen seien: „Das heißt, diese Rahmenbedingungen haben sich doch wesentlich geändert und insofern sollte man das ursprüngliche Projekt auf keinen Fall unverändert so umsetzen.“ In Zeiten der Klimakatastrophe sollte man überlegen, „ob man noch Investitionen in eine Infrastruktur tätigen will, die uns weiter weg vom Ziel bringt, nämlich zusätzliche Emissionen verursacht“, so Leth.

Fachleute fordern Umdenken bei Stadtstraße

Fachleute der Verkehrs- und Wirtschaftswissenschaft drängen auf ein Umdenken bei der Planung und Umsetzung der geplanten Stadtstraße in der Donaustadt. Sie fordern eine Redimensionierung und den Ausbau alternativer Fortbewegungsmittel.

„Das Straßennetz ist nur eine Ebene“

Würde die Stadt Wien ihr Anliegen ernst nehmen, den Anteil des Autoverkehrs bis 2030 zu halbieren, würde eine abgespeckte Version der Stadtstraße ausreichen, meinte Expertin Laa, die sich für die Zukunft vor dem Bau von hochrangigen Straßen für „Klimachecks“ aussprach. „Es müssen die öffentlichen Verkehrsmittel ausgebaut werden, eine bessere Infrastruktur für Radfahrer und Fußgänger zur Verfügung gestellt werden“, ganz im Sinne einer „Stadt der kurzen Wege“. Durch den Straßenbau würde hingegen verhindert, dass Menschen auf andere Verkehrsmittel umsteigen, sagte Laa.

Für die Erschließung und Entwicklung des Siedlungsgebietes in der Donaustadt sei die aktuelle Dimensionierung der Stadtstraße nicht nötig, meinte auch der Raumplaner Andreas Bernögger. Für ihn gibt es „keinen fachlichen Grund, warum die Stadtstraße und der Wohnungsbau für 17.500 Menschen in der Seestadt verbunden sind“.

Er forderte ein Gesamtkonzept der Stadt Wien, wenn die Klimaziele und die geplante Verkehrsentlastung erreicht werden sollen. „Das Straßennetz ist nur eine Ebene. Es müssen aber auch Alternativen geschaffen werden, wo die Menschen ihr Verhalten hin verändern können“, mahnte der Experte.

„Abhängigkeit vom Pkw kein Naturgesetz“

Derzeit sei der Fokus zu sehr auf ein Funktionieren des Autoverkehrs gerichtet, „die Abhängigkeit vom Pkw ist aber kein Naturgesetz“, so der Verkehrswissenschaftler Paul Pfaffenbichler. „Vor allem die innerstädtischen Bereiche müssen wir radikal neu denken, wenn wir die Mobilitätswende schaffen wollen. Das betrifft aber auch die Peripherie der Städte und den ländlichen Raum“.

Beispiele für moderne Städte, in denen großzügig auf Autos verzichtet wird, gebe es dabei einige: „Madrid, Oslo und Paris haben das umgesetzt“, sagte Pfaffenbichler. Ein weitgehend autofreier Siedlungsraum sei für den Experten durchaus möglich. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hoffen jedenfalls auf weitere Gespräche zwischen Stadt Wien, Fachleuten, Umweltschützerinnen und -schützern und der Bevölkerung.

Stadt verteidigt Pläne

„Die Stadtstraße als UVP-genehmigtes Projekt wird durch die Stadt nicht mehr aufgeschnürt, sondern wird so umgesetzt, weil ein Stopp bedeuten würde, dass wir fünf bis zehn Jahre verlieren“, erklärte Wiens Planungsdirektor Thomas Madreiter gegenüber „Wien heute“. Laut Madreiter ist die Stadtstraße nur Teil eines großen Ganze – nämlich ein Teil der Entwicklung der Donaustadt. Das würde auch einen „Öffi“-Ausbau, Radwege und weiterer Wohnraum sowie möglicherweise neue Firmengebiete bedeuten.

Man plane sehr wohl „in die klimaschonende Zukunft“, betonte Madreiter. „Wir rechnen hier in den neuen Gebieten nur mehr mit einem Autoanteil der Wege von 20 Prozent oder unter 20 Prozent. Das ist extrem günstig.“ In Niederösterreich würden teilweise 80 Prozent der Wege mit dem Auto zurückgelegt, auch in der Donaustadt ansonsten 40 Prozent. „Der Vorwurf, dass das quasi ein antiquiertes Projekt wäre, das eine antiquierte Verkehrspolitik vorschreibt, geht leider ins Leere“, ist der Planungsdirektor überzeugt.

Auch ÖVP und FPÖ für Bau

Der Wiener SPÖ-Rathausklub betonte am Mittwoch zudem, das Wien mehr als drei Mal so viel in den öffentlichen Verkehr als in den Straßenbau- und Erhalt investiere. Im Nord-Osten Wiens würde Wohnraum für rund 60.000 Menschen entstehen. "Eine immer wieder geforderte Redimensionierung der Straße wäre nicht zielführend und würde eine Verzögerung des sozialen Wohnbaus um viele Jahre bedeuten“, so der Vorsitzende des Verkehrsausschusses, Erich Valentin (SPÖ), in einer Aussendung.

Für den Bau der Stadtstraße sprachen sich auch erneut die Wiener ÖVP und FPÖ aus. Der S1-Lückenschluss und die Stadtstraße sind für ÖVP-Wien-Verkehrssprecherin Elisabeth Olischar „eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass sich der Verkehr letztendlich verlagert und somit im Endeffekt Stau verhindert werden kann“, verweist sie in einer Aussendung auf den Titel „Stauhauptstadt“ für Wien. Die aktuelle Situation würde Staukosten von rund 500 Mio. Euro jährlich verursachen.

„Keiner von den G‘scheidln kennt sich vor Ort aus, solche Schreibtischtäter sind als Stau-, Abgas-, Feinstaub- und CO2-Maximierer die wahren Klimaschädiger“, wetterte indes FPÖ-Wien-Verkehrssprecher Toni Mahdalik in einer Aussendung gegen die Forderungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.